Schreibkraft
Heiner Frost

Alles meinem Gott zu Ehren

Logo: Wolfgang Stenmans

Im September 2015 hat Alireza Gholizadeh sich auf den Weg gemacht. Das Ziel: unbekannt. Das Motto: nur weg.


Die Reise: Flug nach Bulgarien. Sofia. Danach: zu Fuß nach Serbien. Danach: zu Fuß nach Ungarn. Von Ungarn mit dem Bus nach Österreich. Von Österreich nach Deutschland. Die Stationen: München, Düsseldorf, Dortmund, Rees. Ankunft: 16. Oktober. Die neue Heimat?
Warum verlässt einer sein Land, die Heimat? Gholizadeh ist im Iran geboren. Er war Bauingenieur. Er hatte in Shiraz eine Pizzeria: 400 Quadratmeter, 40 Angestellte. Gholizadeh – der Chef. Der Laden: das Exix. „Das kannte jeder in der Stadt.“ Gholizadeh war 16 Jahre verheiratet, hatte einen Sohn, fuhr ein großes Auto. Ein Leben in dem, denkt man, wenig Wünsche offen blieben.
Und dann? Dann lernt Gholizadeh eine Familie kennen: Christen. Er setzt sich mit dem Glauben auseinander und … aus dem Muslim wird ein Christ. „Du kannst im Iran Christ sein. Das ist kein Problem“, sagt Gholizadeh. Aber ein Muslim, der zum Christentum konvertiert, ist seines Lebens nicht mehr sicher. Das ist wie ein Todesurteil.
Was haben denn die Eltern damals gesagt? „Die waren natürlich nicht begeistert, aber ich habe ihnen erklärt, dass es meine Entscheidung ist. Sie haben es dann akzeptiert.“ Gholizadehs Vater lebt nicht mehr. Mit der Mutter telefoniert er regelmäßig. Von seiner Frau ist er geschieden. Der Sohn – mittlerweile zwölf Jahre alt – lebt weiter im Iran. Hat man ein Ziel, wenn man sich auf den Weg macht? Gholizadeh: „Ich hatte kein Ziel. Ich wollte einfach nur weg.“ Gholizadeh sprach seine Muttersprache, Farsi, und Englisch. (Was man so in der Schule lernt.) Deutsch? Kein Wort.
Auf der Flucht war er allein. Und dann auch wieder nicht. „Ich hatte einen großen Beschützer“, sagt er und zeigt zum Himmel. „Den kennen Sie, oder? Das ist Gott.“ Gholizadeh war unterwegs mit einem kleinen Koffer, einer Dose Kekse und Mineralwasser. Bulgarien, Serbien, Ungarn, Österreich. „Als ich den Iran verlassen habe, wog ich 95 Kilo. Als ich in Deutschland ankam, wog ich 63 Kilo.“ Eckdaten eines Martyriums.
In Rees lebte Gholizadeh zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft. Er begann Deutsch zu lernen. Wenn er erzählt, ist immer wieder von Prüfungen die Rede – von Zertifikaten.
Deutschkenntnisse auf verschiedenen Ebenen. Sechs Sprachniveaus werden unterschieden. E beginnt bei A1 und geht bis C2. Im Deutschlernblog heißt es: „Das Sprachniveau C2 bedeutet, dass ihr (fast) perfekt Deutsch sprecht. Ihr seid also Profis.“
Alireza Gholizadeh hat B1 erreicht. Ende 2016 hatte er eine Anhörung beim BAMF. Das steht für „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“. 2017 wurde sein Asylantrag anerkannt. Für die Caritas arbeitete Gholizadeh als Flüchtlingshelfer. Sein Arbeitsvertrag ist ausgelaufen. „Ich mache jetzt einen Kurs bei der Industrie- und Handelskammer in Essen.“ Es geht um eine Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft. („Fachkräfte für Schutz und Sicherheit arbeiten bei Wach- und Sicherheitsunternehmen und sind sehr vielseitig. Sie sind für die Planung und Durchführung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zuständige, gewährleisten die Sicherheit von Personen, schützen Objekte, Anlagen und Werte“, heißt es auf der Internetseite der IHK Essen.)
Im Mai stehen die Prüfungen an: das nächste Zertifikat. Gholizadeh würde gern im Sicherheitsdienst an einem Flughafen arbeiten.
In seiner Freizeit engagiert sich Gholizadeh unter anderem für die Kirche. In der Evangelischen Kirche in Rees findet neuerdings immer sonntags um 15 Uhr ein Gottesdienst in persischer Sprache statt. „Beim ersten Gottesdienst hatten wir zwölf Besucher. Es waren Iraner und Afghanen“, erzählt Gholizadeh und irgendwie leuchten seine Augen.
Kontakte? „Viele Menschen, die ich kenne, sind Deutsche.“ Irgendwann möchte Gholizadeh den deutschen Pass. „Deutschland ist jetzt meine Heimat“, sagt er. Zurück in den Iran? Nicht, so lange die Umstände so sind wie sie sind. „Du kannst Christ sein im Iran, aber du darfst nicht Christ werden.“ Das Leben – eine Prüfung. Der Rest kommt dazu. Eine Flucht für den Glauben, für die Freiheit des Entscheidens.

Foto: Rüdiger Dehnen