Schreibkraft
Heiner Frost

Willkommen im Tiergarten

"Zuhause schauen sie auch zu", sagt Martin Polotzek. Foto: Rüdiger Dehnen

Um 10.56 Uhr drückt Martin Polotzek auf „Senden“. Jetzt werden die Teilnehmer an der ersten digitalen Sonntagsführung durch den Klever Tiergarten den Youtube-Link zu einem vorbereiteten Video erhalten.

Link anbei

„Guten Morgen, wir freuen uns sehr, dass Sie heute an unserer ersten digitalen Sonntagsführung teilnehmen. Anbei der Link zur Führung. Sie können sich die Führung heute den ganzen Tag lang anschauen. […] Aus technischen Gründen mussten wir die Führung in den vergangenen Tagen aufzeichnen, beantworten aber gerne Ihre heutigen Fragen bis 12.30 Uhr live über die Kommentarfunktion oder per E-Mail (). Alle Fragen, die nach 12.30 Uhr eingehen, erhalten in den nächsten Tagen eine Antwort.“ Am Freitag hat Tiergartenchef Martin Polotzek eine Mail an alle Teilnehmer geschickt. „Dazu haben wir eine Mailingliste erstellt. Wir wollten sehen, ob das Versenden auch wirklich funktioniert.“ Über 100 Teilnehmer haben sich angemeldet. „Das sind weit mehr, als wir gedacht haben und das freut uns natürlich.“ Der Großteil der Teilnehmer kommt aus dem Kreis Kleve, „aber wir haben auch Teilnehmer aus den Niederlanden und Österreich.“ Die österreichischen Teilnehmer: ehemalige Kollegen aus dem Tiergarten Schönbrunn in Wien. Und dann wäre da noch Polotzeks Familie: „Mein Bruder und seine Freundin schauen zusammen mit meiner Mutter. Mein Vater ist derzeit im Krankenhaus, hat sich aber einen Laptop mitgenommen und sieht sich die Führung auch an.“ Noch hatte Polotzeks Familie keine Gelegenheit, sich den Tiergarten in Kleve vor Ort anzusehen.
Polotzek und seine Stellvertreterin Christine Oster teilen sich die Führung. „Damit garantiert nichts schief gehen kann, haben wir die Führung vorproduziert.“ Das merkt man schnell, denn bei einigen der Aufnahmen sieht man noch Restschnee im Bild. Der Clou an der Führung: Über Youtube oder E-Mail können die Teilnehmer Fragen stellen. Polotzek sitzt am Rechner in seinem Büro und antwortet zeitnah.

Bildungsauftrag

Dann beginnt der Rundgang und es sei gleich gesagt: Die digitale Führung ist kurzweilig und dazu informativ. Polotzek: „Wir haben als Tiergarten auch einen Bildungsauftrag und die Online-Führung ist das, was diesem Auftrag in Corona-Zeiten am meisten entspricht.“
Das Schöne an Youtube: Man kann Untertitel zuschalten. Die allerdings werden automatisch generiert. Das führt dann bisweilen zu unfreiwillig komischen Textpassagen. „Ausgewilderte“ Tier werden dann schon mal zu „ausgebildeten“ Tieren und aus „Weißbüschelaffen“ werden in den Untertiteln wahlweise „Weißbestrafte“ oder „Meisterschaften“. Folge: Die Meisterschaften werden mit Mehlwürmern gefüttert. Aus einem „Alphaweibchen“ wird ein „Anfangszeichen“. Vielleicht doch besser, sich auf den Ton zu verlassen.

Foto: Rüdiger Dehnen

Auf allen Kanälen

Polotzek sendet und empfängt – state of the art – auf mehreren Kanälen: Youtube, Email, Facebook. Fünf Minuten nach dem Start um 11 Uhr ein „Hilferuf“ von einem Teilnehmer, der seinen Link nicht erhalten hat. „Vielleicht mal im Spam-Ordner des Mailprogramms nachschauen.“ Auch Telefonanrufe finden statt. Die allerdings haben nichts mit der Führung zu tun. Polotzek: „Anrufe an Sonntagen sind ziemlich häufig. Derzeit die am meisten gestellte Frage: ‚Ist der Tiergarten geöffnet?‘“ Der Anrufer jetzt möchte wissen, ob der Tiergarten auch Ziegen abgibt. Tut er. Polotzek notiert die Nummer. Er wird zurückrufen.
Derweil läuft die Führung. Sehen und lernen. Über Youtube wird gefragt und kommentiert. „Ein Freund von mir hat noch keinen Link bekommen“, meldet ein Teilnehmer. Jemand möchte wissen, ob ein Teil des Futters für die Tiere vor Ort produziert wird. Man denkt an de Maiziere: „Ein Teil meiner Antworten würde die Bevölkerung verunsichern …“ Polotzek antwortet: „Ja, ein Teil des Futters kommt aus eigener Produktion. Unsere Polarfüchse sind Raubtiere und müssen demzufolge Fleisch fressen. Hierfür schlachten wir auch gelegentlich eine Ziege oder ein Schaf und können unseren Tieren so Futter bester Qualität anbieten. Wir wissen, dass die zum Verfüttern getöteten Tiere ein schönes Leben bei uns hatten, gesund waren, keinen langen Transportweg zum Schlachthof durchmachen mussten und tierschutzgerecht betäubt und getötet wurden. Und da man einen Polarfuchs leider nicht mit Tofu ernähren kann, ist das somit das beste Futter, was wir unseren Tieren bieten können.“ Merke: Die Natur ist kein Streichelzoo.
Zwischendurch betritt eine Mitarbeiterin das Büro und reicht Polotzek ein Plastiktütchen mit einer dunklen Masse. „Das ist Kot vom Esel“, sagt der Chef. „Der Esel hatte Durchfall.“ Jetzt muss nachgesehen werden, ob wieder alles in Ordnung ist.

Der sechste Finger

Bei der Führung geht es gerade um die roten Pandas. Die verschlafen einen Großteil des Tages. „Panda heißt übrigens Bambusfresser. Die Pandas ernähren sich hauptsächlich von Bambus und der enthält wenig Nährstoffe, ist aber schwer zu verdauen. Das Rezept: reichlich Schlaf.“ Pandas haben einen 6. Finger und behaarte Fußsohlen. Der 6. Finger ist enorm hilfreich beim Bambushalten – die behaarten Fußsohlen saugen sich beim Eintauchen in Wasser schnell voll. Die Pandas schlürfen dann die Flüssigkeit aus den Haaren.
Dass Trampeltiere in ihren Höckern nicht etwa Wasser sondern Fett speichern, wusste vielleicht nicht jeder. „Und was auch erstaunlich ist: Diese Tiere sind in der Lage, in circa 10 Minuten bis zu 100 Liter Wasser zu trinken.“
Wo denn eigentlich die Kängurus geblieben sind, möchte ein Teilnehmer wissen. Polotzek zieht den Telefon-Joker. Sein Vorgänger im Amt, Dietmar Cornelissen, ist im Gelände unterwegs. Nach Rücksprache antwortet Polotzek; „Die Känguruhaltung haben wir vergangenes Jahr vorerst beendet. Einige Kängurus sind leider krankheitsbedingt verstorben, die letzten Kängurus haben wir dann an eine Wildtierauffangstation vermittelt.“ Wird es denn wieder einmal Kängurus im Klever Tiergarten geben? „Wir arbeiten derzeit an einem Masterplan, den wir zum Sommer fertig haben möchten. Da wird es dann um Fragestellungen dieser Art gehen.“ Es wird auch darum gehen, was sich ändern muss. Polotzek: „Als der Tiergarten vor 50 Jahren gegründet wurde, war das alles hier auf dem neuesten Stand. Aber unser Wissen über die Tiere und ihre Haltung ist enorm fortgeschritten. Dem müssen wir Rechnung tragen.“

Foto: Rüdiger Dehnen

Eine gute Frage

„Unser Sohn (4) möchte gerne wissen, warum die Strauße so lange Hälse haben.“ Antwort: „Das ist eine gute Frage. Man vermutet, dass der lange Hals der Strauße etwas mit der Größe der Vögel zu tun hat. Der Strauß ist der größte Vogel der Welt und hat sehr lange Beine, mit denen er bis zu 70 Stundenkilometer schnell laufen kann. Um trotz dieser langen Beine auch mit dem Schnabel an den Boden zu kommen, muss der Straußenhals sehr lang sein. Also haben Strauße so lange Hälse, damit sie Wasser trinken und Gras fressen können.“ Am Ende der Führung bedankt sich eine Teilnehmerin: „Vielen Dank für diese neue Art, ‚unseren‘ Tiergarten zu entdecken. Wir hatte viel Freude. Besonders hervorheben möchten wir die wirklich professionelle Arbeit der drei Moderatoren. Wirklich toll. Wir freuen uns schon, hoffentlich bald die Tiere wieder persönlich begrüßen zu dürfen.“
Martin Polotzek ist zufrieden. „Ich war natürlich nervös, denn man kann ja vorher nicht wissen, ob alles läuft wie geplant.“ Fest steht: Die digitale Führung wird nicht zur Eintagsfliege werden. „Trotzdem hoffen wir natürlich, dass wir so schnell wie möglich wieder öffnen dürfen.“