Ein Denkmal. Ein Streit. Eine Lücke zwischen Moral und Gesetz. Das ist – kurz umrissen – die Geschichte.
Die Theorie
Paragraph 304, Strafgesetzbuch: Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 2. Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer in Absatz 1 bezeichneten Sache oder eines dort bezeichneten Gegenstandes nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. 3. Der Versuch ist strafbar.
Die Praxis
Herr Z. stolpert in den Saal. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen. Er hat, als er das Publikum begrüßt, eine Stufe übersehen und reißt im Fallen eine der Corona-Trennscheiben von eben dem Tisch, an dem er später neben seinem Verteidiger sitzen wird. Es scheppert. Scherben bringen Glück.
Ein Justizwachtmeister schaut nach dem Rechten. „Krawall?“ „Nein. Keine Sorge. Ich bin nur gestolpert.“ Dann verteilt Herr Z. Material ans Publikum. „Hier ist das Programm für die heutige Vorstellung“, sagt er, „und meine Kritik zur letzten Veranstaltung.“
Kämpfer für die gute Sache
Herr Z. ist ein Kämpfer für die gute Sache. Es gibt Dinge, die nicht sein sollten wie sie sind. Dass eine Stadt auf einem Ehrenmal, das dem Andenken der Gefallenen dient, einen Spruch des „Führers“ nicht entfernt, ist Z. mehr als ein Dorn im Auge. Dieser Dorn sticht tiefer ein: Er trifft Herz und Seele. Z. ist angetreten, nicht durchgehen zu lassen, was da vor sich geht. Sein Vorschlag in Bezug auf das, was er ‚Monstrum‘ nennt und ‚abartig‘ [war das nicht ein gebräuntes Wort?]: „Abriss. Sofort!“ Z. meint nicht die Tafeln mit den Namen der Soldaten. Sie sollen, sagt er, bleiben. Es geht ihm nicht um die Zerstörung der Ehre der Gefallenen. Es geht um die unselige Inschrift, die alles kontaminiert. Und wenn schon kein Abriss des Monstrums, dann muss doch – bitte schön – mit Mitteln der Kunst verändert werden, was nicht sein sollkanndarf wie es ist. Da hilft auch keine Informationstafel. Das ist Z.s Meinung und er tritt an, einen Kampf zu führen. Das ist, denkt man, aller Ehren wert. Da mag einer nicht Ruhe geben. Nicht stillhalten.
Schon einmal ist Z. verurteilt worden: Gemeinschädliche Sachbeschädigung. Ein Schandurteil – so sieht es Z.. Natürlich begründet er, warum er nach erfolgter Verurteilung wieder zur Tat geschritten ist. Er sei sich zwar im Klaren, dass er mit seiner Begründung Perlen vor die Säue werfe (er scheint das Gericht zu meinen), sei aber andererseits optimisch, dass auch dieser Richter noch begreifen werde, worum es gehe bei dieser Sache.
Das wissen Sie doch alles längst
Z. wird nach seiner Person gefragt. „Aber das wissen Sie doch alles längst“, sagt er. „Sie haben mich doch schon einmal verurteilt.“ Und nochmals teilt er aus: „Ein Schandurteil zum Schutz eines Schandmals.“ Nochmals spricht Z. von einem unsäglichen Monstrum, klärt auf, warum er tut, was zu tun ist. Ihm geht es mit seinen Aktionen darum, „die Abartigkeit sichtbar zu machen“. Was da Denkmal genannt werde, das habe auch die Stadt eingeräumt, sei nicht als Denkmal eingetragen. Dass auf dem Monstrum Spruch, der nachweislich aus Hitlers „Mein Kampf“ stamme, die jüdischen Gefallenen aus dem 1. Weltkrieg verhöhne, sei eine Ungeheuerlichkeit. „Ein Monstrum mit krimineller Botschaft.“
Z. erzählt die Geschichte des Monstrums, er erzählt die Geschichte seiner Eingriffe, zählt Gründe auf, warum er „die kriminelle Aussage des Monstrums“ verändern müsse. Vielleicht, denkt man, ist Z.s Handeln einer Art moralischer Notwehr – ein rechtfertigender Notstand. Nichts anderes als einen Freispruch akzeptiere er am Ende der Verhandlung. „Und sollten Sie mich verurteilen, dann möchte ich dringend bitten, das nicht im Namen des Volkes zu tun. Wenn Sie mich heute verurteilen, dann verurteilen Sie mich im Namen des Führers“, sagt er und man denkt zurück an die geborstene Scheibe des Anfangs.
Sie müssen keine Angst haben
Eine Verurteilung, daran lässt Z. keinen Zweifel, zöge den Geist des Grundgesetzes in den Schmutz. „Sie tragen die Konsequenz“, sagt Z. in Richtung des Vorsitzenden und ergänzt: „Aber Sie müssen keine Angst haben. Ich bin Pazifist.“ Gibt es einen Pazifismus der Wortwahl?
Z. wird verurteilt. 40 Tagessätze zu je 30 Euro wird er zahlen müssen. Vielleicht, denkt man, hat Z. einen Kampf verloren.
Eines aber steht fest: Er übt Druck aus – einen Druck, der früher oder später Ergebnisse zutage fördern wird. Das Dilemma: Moral hier – Strafgesetzbuch dort: Synchronisierung erwünscht. Fortsetzung folgt?
Vielleicht so
„Hat Herr Z eigentlich mal versucht, auf legalem Wege den untragbaren Zustand zu ändern?“, fragt ein Freund. „Vielleicht würde es ja reichen, die Stadt wegen Verbreitens von verfassungsfeindlichem Gedankengut beim Staatsschutz anzuzeigen.“