Stille Post im grünen Bus
Natürlich gibt es Busreisen, die sicher sind. Es muss ja nicht auch noch Spaß machen. Und wer mit der Linie 66 nach München möchte, sollte schon a bisserl Zeit mitbringen, denn die Reise dauert alles in allem eine Woche. Wenn Gefangene reisen, geht das unauffällig vor sich: Stille Post im grünen Bus. JVA Kleve. Ein ganz normaler Dienstag. Es ist kurz nach sieben. Elf Passagiere machen sich reisefertig für einen Ausflug der anderen Art. Der Fachjargon spricht von „Verschubung“ und meint Gefangene, die auf Reisen gehen. Die Gründe können unterschiedlichster Art sein. Jochen Esser leitet derzeit den Fahrdienst in Kleve und erklärt mögliche Gründe fürs „Verreisen“: „Zunächst einmal kann es sein, dass ein Gefangener in eine andere Haftanstalt verlegt wird.“ Umzug also. Mit allem, was so dazugehört.
Aber wer verreist, ist nicht immer ein Umzugskandidat. „Es kann auch vorkommen, dass ein Gefangener als Zeuge in einem anderen Prozess gebraucht wird.“ Und ein solcher Prozess findet nicht unbedingt „vor der Haustür“ statt. Auch möglich: Die Besuchsverlegung. Ein Gefangener, der beispielsweise aus Bayern kommt und dessen Angehörige sich einen Besuch nicht leisten können, kann auf Antrag für einen Besuch verlegt werden. Schließlich wäre da noch der „Krankenumlauf“. Auch Gefangene müssen ins Krankenhaus. In einem solchen Fall geht es Richtung Fröndenberg.
Aus welchem Grund auch immer ein Gefangener auf Reisen geht – die Sache muss generalstabsmäßig geplant werden. Bei der „stillen Post“ spielt Kleve als Transportbehörde eine besondere Rolle. Jochen Esser: „Nicht alle Haftanstalten haben eigene Busse.“ Geldern beispielsweise wird von Kleve „mitversorgt“. Wenn die Knackis auf Reisen gehen, ist das fast wie im wirklichen Leben. Es gibt einen genauen Fahrplan. Der Unterschied zur Wirklichkeit: „Bei uns gibt es in der Regel keine Verzögerungen“, erklärt Esser.
Eine Woche auf der Rolle
Die elf Passagiere für Linie 66 haben verschiedene Ziele. Einer wird verlegt: Nach Bayern. Heimatnah. Eine Woche wird er auf der Rolle sein. Zwei der Passagiere müssen nach Köln. Zeugenaussage vor Gericht. Die Reisegruppe wird vor dem Start gefilzt. Jeder einzeln. Es ist ein bisschen wie am Flughafen. Ein Beamter mit „Pieper im Anschlag“ untersucht jeden Passagier. Schon am Tag vorher hat der „Umzugskandidat“ seine Habe in Kartons verpackt. Alles ist im Beisein des Gefangenen verplombt worden. Alles hat seine Ordnung. Alles dreht sich um die Sicherheit. Ein bisschen ist es tatsächlich wie beim Fliegen: Handgepäck ist erlaubt, aber gefilzt wird alles. Und für die Menge des mitzuführenden Handgepäcks gibt es genaue Regeln. Jens steht eine kurze Reise bevor. Er muss nach Moers zum Prozess. Es ist sein Prozess. Kleve Moers – eigentlich ein Klacks. Trotzdem wird die Sache nicht an einem Tag abgewickelt. Jens muss nach Duisburg. Tag eins. Dann der Prozess. Tag zwei. Wenn alles klappt, geht’s nach dem Prozess mit dem Umlauf zurück nach Kleve. Ansonsten findet die Rückreise erst am Tag drei statt. Seine Zelle in Kleve musste Jens für die Zeit seiner Abwesenheit komplett ausräumen. „Wir müssen jederzeit die Möglichkeit haben, eine Zelle kurzfristig zu belegen“, erklärt der Klever Anstaltsleiter Karl Schwers. Plätze im Knast sind auch in Kleve Mangelware. Und man weiß ja nie, wer oder was kommt.
Filz und fertig
Die Reisegruppe ist von der Aussicht auf einen „Ausflug“ nicht eben begeistert. Das Fahren im Umlaufbus gehört weißgott nicht zu den Highlights. Es ist eng. „Wenn du in einer vollbesetzten Viererkabine fährst und einer hat sich nicht geduscht oder lässt einen fahren, dann ist das ziemlich unangenehm“, erklärt Jens. Sollte es einen Nichtraucher in eine Raucherzelle verschlagen, ist auch Schluss mit lustig. Die Vollzugsbeamten versuchen bei der Belegung zwar, solche Situationen zu vermeiden, aber möglich ist das nicht immer. Angeschnallt werden die Passagiere übrigens nicht. Sicherheitsgurte – Fehlanzeige. Gut – bei der Größe der Transportzellen kann niemand weit fliegen, aber wenn der Fahrer eine Vollbremsung hinlegen müsste, wäre der eine oder andere Knochen reparaturbedürftig. Immerhin: Die Klever Busse sind mit Klimaanlagen nachgerüstet worden. Sommertags konnte es in den engen Kabinen schon mal bis zu 45 Grad heiß werden. Auch für den Fahrer hinter der großen Frontscheibe war die Reise schnell eine ziemlich überhitzte Angelegenheit. „Während wir mal bei 35 Grad Außentemperatur im Bus unterwegs waren, hörten wir, dass es in einem Amtsgericht Hitzefrei gab“, erinnert sich einer der Vollzugsbeamten. Die Zellen im Bus sind jetzt zwar klimatisiert, aber mit Reisebusbehaglichkeit hat der Umlauf nichts, aber auch gar nichts zu tun. Von wegen „so wie ihr verreist, möchte ich mal Urlaub machen“ – wer so denkt, sollte an einem heißen Sommertag mal eine Verschubung nach Köln mitmachen … Die Klever Reisegruppe ist mittlerweile „versandfertig“. Alle Passagiere sind gefilzt und sitzen im Warteraum. Dann werden sie einzeln in den Bus gerufen. Vier Vollzugsbeamte werden den Transport begleiten: Zwei Fahrer und zwei weitere Begleiter. Bevor ein Gefangener den Bus besteigt, werden Bild und Daten für jeden einzelnen Passagier abgeglichen. Gesichtskontrolle und Abfrage des Geburtsdatums. Aus Versehen geht hier niemand auf die Reise.
Lieber nich als wie wohl
Wenn alle eingestiegen sind, geht es zur Fahrzeugschleuse. Nochmal werden alle Daten kontrolliert. Die Vollzugsbeamten geben ihre Anstaltsschlüssel ab. Waffen werden ausgegeben. Urlaubsreisen gehen anders. Gegen 7.30 Uhr rollt der Bus aus der Fahrzeugschleuse. Erstes Ziel: Geldern. Zur Toilette sollte man vorher schon gegangen sein, denn an Bord ist die Doppelnull eher eine Notlösung. Bis Geldern kein Problem. Aber was, wenn der Bus auf der Autobahn im Stau steht? Dann wird natürlich von der Bordtoielette Gebrauch gemacht. Die befindet sich – wie sollte es anders sein – in einer der Einzelzellen. Bei Vollbelegung nicht eben unproblematisch. Trotzdem gilt: „Lieber nich als wie wohl.“ Jochen Esser ist es auch schon passiert, dass er während eines Einzeltransportes einen Hubschrauber auf die Autobahn rufen musste: Herzinfarkt beim Gefangenen. Bei der Rückkehr wurde Esser gefragt: „War das nötig?“ Antwort: „Ja.“ Fall erledigt. „Du musst halt auf alles gefasst sein“, sagt Esser und fügt hinzu: „Wir als Begleiter können im Ernstfall immer nur re – agieren.“
Zurück zur Frage, wie einer nun von Kleve nach Bayern kommt? Esser erklärt. „Am ersten Tag bringen wir den Gefangenen bis nach Köln. Da ist unser Umlauf beendet. Unser Bus fährt dann zurück nach Kleve. Der Gefangene fährt mit dem 53er Umlauf nach Rohrbach. In Rohrbach wird er übernachten und mittwochs über Mannheim nach Heimsheim gebracht.“ So geht es weiter. Von Pontius nach Pilatus. Gefahren wird nicht an jedem Wochentag. Umlauftage sind Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Wenn einer am Donnerstag eine Zwischenstation anfährt, bleibt er notgedrungen übers Wochenende. Das ist nur einer der Gründe, warum das Reisen bei dem Gefangenen unbeliebt ist. Jens: „Du bist unterwegs, und du hast fast nichts von deinen persönlichen Sachen dabei. Da s meiste liegt beim Gepäck und du kommst da nicht ran.“ Das bisschen zuhause aus dem Knast geht verloren. Und wer im Bus fährt, dem wird schnell klar, was fehlt. Verreisen ist Ausnahmezustand mit dem Prädikat „lieber nicht“. Wer verreist, kann sich nicht aussuchen, mit wem er unterwegs ist. Natürlich gibt es Einzelzellen im grünen Bus, aber wenn der „Knastflieger“ ausgebucht ist, sind Spannungen vorprogrammiert. Voll ist es nie, wenn in Kleve gestartet wird, aber das ändert sich zwischendurch schnell. Ein bisschen ist der Knast wie das wirkliche Leben. Veränderungen, die außerhalb des eigenen Einflusses liegen, mögen auch die Gefangenen nicht. Und die Reise beendet alles Alltägliche. Spaß geht anders.