Schreibkraft
Heiner Frost

Sinntankstelle

Kunst und Politik oder: kanndarfsoll Kunst politisch sein?

Harald Kunde: Das ist natürlich eines der Themen, die momentan Konjunktur haben, weil ja bei vielen Menschen heute die Befürchtung oder aber die Vermutung vorherrscht, dass Kunst nur noch politisch ist.

Ist das eine Frage der Verhältnismäßigkeit?

Kunde: Genau. Es geht um die Verhältnismäßigkeit – um das Austarieren. Die eine Sichtweise: Es geht einzig um die Kunst (l’art pour l’art also) – alles, was mit politischen Resonanzräumen zu tun hat, wird ausgeblendet. Oder es geht um die Propaganda: Alles, was mit inner-künstlichen Fragestellungen zu tun hat, findet nicht statt? Es geht dann einzig und allein um die Botschaft, die Wirkung und also die politische Einflussnahme. Zwischen diesen beiden Polen schwankt es ja eigentlich immer. Die entscheidende Frage für jede Künstlerin und jeden Künstler ist natürlich: Wie positioniert man sich in diesem Spannungsfeld und mit welchen künstlerischen Mitteln findet das Arbeiten statt. Die Aufforderung, dass Kunst politisch zu sein hat, zieht sich durch das gesamte 20. Jahrhundert und betrifft vor allem solche Länder, in denen Demokratie keine große Rolle spielt. Da ist dann nicht selten künstlerisches Schaffen zum staatlichen Auftrag geworden. Das galt zum Beispiel auch in der DDR. Dort hieß es immer: „Kunst ist Waffe”, und die Künstler haben das dann erweitert: „Kunst ist Waffe, wenn die Waffe Kunst ist.” Es wurde also eben diese Eigengesetzlichkeit der Kunst ins Zentrum gerückt. Heute besteht die Schwierigkeit darin, dass das ganze Arsenal an formalen Möglichkeiten scheinbar erschöpft ist. Die Folge davon ist, dass jetzt Fragen nach der Identität des Künstlers ins Zentrum gerückt werden: Es geht um Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ethnie … Oder: Wie positioniert sich jemand bei politischen Konflikten: Russland-Ukraine, Israel-Palästina. Das sind plötzlich entscheidende Fragen, von denen die Wahrnehmung der Kunst gerahmt wird. Das magische Wort: Framing. Es wird also die Frage nach den Kontexten gestellt. Dagegen tritt die Frage nach der inner-künstlerischen Qualität in den Hintergrund. Die Folge davon könnte sein, dass von vielen aktuellen Kunstproduktionen nicht wirklich viel überleben wird.

Da findet dann also eine Art Überlagerung der Werte-Kanons statt? Nichts existiert mehr außerhalb eines klar festgelegten Kontextes?

Kunde: Ja. Vielleicht. Im Gegensatz zu den früheren Künstlern wird die Frage nach der Ewigkeit gar nicht mehr gestellt. Sie gilt plötzlich als obsolet und veraltet. Demgegenüber steht allerdings das Phänomen, dass wir die Dramen eines Aischylos noch heute lesen. Die sind in Verhältnissen entstanden, die sich total von unserem Leben heute unterscheiden. Es muss also etwas geben, das über die Zeiten hinweg geht oder aber für jede Zeit neu befragbar ist. Wenn Kunst das erreicht, hat sie meiner Ansicht nach eine Chance auf langfristige Wirksamkeit.

Kunst also als eine Art Angebot an spätere Zeiten?

Kunde: Genau. Das ist das Schwerste und gleichzeitig Wunderbarste, was Kunst hervorbringen kann.

Ist das Erreichen dieses Ziels am einfachsten, wenn man nicht darüber nachdenkt? Es gibt ja Kunstschaffende, die ihren Arbeitsprozess mit dem Gedanken beginnen, etwas schaffen zu wollenmüssen, das noch nie da gewesen ist. Das zwanghaft Neue ist kein stabiles Motiv. Motiv ist doch: es machen zu müssen. Keine Alternative zu haben.

Kunde: Oft ist es ja so, dass sich – in Bezug auf das Neue – bei näherer Betrachtung herausstellt, dass es da doch schon Vorläufer gegeben hat. Ich verstehe allerdings jeden, der sagt: „Ich muss mit mir alleine sein, wenn ich etwas schaffe.” Wann die eigentliche Reflexion stattfindet, ist nicht immer bestimmbar. Vielleicht vorher – vielleicht während des Schaffens. Wichtig ist doch: Der eigentliche Moment der Intuition fragt ja nicht nach historischen Vorläufern. Die intensivste Auseinandersetzung findet bei einem Künstler ja zwischen dem Schaffenden und dem Arbeitsmaterial statt. Das Material stellt bestimmte Forderungen, gegen die man ankämpft oder die man akzeptiert – denen man also nachgibt. Dazu gehört dann eben auch, das man weiß, was das Material will.

Da fällt mir ein Film über Michelangelo ein [Michelangelo – Infernop und Ekstase; Carol Reed, 1965]. Michelangelo steht vor einem Marmorklotz und sagt, die Figur, die entstehen solle, sei im Marmor enthalten. „Ich muss sie nur befreien.” Ist es das?

Kunde: Das ist jetzt natürlich eine romantisierende Vorstellung. Andererseits berührt es die Forderungen des Materials, die ich gerade erwähnt habe. Aber Künstler sind immer wieder bemüht, die Möglichkeiten zu erweitern.

In Amerika sagt man: To push the envelope. Da liegt also gedacht ein Umschlag auf dem Tisch und du schiebst in immer weiter an den Rand – immer in der Hoffnung, dass er nicht herunterfällt …

Kunde: In der Kunst geht es natürlich nicht so sehr um die Hoffnung – zumindest nicht bei den Möglichkeiten des Materiellen …

Im Innenhof des Gebäudeteils Badhotel des Museum Kurhaus Kleve befindet sich Thomas Schüttes Großer Geist Nr. 7 (1997), ursprünglich als Leihgabe der Sammlung Ackermans von 1997 bis 2001 im Museum. Nach der Erwerbung ist der 500 kg schwere Koloss aus Corten-Stahl ist zu einem Wahrzeichen des Hauses geworden.

es geht aber immer auch um die Annäherung an das Nicht- für-Möglich-Gehaltene.

Kunde: Es geht darum, aus der Kenntnis des Materials eine Aussage zu entwickeln, die anders nicht sagbar wäre. Das ist der wirklich entscheidende Punkt. Wenn du es anders sagen könntest, wäre es nicht notwendig. Jetzt kommen wir zum Generalverdacht bei ganz vielen heutigen Kunstwerken, die so perfekt in die Political Correctness passen und sich alle auf der richtigen Seite wähnen und dann am Ende nicht viel mehr mitzuteilen haben als das, was in den Tageszeitungen steht.

Kann man sagen, dass „politisch korrekt” einer der möglichen Gegensätze von „politisch” ist oder macht man sich damit schon die ersten Feinde?

Kunde: „Politisch korrekt” ist ja – seit ungefähr 15 Jahren – eine Art Modeausdruck geworden …

…eine Art Hand- und Denkfessel …

Kunde: …zumindest eine Art von Geschirr, in das man passen muss …

oder so.

Kunde: Dass ein Künstler politisch ist, ist ja nicht zu bestreiten und das ist natürlich auch nichts Schlimmes oder Schlechtes.

Für mich ist „politisch korrekt” irgendwie das Gegenteil von „politisch”.

Kunde: Also: Wenn wir das umdrehen, dann wäre sozusagen der politisch unkorrekte Künstler ja trotzdem vielleicht immer noch Künstler. Da entstehen dann spannende Fälle – da setzt dann beispielsweise die Unterscheidung zwischen Werk und Autor ein. Da wird’s dann richtig haarig. Nehmen wir ein berühmtes Beispiel: Ezra Pound, ein amerikanischer Lyriker, der unendliche verdichtete Poeme geschrieben hat und zugleich sehr anfällig für faschistische Ideologien war. Es stellt sich die Frage: Ist damit das Werk von Ezra Pound entwertet, oder müssen wir zwischen Person und Werk trennen?

Die heilige Einheit zwischen Künstler und Werk also. Widerspruchslose Einheit als moralisch-künstlerisches Gebot?

Kunde: Heute ist die Erwartung an die Kunstschaffenden, dass sie auf der „richtigen” Seite stehen und ihr Werk quasi untrennbar an die Haltung gebunden ist …

…dass also die Haltung wichtiger ist als das Werk …

Kunde: Die Übereinstimmung von politischer Haltung und Werk hat natürlich etwas Sympathisches …

weil es die Beurteilung leicht macht. In Zeiten pseudosozialer Medien ist ja Schnelligkeit ein unerlässlicher Beliebtheitsfaktor für Urteilsfäller. Wenn es an Kongruenz und Synchronizität mangelt, wird das Urteilen erschwert.

Kunde: Es gibt auch viele vorauseilende Gehorsamsübungen, die sich dann in – wie soll ich sagen: Zugehörigkeitsritualen erschöpfen. Jeder möchte auf der richtigen Seite stehen. Jeder möchte Dinge produzieren, die innerhalb der Community oder Blase mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen werden, aber darüber hinaus nicht wirklich viel Relevanz haben.

Man kann ja endlose Debatten führen. Handke zum Beispiel wurde heftig diskutiert. Wagner hat es – abseits seiner zutiefst antisemitischen Haltung – zu Weltruhm gebracht.Diskussionen dieser Art haben nicht selten etwas Scheinheiliges. Zunächst bestimmt man den richtigen Standpunkt – das ist der eigene – danach werden alle Abweichler gebrandmarkt …

Kunde: Soll ich feststellen, dass wir in schwierigen Zeiten leben? Es wird ja mehr und mehr vielschichtig und gleichzeitig wird es immer schwieriger, überhaupt vielschichtig über Dinge nachzudenken oder sie zu beurteilen. Da wären wir wieder bei den sogenannten sozialen Medien, die dafür gesorgt haben, dass die Geschwindigkeit, in der Aussagen zu treffen sind, enorm angestiegen ist. Mit dieser Geschwindigkeit geht ein Schubladendenken schlimmsten Ausmaßes einher. So etwas ist natürlich keiner differenzierten Betrachtung dienlich, was wiederum dazu führt, dass jeder von uns von Fettnäpfen umzingelt ist und in die keiner treten möchte. Am Ende verstummt die Kommunikation gänzlich …

oder sie nimmt fundamentalische Ausmaße ein.

Kunde: Wie schon gesagt: Die sogenannten sozialen Medien sind ein Teil einer möglichen Erklärung …

und was wäre der andere Teil?

Kunde: Vielleicht – um es mal sehr dramatisch zu sagen – eine Art zunehmendes Endzeitbewusstsein. Das unterscheidet sich ja geradezu dramatisch von der Euphorie der 90-er Jahre, als sich die beiden politischen Blöcke auflösten und man durch einen Spalt auf diese Menschheitsidee vom ewigen Frieden blicken konnte. Das schien ja Wirklichkeit zu werden –nicht lange, aber in der kurzen Zeit wurde eine Grund-Euphorie der Weltwahrnehmung befeuert, die sich spätestens mit Nine Eleven erledigt hatte.

Erledigt wurde.

Kunde: Die Stimmung heute hat sich zunehmend eingetrübt und vielleicht entsteht dadurch eine Art übergreifender Grundtraurigkeit, in der differenziertes Urteilen scheinbar obsolet wird. Wozu noch differenziert wahrnehmen, wenn es ständig nur um alles oder nichts geht? Entweder Klimakatastrophe oder Weltuntergang …

Ich kann nachvollziehen, dass man angesichts einer solchen Lage Trauer empfindet – vielleicht auch Verzweiflung … Aber die Aggression, die heutzutage allgegenwärtig ist, bringt eine Tonart der Rücksichtslosigkeit ins Spiel …

Kunde: … das ja kein Spiel ist. Es geht – wie gerade gesagt – ständig um alles oder nichts. Es geht um die Sehnsucht, selber im Recht zu sein und andere in die Ecke der Irrenden zu stellen – sie auszuschließen aus dem vermeindlich richtigen Verbund.

Gibt es ein Gegenmittel?

Kunde: Toleranz. Gelassenheit. Aber diese beiden Fundamente sinnvoller Auseinandersetzung sind kaum noch anzutreffen – sie scheinen nicht mehr zu einer Grunddisposition des Denkens zu gehören. Es gibt natürlich vereinzelte weise Stimmen, die immer wieder einmal wie Rufer in der Wüste auftauchen.

Zum Beispiel?

Kunde: Julian Barnes – der wunderbare britische Autor. Sein letzter Roman, Elizabeth Finch, einer Privatgelehrten gewidmet ist, die sich mit Julian dem Apostaten beschäftigte. Das war ein römischer Kaiser, der – nach der Christianisierung durch Konstantin – versucht hat, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die alten heidnischen Götter wieder einzusetzen. „Nur die hatten Toleranz”, sagte Julian. Toleranz und Vernunft und nicht diesen Fanatismus des Monotheismus. Man merkt da sehr schnell, dass Julian Barnes das aus heutigen Fragestellungen heraus schreibt. Es geht ihm nicht um ein historisches Portrait dieses Kaisers im 4. Jahrhundert nach Christus, aber er überlegt und entwickelt daraus die Frage, wie die Welt heute ohne monotheistische Religionen aussähe.

Von der Religion zur Politik ist der Weg nicht weit, denn letztlich ist eine politische Überzeugung ja auch eine Art von Monotheismus, die mitunter zu absurden Formen führt. Da sind dann zwei Lager der gleichen Meinung und können es nicht zugeben, da sie glauben, damit ein Stück ihrer politischen Identität zu verlieren.Meine Einstellung ist die Einzigrichtige. Andersdenkende stehen auf der falschen Seite …

Kunde: … du sollst keinen Gott neben mir haben, denn ich bin das einzige Maß aller Dinge. Der Inbegriff der Rechthaberitis und Ausschließeritis.

Monotheismus also auch in der Kunst? Natürlich gibt es verschiedene Richtungen – heute spricht man ja von Positionen. Jede davon ein seperater Monotheismus an und vor allem für sich. Wer nicht ins Raster passt, wird gecancelt. Welche Art der Weltwahrnehmung steckt dahinter?

Kunde: Das hat am Ende etwas mit Selbstüberschätzung zu tun.

Trumpismus?

Kunde: Ja. Wenn du sagst: ‚Die Gesetze gelten für alle, aber nicht für mich‘, dann stehst ja über den Massen: Die sind dann alle nur Ungeziefer und du landest genau bei diesem faschistoiden Denken, das die Grundlage dafür ist, dass du dich selber als Größe besetzt und für alle anderen nur Nebenrollen ohne Bedeutung bleiben. Dieses Freund-Feind-Verhalten ist ja der Inbegriff einer kriegerischen Haltung gegenüber der Welt. Dem gegenüber stehen friedvolle Toleranz, Neugier und Austausch.

Ich muss da gleich an die Rede von George Bush nach nine eleven denken. Damals sagte er: „Every nation in every region now has a decision to make: Either you are with us or you are with the terrorists.” Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie fassunglos ich damals war: Freund oder Feind – alles oder nichts. Man war also entweder amerikafreundlich oder man war ein Terrorist. Keine dritte Möglichkeit – nur Freund oder Feind …

Kunde: Ja, so sehe ich das in vielen Teilen. Und eben das ist einer der Gründe dafür, dass Diskussionen über Kunst heute so schwierig geworden sind, denn meist setzt sofort eine Art Lagerbildung ein. Alles Differenzierte, Eigenständige oder vielleicht auch Verrückte spielt dann quasi mit einem (Rundum)Schlag keine Rolle mehr. Das ist dann alles wie weggeblasen.

Womit sich der Kreis zu den sogenannten sozialen Medien und dem damit verbundenen Zwang zum schnellen Ergebnis schließt: Keine Zeit fürs Denken. Es spielt keine Rolle, ob es um Vordenken, Nachdenken oder Mitdenken geht. Das ist ein Teil der Katastrophe. Alles muss ständig schnell gehen. Wer nicht schnell genug ist, scheidet aus dem Meinungschor aus – hat keine Stimme mehr. Findet nicht mehr statt.

Kunde: Natürlich muss jeder für sich diesen Raum des Nachdenkens ausloten, den ich für absolut unverzichtbar halte. Ich bin nicht mehr 16 oder 17, habe nicht nur noch dieses Teil [Smartphone] in der Hand und muss sofort auf alles und jeden reagieren, weil ich glaube, sonst nicht mehr zu existieren. Ich bin froh über jeden Offline-Tag, den ich habe. So ein Tag eröffnet die Möglichkeit, in Ruhe über etwas nachzudenken und verschiedene Argumente abzuwägen. Es geht darum, herauszufinden: ‚Das hat etwas für sich, aber hier bin ich anderer Meinung.‘ Es kann und darf aber nicht darum gehen, das Gegenüber sofort platt zu machen. Es kann darum gehen, im gemeinsamen Gespräch eine Lösung zu finden, die vorher jeder für sich nicht hatte.

Haben wir da einen Point of no return erreicht? Gibt es noch ein Zurück zu Toleranz, Dialog, Miteinander?

Kunde: Kommen wir auf den Eingangsgedanken zurück. Es ist ja zu allen Zeiten schwierig zu beantworten gewesen, ob und wenn ja wie politisch ein Künstler sein muss. Ein schönes Beispiel, das in meinem Studium immer gern angeführt wurde: Wer will den Matisse vorwerfen, dass er in Zeiten des 2. Weltkrieges so schöne Blumenbilder gemalt hat? Das waren bezaubernde Bilder und man hätte denken können, dass die Welt wunderschön ist. Ist sie ja auch. Aber eben auch. Matisse hat sich nie zu kriegerischen Handlungen geäußert und ist trotzdem ein eminent wichtige Künstler gewesen. Picasso hingegen hat sich geäußert. Guernica – ganz klar. [Guernica, entstand 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica durch den Luftangriff der deutschen Legion Condor und der italienischen Corpo Truppe Volontarie, die während des spanischen Bürgerkrieges  auf Seiten Francisco Francos kämpften.] Picasso hat dafür eine Form gefunden, die weit über den Anlass hinausweist. Er hat den eigentlichen Anlass – die Bombardierung dieser baskischen Stadt – so verdichtet und in eine derart präzise Figuration gebracht, dass es noch heute – Jahrzehnte später also – der Inbegriff eines Antikriegsbildes ist. Genau das hat mit Arbeit an der Form zu tun und mit innerkünstlerischen Fragestellungen. Es ist eben keine platte Propaganda oder Ideologie. Dieses Vordringen ideologischer Fragestellungen in die heutige Kunst ist eine Entwicklung, die man nur sehr skeptisch begleiten oder beobachten kann – die aber in ihrer Auswirkung das Innerkünstlerische am Ende zerstört. Das wirkt plötzlich überflüssig und wie eitler Tand. Das ist dann das viel zitierte und von Politikern gern benutzte Sahnehäubchen, das entbehrlich ist. Aber andersherum wird ein Schuh draus: Kunst ist die Sinntankstelle für die Gesellschaft. Wenn das wegfällt, bleiben nur noch ideologische Auseinandersetzungen ohne Verständigung und das Bestreben, den anderen auszutilgen.

P.S. Da wäre dann doch noch eine Frage zu stellen. Sind Museen per se politische Einrichtungen?

Kunde: Museen agieren immer in einem politischen Umfeld und sind da natürlich auch – wir sprechen von  guten Museen – ganz wichtige Orte, um sich zu positionieren und um in den Fragestellungen, die mit und durch Politik vermittelt werden, Haltungen zu entwickeln und gegebenenfalls Antworten zu finden. Museen sind auch Orte, an denen Werte gebildet werden. Das macht sie zu zentralen Orten der Wertbildungsdiskussionen. Dort verständigt man sich auch darüber, was wichtig ist: für einen selber, für das Gegenüber, für die Gesellschaft, für sozialen Ausgleich, für die Integration neuer Denkmodelle, anderer Herkünfte. Man ahnt sofort, wie viel Brisanz und Sprengstoff in solchen Diskussionen zu finden ist. Daher gibt es aus meiner Sicht kein ‚unpolitisches‘ Museum, aber der Anteil der Brisanz ist natürlich unterschiedlich. Das hängt dann mit der Ausrichtung und dem Sammlungsprofil des jeweiligen Hauses zusammen. Es gibt stadtgeschichtliche Museen, die an den gegenwärtigen Diskussionen nicht so intensiv teilhaben, aber vielleicht ähnliche Fragen an die Vergangenheit richten. Es geht also immer um eine Befragung – sei es die Befragung nach Gegenwart oder auch die der Vergangenheit oder der Zukunft.

Wenn ein Museum eine Rembrandt-Retrospektive zeigt – ist das dann politisch?

Kunde: Das kann politisch werden, wenn beispielsweise plötzlich Praktiken hinterfragt werden, die lange Zeit als selbstverständlich  galten. Dann kann es darum gehen, dass solche Bilder astronomische Versicherungssummen haben; dass sie von Restauratoren begleitet werden; dass es  also enormen Aufwand braucht, wenn Bilder ‚verreisen‘ …

… da könnte also jemand mit Nachhaltigkeit argumentieren und damit, dass all das vielleicht nicht sein muss?

Kunde: Ja. Durchaus möglich, dass man über ein potenziell klimaschädliches Verhalten nachdenken muss. Soll man  von den Menschen erwarten, dass sie sich dahin bewegen, wo die Bilder sind …

… was ja seinerseits nicht wirklich klimanützlich ist. Was ich aber auch meinte, ist: Wenn jemand niederländische Maler der Romantik zeigt – wir sind also weg von Rembrandt –, ist das alles andere als politisch.

Kunde: Nehmen wir Koekkoek. Natürlich hat auch der sich in seiner Zeit und seinem Umfeld positioniert. Es ist ja ein Unterschied, ob einer sich der realistischen Landschaftsmalerei zuwendet oder sie romantisch verklärt oder sich in biedermeierlichen kleinen Alltagsszenen zuhause fühlt. Das ist ja – jedes für sich genommen – eine bewusste Entscheidung: eine Positionierung. Auch damit werden ja Akzente gesetzt. Oder nehmen wir Caspar David Friedrich: Mönch am Meer. Das ist ja der Inbegriff des romantischen Unendlichkeitsstrebens und als Gegensatz dazu Spitzweg mit Der arme Poet – das sind ja total unterschiedliche Lebens- und Kunstkonzepte …

… und also auch  politische Entwürfe.

Kunde: Es geht hier gar nicht um besser oder schlechter – es geht um eine gänzlich andere Ausrichtung. Wir sehen dann also gewissermaßen einen Spiegel der politischen Standpunkte, die die Künstler in ihrer Zeit hatten.

Ist es also Teil der Aufgabe eines Kurators, solche politischen Hintergründe auszuleuchten?

Kunde: Eine gute Kontextualisierung hat noch nie geschadet. Trotzdem kann man damit die Bilder nicht zur Gänze erklären. Es bleibt immer ein – wie soll man sagen – irrationales Geheimnis, wenn es denn Kunst ist. Ohne dieses Geheimnis ist es nur Ideologie, Propaganda, Karikatur … Da ist dann die Botschaft übermächtig und verdrängt den Kunstcharakter. Wenn es sich aber um Kunst handelt, dann erzählen die Bilder ganz viel über den Kontext ihrer Zeit und fallen – da sind wir beim Geheimnis – aus diesem Kontext heraus. Sonst hätten sie uns nur historisch etwas zu sagen. Die Bilder von Caspar David Friedrich berühren uns ja unmittelbar, obwohl wir doch in einer ganz anderen Zeit leben. Wir können in diesen Bildern versinken, weil sie ihr Geheimnis bewahrt haben.

Ich denke gerade an die René-Block-Editionen, die derzeit hier im Haus zu sehen sind. Das ist ja Politik an allen Wänden …

Kunde: Das sind Werke, die in einer Aufbruchszeit entstanden sind. Das begann ja mit dem Ende der 60-er Jahre, als ganz viel ins Wanken geriet und Vieles ganz neu definiert wurde. Die Kunst ist ja damals mit Fluxus oder Performance völlig aus den alten Bindungen herausgebrochen und also veränderten sich auch die Wahrnehmung der Kunst und die Distributionskanäle. Damals hat sich dann auch der Kunstmarkt neu formiert: Plötzlich gab es Kunst-Messen, die es vorher nie gegeben hatte und es gab Editionen und Multiples. Die hießen dann Originale in Auflagen. Es ging um die Teilhabe möglichst aller am Kunstbetrieb. Dass das in dieser Reinheit nicht aufgegangen ist, ist dann eine ganz andere Geschichte. Im Prinzip war ja das Ergebnis eine Noch-Mehr-Kommerzialisierung. Der Grundgedanke war aber, dass auch jemand mit wenig Geld sich ein echtes Original sollte leisten können und zuhause eine eigene Sammlung würde aufbauen können. Künstler haben Botschaften entwickelt, die zwar auch sehr politisch sind, aber auch die Verhältnisse zum Tanzen brachten. Ansonsten wäre das alles ja auch nur Propaganda gewesen.