Schreibkraft
Heiner Frost

Sigurt Gottwein: zwischen Wolken und dahinter

Foto: Rüdiger Dehnen

Meteorologen mögen es anders sehen: Wolken sind Poesie – sie sind Räume: sichtbar und irgendwie doch unzugänglich, Reiseanleitungen ins Reich der Gedanken und Sinnbild einer wunderbaren Endlichkeit.

„Und über uns im schönen Sommerhimmel war eine Wolke, die ich lange sah. Sie war sehr weiß und ungeheuer oben und als ich aufsah, war sie nimmer da.“ (Aus: Erinnerung an die Marie A.; Berthold Brecht.)

Und dann macht sich einer auf den Weg zwischen die Wolken und dahinter. Niemand wird glauben, dass es um die Vermessung realer Räume geht. Es geht um den Flug in die Seele. Heute, 26. Juni, wird im Koenraad Bosman Museum in Rees die Ausstellung „zwischen Wolken und dahinter“ eröffnet. Sigurt Gottwein zeigt Arbeiten aus der Zeit zwischen 1996 und jetzt.

Jetzt

Es ist Dienstagvormittag, 10.15 Uhr. Zeit genug, alles ein- und auch auszurichten. Bilder an den Wänden, Bilder auf dem Boden – viel mehr als man unterbringen kann. Das Motto: „Kill your darlings“. Man versucht nachzuvollziehen wie es ist, wenn am Ende das Weglassen zur einzigen Möglichkeit wird, das Sehen vom Überfrachten zu trennen …

Rückblick

Sigurt Gottwein hat an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert: Klasse Rissa. Rissa – eigentlich Karin Götz – unterrichtete dort, als auch Beuys sein Gastspiel gab. Dass sich Gottwein überhaupt an der Akademie beworben hat – eine Art innerliches Husarenstück. Er hatte nicht damit gerechnet, dass man ihn nimmt. Und dann diskutierten Beuys und Rissa über eine Karikatur, die Gottwein eingereicht hatte. Ein Hakenkreuz, aus dem Hände wachsen. „Das ist ein politisch Denkender“ – so ungefähr soll Beuys über den Jungspunt aus Krefeld geurteilt haben. Gottwein sollte sich entscheiden: Zur Probe an die Akademie – entweder zu Beuys oder zu Rissa. Gottwein besprach sich mit seinem ehemaligen Kunstlehrer. Der hieß Hartmut Fischer und wenn Gottwein heute von ihm erzählt, schwingt irgendwie Hochachtung mit. Fischer war einer, dem die Schüler ihre Sachen gaben. „Wir haben die Zeichnungen und Malereien nie zurückbekommen. Der behielt alles.“ Später allerdings, zum Abi, bekamen alle eine Mappe, in der die Arbeiten aus der Schulzeit drin waren. Alle.

Jetzt: vorwiegend Blau

Jetzt steht Gottwein im Koenraad Bosman Museum: Weiße Wände und die Poesie – vorherrschend Blautöne. Das wundert nicht. Man steht in der Ausstellung und denkt: Der Puls senkt sich. Ruhe kehrt ein. Da hat einer zu einem Erzählstil gefunden, der es nicht eilig hat. Da hat einer Seelenlandschaften skizziert. Es ist eine Sache, den Dingen auf den Grund zu gehen und etwas ganz anderes, hinter und zwischen ihnen optische Zeltlager zu errichten. Manche Bilder sind betitelt. „Wie heißt dieses?“, frage ich und Gottwein sagt „Ich habe das vielleicht Madeira genannt.“ Man könnte jetzt mit dem Schreiben aufhören, denn eine Antwort kann nicht schöner sein – sie erzählt vom Dazwischen und Dahinter.

Erählung vom Schweigen

Gottweins Bilder sind – man könnte auf diesen Holzweg geraten – nicht vordergründig. Sie sind nicht einfach, obwohl sie einfach da zu sein scheinen. Man muss die Stille aushalten können, denn was Gottwein an die Wände gehängt hat, ist eine großartige Erzählung vom inneren Schweigen. Man mag nichts einordnen – nicht in Stilkisten greifen … keine Vergleiche ziehen. Vergleiche machen Unbekanntes mundgerecht und versperren nicht selten den Blick auf das eigentliche auf … das Dazwischen und das Dahinter. Vergleiche sind Abkürzungen und ändern die Adressen des Eigentlichen.

Die Wie-Frage

Gottwein ist kein Schubladendenker. Bei der Kunst gehe es, das hat er seinen Schülern zu vermitteln versucht, nicht um die Warum-Frage. Es geht um die Wie-Frage. Warum hat einer gemacht, was er gemacht hat – das führt auf den Trampelpfad der Spekulation. Wer nach dem Wie fragt, muss genauer hinschauen.“
„Ich bin Sternzeichen Wassermann“, sagt Gottwein und spricht von diffundierendem Denken. Diffundieren – das kommt aus dem Lateinischen: ausgießen, ausströmen, sich verbreiten. Ja – das passt. Diffundieren – das ist irgendwie lautlos und trotzdem unausweichlich. Man kann Gottwein in Bildern denken. Das Wichtige: Denken muss man selber. Man sollte das Denken nicht deligieren. Man sollte hinsehen, sich einfühlen, sich eindenken. Und wenn nichts passiert? Ist doch nicht weiter tragisch. Es gibt andere Bilder. Andere Künstler. Dann der Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Ein Bild malt sich selbst.“

Foto: Rüdiger Dehnen

Das Rauschen der Welt

Ein Bild malt sich selbst? Das klingt so einfach. Ist es aber nicht. Es braucht Handwerk, um den Wünschen der Bilder folgen zu können – um sich mit ihnen in jene Einöde zu verkriechen, die das Folgen erst ermöglicht – die das Rauschen der Bilder vom Rauschen der Welt trennt. Vielleicht klingt das zu monumental. Fest steht: Gottweins Bilder wachsen nach innen, sie greifen nicht an.

Selber gucken!

Natürlich steht das nicht fest. Selber gucken! Gottwein ist kein Harlekin, kein Ichgehmalvoranundihrkommtnach-Typ – er ist einer, der sich in seinen Bildern und Zeichnungen auflöst. Man muss nicht fragen, warum er malt oder warum er zeichnet. „Der Gedanke kommt beim Malen“, sagt er und man könnte auch das Gegenteil behaupten und Recht haben: Das Malen kommt mit dem Denken, dem Hinschauen: Selber gucken.
Man muss nicht nach der Botschaft fragen. Die Alleszerstörerschulfrage Waswillunsderkünstlerdamitsagen führt zu nichts. Sie nimmt dem Dialog mit der Kunst das Unberührte. Man kann versuchen, eine Unterhaltung zu beginnen – nicht mit dem Künstler; man kann sich auf ein Gespräch mit seinen Bildern einlassen. Die Bilder malen sich nicht nur selber – sie erklären sich auch selber.

Ein Buch

Anfang des Jahres ist Gottwein 70 geworden. Er hat sich ein Buch geschenkt. Titel: „zwischen Wolken und dahinter“. „Gerade gestern habe ich die Produktion in Auftrag gegeben“, sagt er und wenn alles klappt, wird es demnächst in der Ausstellung liegen und – obwohl Buch- und Ausstellungstitel identisch sind – kein Katalog sein. Was ist es dann? Gottwein to go – vielleicht.
Gottweins Kunst: ein Anstoß, der nicht anstößig ist, eine Erzählung, die sich selbst erzählt, ein Angebot zur Reise auf die Rückseite der Wirklichkeiten.

Malerei pur

„zwischen Wolken und dahinter“ ist eines bestimmt nicht: Eine wortgestützte Bilderschau. „Ich bin noch nicht ganz sicher, wie ich es am Ende machen werde. Kann sein, dass an jedem Bild nur eine Nummer steht und man dann in einer Liste nach dem Titel schauen kann.“ Das passt: Alles ist Sehen – nichts verbuchstäbelt den Weg. Ein Bild malt sich selbst. Und es versteht sich. Von selbst. Vielleicht.

Rows and flows of angel hair
And ice cream castles in the air
And feather canyons everywhere
Looked at clouds that way
But now they only block the sun
They rain and they snow on everyone
So many things I would have done
But clouds got in my way
I’ve looked at clouds from both sides now
From up and down and still somehow
It’s cloud illusions I recall
I really don’t know clouds at all
(Joni Mitchell, Both Sides Now)

 

Foto: Rüdiger Dehnen

„zwischen Wolken und dahinter“ ist bis zum 22. August immer samstags (14 bis 17 Uhr) und sonntags (11 bis 13 und 14 bis 17 Uhr) zu sehen. Am Eröffnungswochenende ist Gottwein im Museum. „Eine Vernissage kann coronabedingt leider nicht stattfinden, aber vielleicht lassen es die Zahlen zu, dass wir am Ende zu einer Finissage einladen“, sagt Gottwein, der übrigens auf Anfrage auch Führungen durch die Ausstellung anbietet. „Die Leute müssen sich nur bei mir melden (Telefonnummer: 02851/2001) und wir werden dann einen Termin finden.“

Fotos: Rüdiger Dehnen