Gemeinhin ist der Erdenbürger damit befasst, den Kollegen Mitmenschen klarzumachen, dass viel mehr Talent in ihm schlummert, als man ihm zutraut. Was aber tut ein Komponistenduo, wenn ihm im Rennen um Ruhm und Ehre von kompetenten Juroren eine Auszeichnung für ein nachweislich sinnentleertes Kunstprodukt zuteil wird? Unmöglich? Von wegen. “Provinz”, sagte der Hase zum Igel, “ist da, wo man sie hindenkt”, und der Igel grinste.
Tatort Kleve am Niederrhein: In der Schwanenstadt mit vorgelagertem Beuys-Museum schickt man sich an, die Welt aufhorchen zu lassen. Immerhin gibt es Pfunde, mit denen zu wuchern sich lohnen könnte: Wie wäre es beispielsweise mit den Parkanlagen des Moritz von Nassau? Immerhin ein Anfang, aber für sich genommen vielleicht ein bisschen zu grün. Ein Event muß her: “Klangbepflanzung” – Musik für den Garten – Kulturgut statt Grillparty – ein Kompositionswettbewerb – am besten weltweit!
Die Tonsetzer werden mit einem sättigenden Preisgeld angefüttert. Eingereicht werden darf alles: Eine jegliche Besetzung ist den Machern willkommen, egal, ob es nun die Solo-Tuba mit Kastagnetten-Begleitung ist oder aber das Symphonieorchester im Reisrand. Alle Macht den Zeitgenossen. Einzig wichtig: die Teilnehmer müssen den Wettbewerb ernst nehmen …
Schade nur, dass beim ersten Kompositionswettbewerb “Musik in europäischen Gärten” zwei Spielverderber ins Rennen gingen, angetreten mit der Idee, ihre Richter mit einer Placebo-Komposition (Ersatz ist schließlich besser als das Eigentliche!) zu konfrontieren.
Immerhin: Auch die Produktion von Unsinn erfordert ein gerüttelt Maß an Ernsthaftigkeit. Andreas Daams und Heiner Frost, mit den Parkanlagen bestens vertraut, entwickelten ein Szenario für 10 Congas, 10 Trompeten, 8 Piccoloflöten und einen Signalgeber, eingepasst in eine schaltplanhafte Aktionspartitur nach dem Motto: “Es lebe die Verpackung!” Dann einigten sie sich auf die Länge einzelner Abschnitte und fügten deren Töne streng demokratisch (“Du fünf und ich fünf!”) zusammen: “Ich und du, Müllers Kuh … “ Am Ende standen designerische Eingriffe per Computer; schließlich sollte, was ohne Sinn war, wenigstens hübsch anzuschauen sein.
Kann doch nichts passieren, denn Qualität, das haben wir gelernt, setzt sich durch. Denkste! Das “Trommelfeuer” der Komponisten Daams und Frost muss zumindest Teile der Jury beeindruckt haben. Die beiden wurden des Geldsegens (Erster Preis: 50.000 Mark – Zweiter Preis: 30.000 Mark – Dritter Preis: 20.000 Mark) zwar nicht teilhaftig, was sie aufrichtig bedauern – ausgezeichnet wurden sie aber trotzdem: Mit einem Sonderpreis ohne geldwerten Vorteil passierte das Duo die Ziellinie und erhielt zudem die Zusage für eine Aufführung zu einem späteren Zeitpunkt. Falsch: Nicht Daams und Frost wurden ausgezeichnet, sondern Gabriele Allendorf. Die allerdings hat in Sachen Notenmalen nie einen Finger krumm gemacht, sondern stellte einzig ihren Namen in den Dienst der ach so perfiden Sache.
Die Bemühungen um den richtigen Ton, der wohl kaum ein guter ist, erregte höchstrichterliches Aufsehen. Immerhin: Louis Andriessen (Komponist/Amsterdam), Prof. Luciano Berio (Komponist/Florenz), Prof. Bojidar Dimov (Komponist/Düsseldorf), Prof. Georg Katzer (Komponist/Berlin), Gerhard R. Koch (Musikkritiker/Frankfurt), Prof. Henri Pousseur (Komponist/Brüssel), Prof. Boguslaw Schaeffer (Komponist/Krakau), Prof. Noam Sheriff (Komponist/Tel Aviv) und Jürg Wyttenbach (Dirigent/Basel) bildeten den neunstimmigen (Männer)-Chor der Juroren, und was die aussuchen, muss Klasse haben, weil sonst doch gleich gelost werden könnte. Frost und Daams, bisher noch nicht als die Autoren des Trommelfeuers geoutet, sind überzeugender gewesen, als es der Jury lieb sein dürfte. Die allerdings wird dabei bleiben, dass das Klever Trommelfeuer ausgezeichnet ist.
Das Vorwort zur Partitur endet mit den Worten “Auch ein Park ist nur so schön wie die Seelen der darin befindlichen Spaziergänger” – Programmheftlyrik aus der talentbefreiten Zone – eigentlich als letzte Warnung der Autoren vor dem dann folgenden “Klanggemetzel der Beliebigkeiten” gedacht. Niederschwellig dünnwandige Schöngeistigkeit aus dem pseudophilosophischen Windkanal scheint letztlich erfolgsfördernd, obwohl die Metapher vom Park der schönen Seelen nicht weniger hohl klingt als ihr dummtönendes Nachspiel, dessen Aufführungschancen nun rapide geschrumpft sein dürften. Für die Komponisten steht allerdings fest: die Welt hat nichts verpasst, wenn das Trommelfeuer nicht über die Schallgrenze getragen wird, und bis auf weiteres gilt: Nerv getroffen – Mission erfüllt.
Jetzt denken die Klever darüber nach, auch andere Wettbewerbe mit Placebos zu beschicken. Erfolg macht schließlich Spaß. Beim Preisträgerkonzert, das am 13. August in Kleve stattfinden wird, erwartet das Fälscher-Duo nun eventuell ein Parkverbot seitens der Veranstalter. Zwei schöne Seelen weniger in einem schönen Park. Provinz ist da, wo man sie hindenkt …
erschienen in: Süddeutsche Zeitung