Schreibkraft
Heiner Frost

Autokino

Die Frau ist Mitte fünfzig. Was sie zur Raserei getrieben hat? Termine. Was sie bekommt? Drei Punkte. Anzeige. Geldstrafe. Und: Eine Filmvorführung. Als Jakob Urselmans sie ins „Autokino“ bittet, ist für ihn und den Kollegen Frank Bormann die Schicht fast gelaufen. Ruhig war’s. Aber Ruhe ist relativ.

 Landkreis – Flächenkreis

Wenn es um Unfallursachen geht, lehrt die Statistik: Häufig ist überhöhte Geschwindigkeit im Spiel. Der  Landkreis Kleve ist ein Flächenkreis mit reichlich Straßenkilometern. Rund 5.000 kommen da zusammen.

Kein Wunder, dass manche der Strecken – gut ausgebaut wie sie sind – zu Verwechslungen führen. Landstraße und Autobahn – wo ist da schon der Unterschied, wenn sonst keiner unterwegs ist? Und ob nun 100 oder 140 gefahren wird? Wo ist da schon ein großer Unterschied? Denken manche und liegen falsch.

Eine zugelassene Höchstgeschwindigkeit wie Tempo 100 auf der Landstraße ist für den Idealfall ausgelegt. Der tritt selten genug ein. Sei es, wie es ist: Seit Jahr und Tag ist (nicht nur) die Polizei im Kreis Kleve den Temposündern auf den Versen. Die Mittel sind vielfältig und reichen vom Starenkasten (in der Zuständigkeit des Kreises) über mobile Radareinheiten bis hin zum Providafahrzeug.

Die Providaautos der Kreispolizeibehörde sind mit Kameras und Aufnahmeeinheiten ausgestattete Zivilfahrzeuge. Jeweils sechs Beamte sind im Nord- und Südkreis mit den Fahrzeugen unterwegs. Zu erkennen sind die Autos nicht. Kein Blaulicht, kein Grünweiß, keine Polizeilogo – nichts.

Erst wenn die Beamten die Sonnenblende herunterlassen, sieht man im vorausfahrenden Auto die rote Leuchtdiodenspiegelschrift „Folgen“. Das gleich gibt’s natürlich auch hinten: Da klappt sich dann aus der Ablage das „Folgen“ Schild nach oben.

Statistik

7.016 Verkehrsunfälle ereigneten sich 2006 im Kreis Kleve. Tendenz: Steigend. Im Folgejahr waren es 7.507 – ein Plus von immerhin 7 Prozent. Personenschäden gab es bei 1.153 Unfällen im Jahr 2006, ein Jahr später waren es 1.196 (plus 3,7 Prozent. Die Zahl der Schwerverletzten Personen lag 2006 bei 293 – ein Jahr später waren es 305 (plus 4,4 Prozent).

Als Erfolg darf gelten, dass im Jahr 2007 die Zahl der Getöteten von 21 (2006) auf 20 zurückging – minus ein also. Andererseits: Ob jemand einen Unfall schwer verletzt überlebt oder getötet wird, darüber entscheidet oft genug der Zufall – da können Sekundenbruchteile entscheidend sein.

Wirft man einen Blick in die Verkehrsunfallstatistik des Kreises Kleve und schaut auf die Unfallursachen, liegt die Zahl der Unfälle mit dem Auslöser „unangepasste Geschwindigkeit“ bei 6,8 Prozent. Ungenügender Sicherheitsabstand steht bei 16 Prozent der Unfälle aus Grund zu Buche. 20 Prozent der Unfälle ereignen sich beim Abbiegen, 46,1 Prozent rangieren unter der Ursache „sonstige“.

Leider weist die Statistik nicht aus, wie viele der Schwerstverletzten oder gar Unfalltoten in Zusammenhang mit nicht angepasster Geschwindigkeit stehen – trotzdem: Die Ahndung der für viele immer noch als Kavaliersdelikt geltenden „unangepassten Geschwindigkeit“ gehört nach wie vor ins Aufgabenspektrum der Polizei.

200 Ps – Fabrikat bayerisch

Jakob Urselmans und Frank Bormann haben ihre Schicht um sechs begonnen. Das Providafahrzeug, mit dem sie unterwegs sind, ist neu in Kleve. Das Fabrikat: Bayerisch. PS: 200. Damit lässt sich arbeiten. Wer Temposündern auf den Versen bleiben will, braucht ein „Werkzeug“, das mithalten kann. Die insgesamt 12 Beamten, die im Kreis Kleve die Providaautos fahren, sind speziell ausgebildet. Unterwegs sind sie immer im Doppelpack. Die Regel: Wer fährt, bestimmt. Jakob Urselmanns ist diesmal als Beifahrer dabei. Er bedient die Aufnahmeeinheit. Alles wird aufgezeichnet. Am Ende muss das Material einen gerichtsverwertbaren Beweis darstellen. Natürlich ist die Kalibrierung der Anlage dabei unerlässlich.

Der überwiegende Teil der „Ertappten“ erkennt das Material an.  Manche legen Einspruch ein. Die Chance dabei geht gegen Null. Urselmanns, Bormann und ihren Kollegen geht es, wenn sie unterwegs sind, nicht um Verkehrsteilnehmer, die vielleicht 6 oder 7 Stundenkilometer zu schnell waren. Wenn die Providabesatzungen das „Folgen“ Schild ausfahren, geht es um mehr: Geldstrafen, Anzeigen, Punkte oder sogar den Entzug der Fahrerlaubnis.

Heute morgen haben Urselmans und Bormann bereits zwei Fahrverbote verhängt. Grund: Überhöhte Geschwindigkeit in einer geschlossenen Ortschaft. Der Bußgeldkatalog sieht vor: Innerhalb geschlossener Ortschaften ist ab einer Mehrgeschwindigkeit von 31 Stundenkilometern zunächst mit einem Monat Fahrverbot zu rechnen. Wer mit einem Plus von 50 Stundenkilometern unterwegs ist, den erwarten bereits 2 Monate Fahrverbot. Kombiniert ist beides mit einem Bußgeld und der entsprechenden Punktezahl in Flensburg. (Einzelheiten zum Bußgeldkatalog unter:

http://verkehrsanwaelte.de/bussgeldkatalog_geschwindigkeit.html).

Vorführeffekt

Der Tag ist ruhig. „Das ist wohl der Vorführeffekt“, kommentiert Bormann die Anwesenheit eines Berichterstatters. Gut ist schlecht und schlecht ist gut. Gut, wenn es ruhig ist, denn je weniger gerast wird, desto weniger kann passieren. Ab und an allerdings „wünschen“ sich die Beamten auch mal einen Erfolg.

Auch im Programm der zu ahndenden Verstöße: Telefonieren ohne Freisprechanlage. Längst haben die Beamten einen zielsicheren Blick dafür bekommen. Aufgenommen wird das in der Regel nicht. Da reicht der „Augenbeweis“. Zwei haben’s gesehen, und die Telefonierer sind meist schnell einsichtig. 40 Euro werden dafür fällig (plus Bearbeitungsgebühr von circa 20 Euro). Dazu kommt ein Punkt. Damit kommen Handysünder in Deutschland noch „günstig“ davon. 190 Euro sind sei kurzem in Holland fällig.

Auf der B 504 zwischen Goch und Kranenburg ist es diesmal ruhig. Eine paarmal setzt Bormann zur Verfolgung eines Schnellfahrers an, aber natürlich ist die Sicherheit der Beamten im Providafahrzeug oberstes Gebot. Manchmal werden die Raser durch ein vorausfahrendes Fahrzeug „gebremst“, bevor Bormann und Urselmanns eine taugliche Messung vornehmen können. Merke: Eine „Messstrecke“ muss lang genug (mindestens 100 Meter) sein. Während der Messung muss der Fahrer darauf achten, dass der Abstand konstant bleibt. Die Providafahrzeuge sind mit je zwei Kameras ausgestattet. Gemessen werden kann also nach vorne und nach hinten.

Auf der B 67 zwischen Reeser Rheinbrücke und Kehrum fällt den Beamten ein Taxi auf. Es ist ziemlich schnell unterwegs. Statt der erlaubten 100 Stundenkilometer ist die Fahrerin mit 134 Sachen unterwegs. Die Straße ist übersichtlich – die Messung unproblematisch. Zur „Spitzengeschwindigkeit“ kommen noch zwei äußerst riskante Über­holmanöver. Diagnose: Tateinheit. Das wird nicht extra aufgeführt. „Würde der Wagen jetzt an einer Kreuzung anhalten, dann weiterfahren und wieder zu schnell sein, ist die Tateinheit nicht mehr gegeben.“ Dann kann es richtig eng werden. „Allerdings würde uns dann ein Richter vielleicht vorwerfen, dass wir hätten früher eingreifen sollen“, schränkt Bormann einen solchen Fall ein.

Termine, Termine

Was die Taxifahrerin angeht, belassen es die Beamten bei zwei Messungen – danach überholen sie und das „Folgen“-Schild wird ausgefahren.

Urselmanns steigt aus, zeigt der Frau seinen Dienstausweis: „Polizei Kleve.“ Es folgt die Aufklärung: „Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?“ Zunächst glaubt die Fahrerin, sie sei in der 70-er Zone zu schnell gewesen. Als sie von den gemessenen 134 Stundenkilometern erfährt, wird sie still. Weint. Warum die unangepasste Geschwindigkeit? „Termine.“ Sie greift zum Handy, ruft den Chef an, sagt, dass es später wird.

Urselmans und Bormann kennen die Terminnöte vieler Verkehrsteilnehmer. „Vor allem bei den Brummifahrern ist das zum Teil absolut unmenschlich“, weiß Bormann. Trotzdem: Als Entschuldigung kann dergleichen nicht gelten. Das Problem: Straßenverkehr ist Kommunikation. Niemand ist allein auf der Straße. Was soll man den Angeghörigen eines Unfallopfers sagen – „Da hatte es jemand eilig“ …

Die Taxifahrerin will „ihren Film“ zunächst gar nicht sehen. Sie zweifelt nicht an dem, was ihr da vorgeworfen wird. Glück im Unglück: Ihren Führerschein wird sie behalten können. Ein Fahrverbot ist außerhalb geschlossener Ortschaft erst fällig, wenn jemand mehr als 41 Stundenkilometer zu schnell unterwegs ist. 75 Euro (plus Gebühr) wird die Frau zurücklassen und drei Punkte mitnehmen. Apropos zurücklassen: Es wird nicht in bar kassiert. Jakob Urselmans schreibt alles Nötige auf. Die Frau wird Post bekommen.

Im „Autokino“ führt Frank Bormann ihr die Mess-Sequenzen vor und erklärt die Zahlen, die auf dem Bildschirm auftauchen, während Urselmans auf dem Rücksitz den Papierkram erledigt.

Typisch gibt’s nicht

„Überhaupt nicht die typische Raserin“, werden die Beamten später sagen und fast liegt ein Hauch Sympathie in den Stimmen. Andererseits: Den „Rasertyp“ gibt es nicht. Die Männlein-Weiblein-Waage ist ausgeglichen. Es gibt auch nicht das typische Raserauto oder -alter. „Wir haben schon alles gehabt“. Natürlich: Wenn es um die „Spitzengeschwindigkeiten“ geht, sind bestimmte Automarken eher zu finden als andere. „Aber die beiden Fahrverbote heute Vormittag – Kleinwagen. Nichts besonderes.“

Viele der Erwischten allerdings sind nach eigener Aussage „nur dieses eine Mal zu schnell gewesen“ und fahren „sonst immer ganz vorschriftsmäßig“.  Natürlich auch immer wieder im Repertoire der Temposünder: „Kümmert euch doch lieber um wichtige Sachen.“

Es gibt nichts Unwichtiges, wenn es um die Senkung der Unfallzahlen geht – und die Providakontrollen sind nun mal Teil eines Gesamtpaketes.

Natürlich gibt es auch eine „Hitliste“ der Verstöße. „Wir hatten mal einen Fahrlehrer, der lustig telefonierend an einem Polizeifahrzeug vorbeifuhr. Der hat das nicht gemerkt und telefonierte noch, als wir ihn nach drei Kilometern angehalten haben“, erinnert sich Bormann.

Dei beiden bereiten sich gegen 13.10 Uhr auf die Rückkehr zur „Hauptstelle“ vor. Da gilt es dann, die Einsatz am Computer aufzuarbeiten. Irgendwann nach 14 Uhr werden sie die Schicht beenden.

Ach ja – hinter dem Kürzel Provida verbirgt sich „Proof Video Data System“.