Schreibkraft
Heiner Frost

Nikolaus im Frauenhaus

Foto: Rüdiger Dehnen

Nicht synchron

Natürlich findet Heiligabend am 24. Dezember statt. Jeder weiß das. Aber was ist schon ein Datum? Das „Fest der Liebe“ – jedes Jahr liest man es aufs Neue – wird für viele zum Fest der Einsamkeiten, weil Erwartungen und Wirklichkeit sich nicht synchronisieren lassen; weil plötzlich Kommunikation stattfinden soll – Kommunikation, die längst zum Ausnahmezustand geworden ist. Es gibt Orte, wo sich das Scheitern offenbart. Nicht das Scheitern eines ganzen Lebens – aber eines Entwurfs vom Zusammensein in einer intakten Beziehung, eines Traums von Partnerschaft – vielleicht sogar von Romantik. Ein Frauenhaus ist vielleicht ein solcher Ort. Frauen, die – allein oder mit ihren Kindern – ins Frauenhaus gehen, haben in ihren Beziehungen Gewalt erlebt. Was mit Liebe begann, endet im emotionalen Chaos – im Zwiespalt aus Festhaltenwollen und Nichtmehraushaltenkönnen.

Unsichtbar

Gewalt kann auf vielen Ebenen stattfinden – auch ohne Schläge, ohne sichtbare Zeichen. „Frauen, die zu uns kommen, haben Gewalt in ihrer Beziehung erlebt“, sagt Andrea Hermanns, Leiterin des Klever Frauenhauses. Gewalt, auch so viel ist sicher, ist nicht unbedingt an soziale Schichten gekoppelt. Den Weg ins Frauenhaus finden allerdings eher diejenigen, die zusätzlich zur Gewalt auch noch in finanziellen Schwierigkeiten stecken und keine Familie haben, die ihn en Schutz und Rückhalt bietet. Gewalt gegen Frauen gibt es in allen Schichten. Niemand sollte glauben, dass Bildung allein vor Gewalt schützt.
Zurück zum Fest der Liebe und des Friedens: „Wir versuchen natürlich – gerade in der Advents- und Weihnachtszeit – auch ein bisschen von dieser Stimmung einzufangen“, sagt Adelheid Baumeister. Sie ist Erzieherin und gehört seit 30 Jahren zum Team des Frauenhauses. Legt sich das Erleben aufs Gemüt? „Ich glaube, da gibt es Berufe, die für mich viel belastender wären. Bestatter zum Beispiel – das könnte ich nicht, oder Ärztin auf einer Intensivstation. Natürlich erleben wir hier Geschichten, die traurig und tragisch sind, aber wir erleben auch anderes. Ein Frauenhaus kann ja auch zum Startpunkt werden.“ Frauenhäuser sind Intensivstationen anderer Art. Adelheid Baumeister kann die Frage nach dem Erleben auch kürzer beantworten: „Ich bin jetzt 30 Jahre dabei.“ Sprich: Frau hat einiges mitgemacht und wo auf der einen Seite traurige Geschichten passieren, gibt es immer wieder die Möglichkeit, Leben wieder in eine Bahn zu lenken, die in die richtige Richtung deutet. Natürlich ist jeder Geschichte einer Frau, die ins Frauenhaus kommt, ein Drama vorgeschaltet. Aber das Frauenhaus ist ein erster Hafen – es zeigt die Möglichkeit eines Lebens ohne Bedrohungen und Gewalt und Baumeister gehört zu einem Team von Menschen, die eben das ermöglicht.

Engel oder Zauberer

Acht Frauen können in Kleve untergebracht werden. Dazu zwölf Kinder. Dann ist die Kapazität erschöpft. Für Kinder ist die Advents- und Weihnachtszeit etwas ganz Besonderes. „Natürlich haben wir hier auch Adventskränze, schmücken mit den Kindern zwei oder drei Tage vor Weihnachten den Tannenbaum und bauen eine Krippe auf. Jedes Jahr kommt der Nikolaus zu Besuch, bringt Geschenke mit und liest aus seinem Buch vor“, erzählt Andrea Hermanns. Heiligabend findet im Klever Frauenhaus am 23. Dezember statt. Das Christkind ist ein „Frühchen“ und das hat seinen Grund. „Die meisten unserer Klientinnen versuchen natürlich, die Festtage bei ihren Familien zu verbringen. Wir klären vorher natürlich ab, ob eine Frau keiner Gefahr ausgesetzt ist, wenn sie das Haus verlässt. Am 23. Dezember sind aber alle hier, und da kann es auch sehr lustig zugehen“, beschreibt Hermanns. Und da im Klever Frauenhaus immer wieder auch Muslima wohnen, kommt zur Weihnachtsfeier nicht immer ein Engel – es kann auch schon mal ein Zauberer sein. Schwer wird es, wenn kurz vor dem Fest eine neue Klientin kommt. Adelheid Baumeister: „Das haben wir alles schon erlebt. Natürlich ist das eine belastende Situation.“

Jasmin

Jasmin kam im letzten Jahr am 14. November nach Kleve. Ihre Tochter war vier Wochen alt. Die junge Muslima kam aus einem Frauenhaus in Süddeutschland und hatte alles zurückgelassen – auch die Familie. „Ich bin zehn Monate im Klever Frauenhaus gewesen“, erinnert sich Jasmin, die sich – so weit das möglich ist – wohl gefühlt hat. „Ich habe heute noch Kontakt zu einigen Frauen, die damals mit mir zusammen hier waren. Mit einer werde ich auch Silvester zusammen feiern.“ Und wie war Weihnachten im Frauenhaus?  „Für mich war das nicht wirklich schlimm. Ich bin 23 Jahre alt, lebe sei über 22 Jahren in Deutschland und habe vorher nie Weihnachten gefeiert. Aber die Nikolaus- und Weihnachtsfeier haben mir gut gefallen. Am 23. Dezember haben wir morgens alle zusammen gefrühstückt, später gab es dann für jeden auch kleine Geschenke. Das war eine schöne Atmosphäre.“ Im Juli dieses Jahres ist Jasmin dann in eine eigene Wohnung gezogen, aber den Kontakt zum Frauenhaus hält sich weiterhin. „Ich war zusammen mit meiner kleinen Tochter zur Nikolausfeier eingeladen, aber leider musste meine Tochter ins Krankenhaus. Deswegen konnten wir nicht dabei sein.“ Jasmin sagt, dass es ihr gut geht – jetzt. Und dass das so ist, hat auch etwas mit der Unterstützung zu tun, die ihr hier zuteil geworden ist. „Wenn meine Tochter in den Kindergarten kommt, möchte ich mich um eine Ausbildung kümmern“, sagt Jasmin und lächelt. Wie viele Frauen werden diesmal zu Weihnachten im Klever Frauenhaus sein? Andrea Hermanns: „Das kann sich natürlich immer noch ändern, aber derzeit sieht es so aus, als würden sieben Frauen und drei Kinder hier sein.“

Andere Zeiten

Was hat sich eigentlich in 30 Jahren Frauenhaus geändert? Adelheid Baumeister: „Wir spüren hier deutlich den Einzug der neuen sozialen Netzwerke. Früher war es so, dass wir von den Kontakten der Frauen zu ihren Männern mehr mitbekamen. Es gab nur einen Telefonapparat im Haus. Den musste alle benutzen.  Heute haben die meisten Frauen ein Handy oder Smartphone und bekommen SMS, stehen in Kontakt zu ihren Männern und dann kommt es vor, dass eine Klientin sozusagen von jetzt auf gleich zurück zu ihrem Mann geht.“
In den meisten Fällen endet alles in der derselben Spirale der Gewalt. „Natürlich haben die Väter Rechte. Aber manchmal schmerzt es schon, wenn wir mitbekommen, dass ein Kind sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen und Füßen wehrt, den Vater überhaupt zu sehen“, sagen Hermanns und Baumeister.
Bekommt eine zerbrechende Beziehung in der Weihnachtszeit ein anderes Gewicht? Andrea Hermanns: „Ich glaube, solche Erfahrungen sind immer schrecklich. Natürlich kann es sein, dass gerade um Weihnachten herum Einsamkeit anders empfunden wird.“ Vielleicht zerbricht die heile Welt in der Weihnachtszeit mit lauterem Getöse.

Foto: Rüdiger Dehnen

Foto: Rüdiger Dehnen