Schreibkraft
Heiner Frost

Das Licht des anderen Spiels

Fotos aus dem Buch: "Flutlichter" 2014 Spielmacher Verlag Südstadion Köln /Fortuna Köln

Denkt man an Bilder vom Fußball, blitzen vor dem inneren Auge Spielerportraits auf oder Torszenen, Fankurven oder weinende Anhänger nach dem Abstieg.Und dann kommt da ein Fotograf, macht ein Buch über Fußball und es gibt Dinge, die nicht auftauchen: Torszenen, Fans, Spieler.

Was bleibt denn da?

Denkt man an Bilder vom Fußball, blitzen vor dem inneren Auge Spielerportraits auf oder Torszenen, Fankurven oder weinende Anhänger nach dem Abstieg. Und dann kommt da ein Fotograf, macht ein Buch über Fußball und es gibt Dinge, die nicht auftauchen: Torszenen, Fans, Spieler.Was bleibt da noch übrig? Vielleicht verrät es der Titel: „Flutlichter“. Der Halderner Fotograf Christoph Buckstegen ist dem Fußball verfallen. Man kann das so sagen. Und dann legt er ein Fußballbuch vor, in dem weder Füße noch Bälle auftauchen. Geht denn das? Antwort: Ja. Fett gedruckt. Doppeltunterstrichen. Ausrufezeichen.

Aussterbende

Buckstegen hat Aussterbende gesucht. Es geht um Stadien, die noch mit Flutlichtmasten arbeiten. „Das ist heutzutage längst eine Seltenheit. Bei allen modernen Stadien sind die Flutlichtanlagen in die Konstruktion eingearbeitet. Flutlichtmasten finden da nicht mehr statt.“ Was ist das besondere an Fluchtlichtmasten? Buckstegen: „Da geht das abgestrahlte Licht über das Stadion hinaus.“ Aufwändig gesprochen: Das Umfeld bekommt etwas vom Glanz des Fußballs ab. Eben danach hat Buckstegen gesucht und dabei Poesie gefunden. Schreiber arbeiten mit Sprache – Fotografen mit Licht. Geschichten erzählen am Schluss beide, aber während der Schreiber sich Zeit lassen kann, muss der Fotograf alles in ein Motiv bekommen.

Ohne Blitz

Buckstegens Mission: „Während gespielt wurde, im Umfeld der Stadien Motive suchen, finden, fotografieren. Während also im Stadion die Spiele liefen, spielte Buckstegen draußen sein „Solo mit Kamera“, für das er das Licht des anderenSpiels nutzte. „Das geht natürlich nur im Frühjahr oder im Winter“, erklärt Buckstegen, der alle Bilder im Buch natürlich „ohne Blitz“ aufgenommen hat. Dabei herausgekommen sind Stillleben der anderen Art – Kompositionen, die manchmal erschreckend sachlich wirken und dann wieder atemberaubendschönzauberhaft sind – bei denen man an alles denkt, aber nicht an Fußball. Wenn das Wetter diesig ist, lässt das Fluchtlicht abseits des Stadions eine illuminierte Wand entstehen und man möchte schwören, das Bild ist bei Tageslicht aufgenommen.

Der zweite Blick

Erst der zweite Blick offenbart das Kunstwerk. Elf Stadien hat Buckstegen besucht und insgesamt 67 Bilder ins Buch genommen. Das klingt so einfach, aber natürlich ist klar: Nicht die Kamera macht das gute Bild – es ist der Blick des Fotografen, das Gespür für die Komposition. Der Reiz beim Flutlichtprojekt: „Du hast nicht ewig Zeit. Das Fluchtlicht wird kurz vor dem Spiel eingeschaltet und bleibt vielleicht noch 30 oder 40 Minuten nachher an – dann musst du fertig sein.“ Buckstegen, der auch für „11 Freunde“ fotografiert, hat für„Fluchtlichter“ jedes Stadion nur einmal besucht. Was er fotografiert hat, ist ein Stück Verlöschung.

Abgenabelt

„Früher lagen viele Stadien mitten in der Stadt. Das sind auch die Stadien,wo es noch Flutlichtmasten gibt. Neue Stadien werden draußen vor der Stadt auf die Wiese gestellt, und Flutlichtmasten gibt es dann nicht mehr.“ Der Fußball hat sich abgenabelt. Damit geht auch ein Stück Stimmung verloren.Ist „Flutlichter“ nun ein Buch für Fußballfans? Ist es einBuch für Fotografen oder die Liebhaber von Stillleben? Vielleicht sind Schnittmengen gefragt. Buckstegen ist einer, der den Fußball von innen kennt und sich eben deswegen um das Außen kümmern kann. Sein letztes Werk vor „Flutlichter“:„Letzter Spieltag Bökelberg“ – auch ein Dokument des Verklingens – eines, das den letzten Tag eines Stadions eben nicht beschreibt sondern in Bildern nacherzählt. Buckstegen ist einer von denen, die Abwesenheiten verdeutlichen können. Eben das macht seinen Erzählstil aus. Wer sich das Titelbild von „Flutlichter“ anschaut, ist sofort verzaubert – man möchte meinen, dass da einer wochenlang ein Motiv ausgeleuchtet hat, um dann den Augenblick des Wunderbaren festzuhalten. Fast schon wirkt Buckstegens Foto eines heckengesäumten Weges, der hinter einer Biegung ver-schwindet, wie ein Relief. Man möchte Blätter vom Boden aufheben. Und während man noch nachdenkt, wie viel Aufwand wohl dieses Bild brauchte, sitzt Buckstegen da, erzählt die Geschichte des Buches und der Bilder und langsam beginnt das innere Staunen, das sich nicht nach dem letzten Bild ausknipsen lässt wie eine Flutlichtanlage. BuckstegensKompositionen hinterlassen eine Spur im Hirn und erzählen unterschiedliche Geschichten nach dem Motto: Erst die Hornhaut, dann die Hirnhaut. Manche Bilder: Exkursionen in einen unliebenswerte Vergangenheit. Da wäre die Geschichte des Nürnberger Stadions, dessen Flutlicht einen Teil der schmutzigbraunen Geschichte Deutschlands ausleuchtet, indem es sich auf die Reste des Parteitagsgeländes legt. Längst ist klar, dass – ob nun beabsichtigt oder nicht – hier hat einer die Nation belichtet, indem er auf die Nebenschauplätze ausweicht. Falsch: Buckstegen weicht nicht aus. Er sucht das Abseits und findet kleine Romane unter Flutlicht. Theater kann man auch erzählen, indem man die Menschen fotografiert, die am Ende herausgelaufen kommen, Kriege erzählen, indem man Schlachtfelder zeigt. Buckstegens „Flutlichter“ zeigen die zweite Instanz des Fußballs und fordern ein Zum-Ende-Denken heraus. So viel ist sicher: Je öfter man sich die Bilder ansieht, um so besser werden sie – um so intensiver schleichen sich die Geschichten ins Hirn, hinterlassen Sprachlosigkeit hier, Staunen da, Schmunzeln dort.

Die Stadien: Bochum (Ruhrstadion), Braunschweig (Ein-tracht-Stadion), Bremen (Weserstadion), Darmstadt (Merck-Stadion am Böllenfalltor), Freiburg (Dreisamstadion), Karls-ruhe (Wildparkstadion), Köln (Südstadion), Krefeld (Groten-burg-Stadion) Hamburg (Millerntor), Oberhausen (StadionNiederrhein), Nürnberg (Frankenstadion) Erschienen ist„Fluchtlichter“ im Verlag „Spielmacher“und kostet 35 Euro,was, gemessen an dem Gewinn von Ästhetik, den es in sich trägt, ein Schnäppchenpreis ist.

Christoph Buckstegen