Es ist Kunst. Sagt der Kurator. Mit der Einsortierung gibt es Probleme. Aber das macht doch nichts. Schubladen sind für die, die nicht denken – also arbeiten – wollen und am liebsten gleich mit dem Stempel anrücken. Der Besen am Eingang ist nicht Teil der Ausstellung. Sagt der Kurator. Wäre man drauf gekommen? Wahrscheinlich schon.
„Early Harvest“ (Frühe Ernte) heißt die Ausstellung, die das Museum Schloss Moyland bis zum 19. November zeigt. Eine große Ausstellung: Groß die Formate. Groß die Thematik. Ein Thema für die ganze Welt. Sagen die Museumsleute. Stimmt: Irgendwie ist die Welt auch das ganze Thema. Nicht weniger. Nicht mehr.
Tea Mäkipäa denkt. Die Welt ist ihr Ziel – ihr Thema. Sie ist nicht angetreten, uns zu retten – das wäre zu viel verlangt. Nicht einmal die Eulenspiegelin gibt sie. Kein Spiegel, in dem wir unser Fehlverhalten sehen und anschließend bereuen sollen. Trotzdem ist „Early Harvest“ mehr als eine Ausstellung. Tea Mäkipäa stellt Fragen. Sie fängt bei sich selber an.
Kaum hat man die große Ausstellungshalle geentert, trifft man auf die „10 Gebote für das 21. Jahrhundert“.
Das erste ist kurz. Zwei Worte bilden einen Imperativ: „Fliege nicht.“ Das zweite Gebot schafft es noch schneller ins Hirn. Ein Wort: „Recycle.“ Ein bisschen ist es wie mit dem dickengroßen Buch, in dem auch 10 Gebote stehen. 1. Fliege nicht. 2. Recycle. 3. Benutze das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel anstatt des Autos. 4. Vermeide das Heizen und das Benutzen von Klimaanlagen, wenn möglich. 6. Meide alle Produkte, die von weither kommen. 7. Kaufe nichts, bei dem du nicht wirklich weißt, dass du es brauchst. 8. Produziere nicht mehr als zwei Kinder. 9. Kultiviere, bebaue oder verbrauche kein unberührtes Wasser oder Land. 10. Mach all diese Schritte für dich oder andere günstig und leicht zugänglich. Später erfährt man, dass die Künstlerin fünf Kontinente bereist hat und beginnt, sich Sorgen zu machen. Sie wird hoffentlich nicht gepaddelt und geradelt sein. Ein bisschen verleiten die zehn Gebote zum geistigen Ausschweifen, obwohl all das an irgendeinem Punkt vernünftig ist.
Kunst oder Utopie? Schon vor diesem Exponat sind reichlich geistige Schlägereien denkbar. Fragen auch: Wo wird alles, was für die Ausstellung verbaut wurde, recycelt? Wo kam es her? Nein – das führt zu nichts. Lieber die Kunst ansehen – das Haus, das im Schlossteich ertrinkt, die Grabsteine, die auf den Grünflächen ruhen, als seien sie immer schon dort gewesen. Das Skelett eines Hauses. Anleitungen zum Nachdenken? Ja. Auch.
Folgender Text wird geboten: „Themen von globaler Bedeutung künstlerisch auf den Punkt gebracht: Early Harvest – das möglichst frühe Einfahren einer immer reicheren Ernte – steht programmatisch für die Arbeiten der finnischen Künstlerin Tea Mäkipäa. In ihrer Ausstellung im Museum Schloss Moyland geht es um Fragen der Ökologie, der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und nach unserer Konsumhaltung. Was bedeutet das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, die Rohstoffausbeutung unseres Planeten, das Streben nach immer größerem Wohlstand oder der Klimawandel für unsere Zukunft?“
Wahrlich große Themen, die da ins Visier der Kunst geraten sind. Es wird klar: Nicht jeder, der eine Frage stellt, muss eine Antwort haben. Das würde den Sinn des Fragens abschaffen. Am Ende werden wir vielleicht an der Synchronität von Postulaten und Verhalten gemessen. Was Mäkipäa in Moyland ausstellt, lässt Befindlichkeiten entstehen. Man möchte diskutieren: Über das wie und was und warum. Andererseits möchte man sich auch einfach der Kunst anvertrauen. Nimmt man die 10 Gebote für das 21. Jahrhunderts weg, ist „Early Harvest“ zumindest eines nicht: Ein Ausstellung gewordenes schlechtes Gewissen. Gut so. Natürlich ist es Kunst. Und: Es hat den Anschein, dass Mäkipäa nicht in erster Linie an dem Konzept „Kunst um der Kunst willen“ hängt.
Mäkipäa lässt auch Raum, der Kunst gegenüberzutreten – das eigene Denken auf all das loszulassen, was es zu sehen gibt. Ist also „Early Harvest“ eine lohnenswerte Ausstellung? Ja. Spektakulär ist vieles noch dazu. Während man so denkt, taucht die Frage auf, wie viel Spektakel es heutzutage braucht, um wahrgenommen zu werden – in der Kunst, in der Politik … überhaupt. Schnell wird klar: Ohne die Mäkipäa wäre all das jetzt nicht gedacht worden. Oder anders. An anderer Stelle. Aber wer weiß das schon.
Early Harvest ist noch bis zum 19. November zu sehen und man fragt sich, ob die Mäkipäa den Moyländern das ertrinkende Haus zurücklassen wird. Es schwimmt sooo schön im Schlossteich. Und es einfach da zu lassen, wäre noch dazu nachhaltig … womöglich. Weiß man‘s?
Mäkipäa: Das Haus im See
6. Juli 2017
Foto: Rüdiger Dehnen