Geschichte erzählt häufig von den Großen. Die Kleinen tauchen nur selten auf und wenn, dann sind sie die Verlierer … Wie schön, dass es die Geschichte von Maria T. gibt. Geboren wurde sie 1904 in Geldern, gestorben ist sie 1987.
Stille Orte
Entdeckt wurde Maria T. vom Gelderner Künstler Peter Busch. Der war 2007 im Rahmen des Schlossfestes eingeladen, im Moerser Schloss auszustellen. Das Thema: „Stille Orte.“
Busch sollte im Rittersaal ausstellen, was er auch tat. „Aber die Kuratorin merkte ziemlich schnell, dass ich noch auf der Suche nach einem anderen Ort war“, erinnert sich Busch. „Ich glaube, ich weiß da was“, sagte sie und führte Busch zu einer Räumlichkeit unterhalb der Eingangstreppe. „So gelangte ich in eine längst stillgelegte Toilettenanlage. In den Toilettenschüsseln: Laub.“ Eine Begegnung mit der Vergangenheit. Und Busch wäre nicht Busch, wenn er nicht gedacht hätte: Wo eine Toilettenanlage war, da muss es doch auch eine ‚Klofrau‘ gegeben haben.
Recherchen
Busch begann seine Recherche und fand Maria T. – jüngerer Teil eines Zwillingspaares: Maria und Käthe. „Die Käthe hatte 20 Minuten Vorsprung.“ Die beiden hatten noch einen Bruder, Julius. „Der war mehr als 50 Jahre Missionar in Brasilien“, sagt Busch und zeigt ein passfotogroßes Schwarzweißbild. Ein Bild von Julius‘ Schwester Maria hat Busch nicht finden können, aber für die Ausstellung am 9. September 2007 setzte er der Toilettenfrau ein Denkmal und dokumentierte das Leben einer Verschollenen.
„Die Geschichte erinnert sich nicht an die vermeintlich Unbedeutenden“, sagt Busch. Was er allerdings im Lauf seiner Recherchen aus dem Leben einer streng katholischen Frau zutage förderte, ist erstaunlich.
Maria T. – eigentlich gelernte Schneiderin – besserte ihr bescheidenes Einkommen damit auf, dass sie an den Wochenenden mit dem Rad nach Moers fuhr, um dort als Toilettenfrau zu arbeiten. Busch: „Viele Park- und Schlossbesucher erinnerten sich an eine kleine, freundliche, etwas sonderbar-kauzige Frau, die sich als ‚Königin der Toilettenfrauen bezeichnete.“
Lass sie auch zu mir kommen
Und als ob all das nicht schon schräg genug wäre, hat Busch herausgefunden, dass der Maria T. im Jahr 1950 in eben jenem Toilettenkeller unter der Schlosstreppe die Jungfrau Maria erschien. „Zu dir kommen sie alle – lass sie auch zu mir kommen“, soll die Heilige der Toilettenfrau gesagt haben. „Daraufhin hat Maria T. da unten eine gipserne Marienstatue aufgestellt. Die allerdings litt unter der Feuchtigkeit und Maria T. ersetzte sie neun Jahre später durch eine ‚Madonna mit Kind‘ des Gelderner Bildhauers Josef Bösken“, erzählt Busch. Auch dazu gehört eine Geschichte: „Die Maria hatte immer auf eine Reise nach Lourdes gespart. Schließlich hat sie aber das Ersparte für den Kauf der ‚Madonna mit Kind‘ eingesetzt.“
Nicht mehr auffindbar
Schräg genug? Nicht wirklich. Busch: „Bemühungen der Stadtverwaltung, Maria T. selig sprechen zu lassen, scheiterten am fehlenden Nachweis der ‚wundersamen Tätigkeit‘.“ Der Schriftverkehr zwischen Stadtarchiv und Vatikan sei, so Busch, leider nicht mehr auffindbar.
„Die Maria T. habe ich leider nicht kennenlernen dürfen, aber durch die Recherchen habe ich schon das Gefühl, diesem Leben sehr nah gekommen zu sein – mich sehr gut darin auszukennen“
Frau im weißen Kittel
Sichtet man das Material zur Ausstellung in Moers, findet sich ein Foto: Eine Frau im weißen Kittel sitzt an einem Tischchen. Ist das Maria T.? Busch: „Wie schon gesagt: Es gibt leider kein Foto der Maria T., aber für die Rekonstruktion habe ich eine Frau im weißen Kittel an einem Tischchen im Toilettenkeller Platz nehmen lassen. Sie war dann die Stellvertreterin. Während der Ausstellung kam dann eine Frau zu mir und hat sich bedankt. ‚Endlich mal einer, der an uns kleine Leute denkt‘, sagte die zu mir und fügte im Weggehen hinzu: ‚Herr Busch, ich bin auch Toilettenfrau gewesen.‘ Schöner kann man doch nicht bestätigt werden“, sagt Busch und man merkt ihm an, dass ihn die Sache noch heute anrührt.
Kerzenschein
„Die Maria T. hat ja später da unten in ihrem Keller auch Kerzen verkauft. Das ist schon irgendwie besonders.“ Übrigens hat auch Busch für seine Rekonstruktion Kerzen angeboten. „Und zum Schluss brannten die alle.“ Später hat Maria T. – ebenfalls in Moers – eine kleine Änderungsschneiderei betrieben. Die nannte sich ‚Grafschafter Nähstube‘ und die gibt es meines Wissens noch immer.“
Wirklichkeiten
Bei einer geführten Tour zu besonderen Orten in Moers ist Maria T.s Arbeitsplatz noch immer eine Station. Und wenn jetzt jemand käme und die Installation noch einmal zeigen möchte? „Dann wäre das überhaupt kein Problem. Ich habe ja alle Sachen noch.“ Am Ende bleibt die Frage, ob all das nun eine Kunstaktion war oder ob es Maria T. wirklich gegeben hat. Busch: „Wann, bitte, setzt Wirklichkeit ein? Kunst übt doch immer Wirkung aus. Wer entscheidet am Ende über das Reale? Das ist doch bestenfalls eine Vereinbarung.“