Schreibkraft
Heiner Frost

Ein blauer Schmetterling

Ein Ausflug in den Zoo ist immer schön, oder? Erst recht, wenn Besuch da ist und man nach einer Attraktion sucht. Und noch erst rechter, wenn Kinder dabei sind. Also: Lust auf Safari? Oder Ozean? Oder Wüste? Oder Dschungel? Ungläubiges Staunen. „Ja, ja … und gleich landet der Hubschrauber im Garten.“ „Falsch: Wir nehmen das Auto.“ „Wie jetzt???“ „Auf nach Arnheim. Burgers Zoo.“ Das ist quasi um die Ecke – von Kranenburg aus gesehen, pardon: gefahren.

Schon auf dem Parkplatz wird klar: Die Idee mit dem Zoobesuch haben auch andere gehabt. Kennzeichen aus halb Europa. Das Gute: Das Gelände ist ziiiiemlich groß. Die Menge verteilt sich. Am Eingang gibt‘s erst mal den Plan. Safari, Ozean, Affen, Elefanten, Löwen – es ist jede Menge los und fast hätte man vor lauter Orientierungsblicken die friedlich schmusenden Pinguine übersehen. Am Pantherkäfig steht man geduldig – Rilke im Kopf – vor dem Zaun. Es tut sich: nichts. Ein paar Meter weiter – ein Schild: „Det verblijf is tijdelijk leeg.“ Die „Ansage“ gibt‘s auch auf Deutsch und Englisch: „Es gibt vorübergehend keine Tiere in dieser Anlage.“ „Die sind auf Urlaub“, ulkt jemand. Die gute Nachricht: Alle anderen Tiere scheinen keinen Urlaub bekommen zu haben. Gottseidank.
Natürlich kann man sich Dokus im Fernsehen anschauen, aber es ist einfach etwas ganz anderes, die Tiere selbst zu erleben. Man kommt nicht so nah heran, aber vom Gefühl her ist alles dichter. Da schwebt im Tropenhaus ein blauer Schmetterling von Kinderhandtellergröße vorbei und irgendwie wird man andächtig. Am Vortag hatte man in der Zeitung gelesen: „Ab heute gerät die Ökologie ins Minus“. Irgendwie schwirrt dieser Satz in Greifnähe mit dem blauen Schmetterling durch die Gedanken. Irgendwie wird man melancholisch. Irgendwie fühlt sich alles Wunderbare hier ein bisschen abschiedsbeladen an in seiner Schönheit. Da grasen die Zebras im Schlagschatten der Giraffen, ein Elefant führt ein Tänzchen auf, als wüsste er, dass man – den Finger am Auslöser – auf das Besondere gewartet hat.

Man durchstreift die Klimazonen. Leidet unter Urwaldsfeuchtigkeit und Wüstenhitze, freut sich auf den Ozean und Fische in allen Größen und Farben. Das alles fühlt sich echter an als jedes Fernsehbild. Da beobachtet man einen Schimpansen, der mit einem Stock Chicoreeblätter aus dem Wasser fischt, während er an einer Aubergine subbelt. Man ist beeindruckt von dieser wunderbaren Gelassenheit. Da liegen Löwen lahm in der Mittagssonne und verraten nicht, dass sie, wenn der Hunger kommt, auch anders können und müssen. Da fühlt man sich wirklich wie auf einer Safari, ohne ökologisch große Fußabdrücke zu hinterlassen. Da lernt man ein Stück Welt kennen, ohne die große Reise machen zu müssen. Fast vergisst man, dass „da draußen“ eine Welt – diese Welt – im Sterben liegt. Aber dafür können sie hier nichts. Burgers Zoo stellt Erleben zur Verfügung. Ein gigantischer Erlebnisapparat ist das: eine Weltmetropole der Tiere. Ach ja: Schon mal Karibik-Manatis gesehen? Sie leben im Wasser und sehen ein bisschen aus wie ein Walroß als Pazifist. Irgendwie zu groß um drollig zu sein und irgendwie traurigwitzig anzuschauen.In Burgers Zoo sind aber längst nicht nur die Tiere sehenswert. Es geht schließlich um Flora und Fauna und manche der Grünpflanzen im Tropenhaus haben so große Blätter, dass man sich alle paar Meter beim Laufen umdreht. Könnte es vielleicht doch sein, dass hier plötzlich ein Saurier aus dem Unterholz bricht? Keine Angst. Kann nicht passieren. Die Saurier sind „extinct“: ausgestorben.

Und wie man so ans Aussterben denkt, kommt die Melancholie zurück und spielt verrückt im Kopf. Das alles hier, denkt man, ist keine Insel der Seligkeiten. Das alles hier kannsollmuss sensibel machen.
Burgers Zoo – das sind neben Pflanzen und Tieren auch die Klänge: da melden sich Vögel zu Wort, die es mühelos mit jeder Sirene aufnehmen könnten. Da ist im Tropenhaus die Allgegenwart des Gleichzeitigen zu hörensehenfühlen. Man taucht ab – im übertragenen und im wörtlichen Sinn. Tierparks, denkt man, sind Bewusstseinserweiterungsmaschinen – Orte an denen klar wird, dass die Herrschaft des Menschen über die Natur oft genug durch nichts zu rechtfertigen ist. Tierparks sind Orte, an denen klar wird, was wir zu verlieren haben. Der Streifzug durch die Welten ist ein Erlebnis – eines, das haften bleibt.
Am Ende die Fragen aller Fragen – eine, auf die nur Kinder kommen. Man hört sie im Vorübergehen. Knirps an Papa: „Sprechen die Nashörner hier eigentlich Niederländisch?“