Schreibkraft
Heiner Frost

Die Versendung mit der Maus

Kampagne

Wenn sich in Appeldorn weißer Dampf in den Himmel arbeitet, ist Kampagnenzeit. Alles dreht sich dann um die süßen Rüben, die vor ihrem Eintreffen bei Pfeifer & Langen, der Zuckerfabrik am unteren Niederrhein, schon ein paar Stationen hinter sich haben. Rübenernte ist alles andere als eine süße Angelegenheit. Es geht um Hektar und Tonnen, und längst sind die Schritte auf dem Weg zum weißen Gold mit Hightech versehen. Wo auf der Rübenseite die Tonnage zählt, stehen bei den Erntemaschinen Pferdestärken zu Buche.

Der Maschinenpark, der für eine effiziente Ernte längst unverzichtbar geworden ist, befindet sich nicht in Bauernhand: Das könnte sich kaum ein Landwirt leisten. Erntezeit ist daher Lohnunternehmerzeit, und am Ende ist „Rübenverschickung“ eine Frage der Logistik: Es geht nicht nur darum, die Zuckerfrüchte aus der Erde zu holen — auch der Versand gehört zum Geschäft.

Das Ernteduett

Alles beginnt mit den Rübenrodern, denn schließlich müssen die klobigen Lieferanten für Kraut und Zucker erst einmal aus der Erde geholt werden: Vollautomatisch ver-steht sich. Das Ernteduett. Gebraucht werden: Ein Fahrer und eine Maschine. Die Arbeit auf dem Rübenroder ist nicht eben ein Traumjob für Kommunikationsbedürftige, denn alles funktioniert nach dem Prinzip: Ein Mann — ein Acker – ein Roder. Detlef Wächter ist ein solcher Mann. Herr über eine Maschine, die mit 420 Pferdestärken Rüben erntet. Dazu sind verschiedene Schritte nötig. Da ist zum einen die Rübe, die aus der Erde muss und zum anderen das Grün. Früher wurde es verfüttert. Das wird heute nicht mehr gemacht. Der Nährstoffgehalt der Rübenblätter ist zu gering. Das lohnt den Aufwand nicht. Also muss der Roder das Grün fein säuberlich vom Rübenkopf abtrennen, zerkleinern und zurück aufs Feld spucken. Wo der Roder gefahren ist, bleibt ein grüner Teppich aus Blätterklein zurück.

Viel Rübe – wenig Erde

Die Maschine befördert die Rüben anschließend in einen Drahtcontainer am hinteren Ende: 17 Tonnen fasst der und wenn er randvoll ist, wird abgefahren — allerdings nicht zur Fabrik, sondern erst mal zur Miete. Da liegen die Feldfrüchte meist ein bis drei Tage, bevor sie abtransportiert werden. Auf dem Weg vom „Rübengebiss“ des Roders bis zum Drahtcontainer wird auch noch gereinigt, denn am Schluss sollen Rüben auf die Miete und nicht die Erde.

Die Reinigung allerdings geht nicht mit Wasser vonstatten, sondern durch Rütteln. Was am Schluss noch übrig bleibt, trocknet auf der Miete nach. Wenn die Rüben bei der Fabrik ankommen, ist es wichtig, dass möglichst viel Rübe und möglichst wenig Erde angeliefert wird, denn in Appeldorn wird bei jeder einlaufenden Fuhre nicht nur der Zuckergehalt bestimmt — es wird auch der Verschmutzungsgrad geschätzt. Schließlich lässt sich aus Dreck schlecht Zucker machen, und bei einer Ladung von 23 Tonnen (der Preis rechnet sich nach Gewicht und Zuckergehalt), macht es schon einen Unterschied, ob da vielleicht eine Tonne Erde mitgeliefert worden ist.

Zehn Jahre auf der Maus

Einen Hektar Rüben erntet Detlef Wächter mit dem Roder pro Stunde. 54 Liter der Diesel gehen dabei durchschnittlich drauf — bei schwerem und nassem Boden können es auch mal 60 Liter und mehr werden. Wenn das Feld abgeerntet ist, geht’s weiter zum nächsten.

Wenn die Rüben ihre Liegezeit auf der Miete hinter sich haben, beginnt „die (Ver)Sendung mit der Maus“. Das Fernsehen allerdings hat damit eher wenig zu tun — es geht eher um die nächste Maschine auf dem Weg zur Zuckerfabrik. Maik Pasmer sitzt seit zehn Jahren auf der Maus. Was niedlich und handlich Maus genannt wird, entpuppt sich bei Sichtkontakt als rübenverladender Titan, der über einen 13 Meter langen Ausleger 180 Tonnen Rüben pro Stunde auf die Lastwagen und Treckerzüge verlädt. Um die Maus arbeitstechnisch auszulasten, sind sechs bis acht Rübenroder gefragt: Logistik auf dem Acker tut not. 280 PS, Arbeitsbreite 8,60 Meter und rund 1.300 Liter Diesel pro Woche — das sind die Mausdaten. In rund 2,60 Meter Höhe befindet sich das Cockpit mit dem drehbaren Stuhl und den Monitoren — Hightech allüberall.

Geschüttelt – nicht gerührt

Einzig „natürlich“ sind noch die Rüben.  Alles andere kontrolliert der Rechner. Zur Maus gehören neun bis 15 Züge, die zwischen Miete und Fabrik pendeln. Stillstand ist nicht gefragt und je nach der Entfernung von der Miete zur Fabrik müssen mehr oder weniger Transportzüge dabei sein. Wenn die Rüben von der Miete auf die Hänger wandern, wird wieder Erde abgerüttelt — gegenläufig zum James Bond Motto heißt es hier: Geschüttelt — nicht gerührt. Zu jedem Transportzug gehört ein mit Computerchip bestückter Schlüssel, der, sobald der Ladevorgang beendet ist, mit den entsprechenden Daten beschrieben und später bei der Fabrik eingelesen und danach wieder gelöscht wird.

300.000 Euro kostet die Rübenmaus, die in Spitzenzeiten 2.000 Tonnen pro Tag auf die Hänger wuchtet. Dann allerdings fängt Maik Pasmer vor Tagesanbruch mit der Arbeit an und hört lange nach Sonnenuntergang erst auf. Licht ist nicht das Problem: „Wenn ich hier alles einschalte, dann ist das fast wie auf dem Fußballplatz“, beschreibt er die „Erleuchtungsmöglichkeiten“.

Es versteht sich von selbst, dass Roder und Maus mit einem vollklimatisierten Cockpit versehen sind. Frieren muss längst niemand mehr, auch wenn die Temperaturen drau-ßen längst ziemlich ungemütlich sind. Apropos: Wenn es friert, hat die Maus ein Problem. Dann nämlich wird die Außenkruste der Miete steinhart. Das ist in den letzten Jahren kaum jemals vorgekommen, aber wenn es soweit ist, muss ein Bagger her, der die Miete aufbricht, denn bei aller Technik und Kraft: Die Maus kann verladen, aber gegen den Frost ist sie machtlos.

Rund 90.000 Tonnen Rüben hat Maik Pasmer während der Kampagne im letzten Jahr „gemausert“. Da kommen schnell ein paar Güterzüge zusammen. Wie viel Zentner oder Tonnen Zucker am Ende dabei herausgekommen sind – darüber hat er noch nicht nachgedacht, aber es wird schon reichen für die eine oder andere Tasse Kaffee.

Maus