40 Minuten hat das Gespräch gedauert. 40 Minuten, die sich wie fünf anfühlten – zehn vielleicht. Anschließend räkelt sich dieser Satz im Hirn und lässt die Beine baumeln: „I have a dream“ …
Soziale Gefüge
Wolfgang Maus ist 82. Er sieht eher nach Anfang 70 aus und sein Denkapparat wirkt unverbraucht wie der eines Mittzwanzigers. Wolfgang Maus war Sozialarbeiter und kennt sich aus mit sozialen Gefügen. Der Mann ist allerdings alles andere als lebenszeiternüchtert. Da sitzt einer mit klaren Vorstellungen und einer Idee, die dazu angetan ist, belächelt zu werden. Vielleicht eine kleine Bitte am Anfang eines Textes. Vielleicht all die Abers an den Schluss rücken. Zuhören – erstmal.
Der Beginn einer Utopie
Wolfgang Maus hat sich Gedanken gemacht – jede Menge Gedanken. Es geht um etwas, das irgendwie knapp geworden ist: Wohnraum. Maus wohnt in einem Mobilheim: selbst gebaut – vor drei Jahren. „Ich habe ganz früher mal Schreiner gelernt“, sagt er. Maus hat eine Idee vom Kleinen – vom Überschaubaren. Wenn man zuhört, wird schnell klar: Maus denkt nicht für Großverdiener mit Villenanspruch und Motoryacht im Anschlag. „Wir brauchen – nicht nur hier – dringend Wohnraum“, sagt er und fügt hinzu: „Bezahlbaren Wohnraum.“ Der Beginn einer Utopie: „Wie wäre es, wenn man eine Fläche von – sagen wir – drei Hektar langfristig pachten und in Parzellen von 150 bis 300 Quadratmetern aufteilen würde? Die wiederum würden dann an Bewohner von Mobilheimen oder Tiny-Houses verpachtet. Es würde dann eine kleine Siedlung entstehen.“ Haltstopp, denkt man und das Aber bringt sich in Stellung …
Die Siedlung
„Abers“ erst am Ende. Wolfgang Maus ist noch nicht fertig. „Eine solche Siedlung müsste bestimmten Anforderungen genügen: Keine asphaltierten oder zubetonierten Straßen. Hecken als Grundstücksteiler – Hecken allerdings, die nur so hoch sein sollten, dass man drüber schauen kann. Nachbarn wären dann nicht unsichtbare Störenfriede, sondern sichtbare Partner“, sagt Maus und fügt mit einem Blick auf das skeptische Zuhörergesicht hinzu: „Man kann Wege auch pflastern.“ Maus beschreibt seine Siedlungsidee: „Auf bis zu drei Hektar sollen kreisförmig angeordnet 50 Parzellen von 150 bis 300 Quadratmetern ausgewiesen und vermietet werden. Darauf können Mobilheime, Blockhäuser oder Tinyhäuser bis maximal 50 Quadratmetern Wohnfläche aufgestellt werden. Die erforderliche Infrastruktur (Zufahrt, Frischwasser, Abwasser und Strom) ist bis zur Parzellengrenze gegeben. Im Innenkreis werden die Gemeinschaftseinrichtungen (Büro/Infozentrale, Waschsalon, Versammlungshaus, Kinderspielplatz, Grillhütte, Nutzgarten, Geräteschuppen, und anderes angeordnet. Die Nutzfläche wird circa die Hälfte des gesamten Areals ausmachen. Die andere Hälfte soll als Ausgleichfläche dienen. Durch Bewuchs mit einheimischen Bäumen und Pflanzen soll Raum für natürliche Biotope gewährleistet werden. Der ökologische Fußabdruck und Eingriffe sollen so gering wie möglich sein. Nur, wer permanent wohnen will, kann eine Parzelle mieten. Wohnwagen und Ferienhäuser sind nicht Teil der Planung.“
Integration
Okay. „Pro – sagen wir – 100 Wohneinheiten würde man vielleicht zehn für Migranten oder auch Obdachlose zur Verfügung stellen. Da geht es natürlich um einen Integrationsgedanken. Das ist mir wichtig.“ Ein sozioökologische Utopie, denkt man. Man denkt an ein vorschriftendurchwachsenes Land, an Bedenkenträger, an all die ‚jabermussmannichtfolgendesbedenken‘-Argumente. Ja muss man. Wolfgang Maus sagt: „Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Wenn ich mich mit allem, was ich habe, für eine Sache einsetze, kommt der Rest dazu.“ Maus, das spürt man, ist bereit, sich voll und ganz einzusetzen, „aber es gibt da viel zu tun und eine Idee wie diese braucht Mitstreiter. Es braucht Menschen, die mithelfen. Es geht nicht um Streit. Natürlich kann es auf einem solchen Weg Rückschläge geben, aber die muss man aushalten.“ Maus hat längst mit Menschen aus der Politik gesprochen. „Ablehnung sieht anders aus“, sagt er. Und bei der Frage, woher denn passende Grundstücke – nicht am ‚Arm der Welt‘ sondern mit Stadtanschluss – kommen sollten, erzählt Maus, dass er auch bereits an den Bischof geschrieben habe. „Die Kirche besitzt bekanntlich auch Land.“
Ein renditebefreiter Traum
Vor dem inneren Auge entsteht das Bild einer solchen Siedlung. „Es wäre super, wenn man einen Investor fände“, sagt Maus und korrigiert: „Nein – ein Investor möchte Profit machen.“ Für eine solche Idee, denkt man, würde jemand gebraucht, der bereit ist, einen renditenbefreiten Traum zu finanzieren. Die nächste Utopie. Aber da sitzt Maus und will nicht klein beigeben. Dialoge müssten stattfinden – Dialoge, die nicht gleich im Vorschriftsschatten stattfänden, sondern mit einer Ermöglichungsphantasie begännen. Er zeigt einen Plan: Es ist die gezeichnete Beschreibung einer Utopie vom Miteinander. „Vielleicht müsste man einen Verein gründen“, sagt Maus. Er sagt auch: „Niemand kann wissen, wie in – sagen wir – 30 Jahren unsere Idee vom Wohnen aussieht.“ Achtsamkeit, denkt man, muss mit der Achtsamkeit für Gemeinsamkeit beginnen. Maus ist auf der Suche. Er sucht Unterstützer, Ideenfortspinner. [E. F. Schumacher: „Einige Leute nennen mich einen Spinner. Das macht mir gar nichts aus. Ein Spinner dreht ein Spinnrad. Das ist ein billiges Werkzeug, das wenig Kapital erfordert. Es hat ein bescheidenes Anwendungsgebiet, ist unblutig und macht Revolutionen.“ aus: Leopold Kohr, „Das Ende der Großen“, Otto Müller Verlag.]
Maus hat einen Plan. Er hat Zahlen aufgeschrieben – jede Menge Zahlen. Aber: In der ersten Instanz geht es um ein Fundament – eine Idee von einem anderen Zusammenleben. Es ist eine Idee vom Guten. Man denkt an Ben Hur: „Womit bekämpft man eine Idee?“ Antwort: „Mit einer anderen Idee.“