Am Ende: Zahlen – Jahre, Monate. Das Strafmaß: Sechs, drei. Der Staat hatte anderes gefordert. Die Tat: Gemeinschaftlich begangener besonders schwerer Raub, fahrlässige Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
Erst mal geschellt
Zwei Täter brechen in Emmerich in das Haus eines alten Mannes ein. Mit einem Stein zerstören sie eine Scheibe. Vorher haben sie geschellt: Sehen, ob jemand öffnet. Sie tragen Biwakmasken. (Wegen der Kameras.) Einer der Täter ist bereits verurteilt. Vier Jahre hat er bekommen und sitzt schon. (Als Zeuge ist er nicht geladen.)
Vor dem Richter hatte er damals gesagt, er sei Berufseinbrecher. Seinem Komplizen (dem Angeklagten von heute also) war, als die Polizei am Tatort eintraf, die Flucht gelungen. Der Berufseinbrecher hat zunächst geschwiegen – den Namen des Mittäters nicht genannt. Ganovenehre? Später hat er dann doch Aufklärungshilfe betrieben. Er wird ein gutes Angebot bekommen haben. Nun also wird gegen den Kompagnon verhandelt. Der soll dem alten Herrn ein Messer an den Hals gehalten und nach Geld „gefragt“ haben.
Es dauert immer zu lange
Richter zum Opfer: „Der Angeklagte hat sie mit einem Messer bedroht. Wie weit war das Messer von Ihrem Hals entfernt?“ Opfer: „Viel Luft war da nicht.“ Ein Jahr und elf Monate sind seit der Tat vergangen. Richter: „Träumen Sie noch manchmal von der Tat?“ Opfer: „Also, ich träume gern. Aber nicht von so was.“
Dann der Satz, der sich in die Mitte der Befragung drängt. Richter: „Wie lange hat – Ihrer Schätzung nach – die Tat gedauert?“ Opfer: „So was dauert immer zu lange.“ Besser lässt es sich nicht zusammenfassen.
Der Zeuge, das Opfer also, ist gottseidank glimpflich davongekommen. Eine Schnittwunde am Knie – nicht vom Messer des Täters, sondern von den Scherben, die wegzuräumen er/es (der Zeuge, das Opfer) bemüht war, als die beiden Eindringlinge plötzlich hinter ihm standen. Nach dem Zerschmettern der Scheibe hatten sie noch gewartet, bevor sie ins Haus gingen. Der Angeklagte sagt aus, der alte Mann habe am Boden kniend Scherben beseitigt. Man habe ihn dann „auf ein Sofa gesetzt“. Das klingt zärtlicher als die Wirklichkeit.
Er habe, sagt der alte Mann, gestanden, als er die Scherben beseitigen wollte. Dann habe man ihn – einen Arm auf den Rücken drückend – auf das Sofa gesetzt. Dabei sei er gefallen und habe sich das Knie am herumliegenden Glas verletzt. Da also steckt sie – die fahrlässige Körperverletzung. Das Messer am Hals lässt das Geschehen zu einem besonders schweren Raub werden. Und die Freiheitsberaubung?
Vier Quadratmeter
Und die Freiheitsberaubung? Man hat den alten Mann in einen Schrank gesperrt. Richter: „Man hat sie in einen Schrank gesperrt?“ Opfer: „Freiwillig bin ich da nicht rein.“ Das Opfer sagt auch: „Das ist kein Schrank. Das ist die Vorratskammer.“ Staatsanwältin: „Was schätzen Sie – wie groß ist die Kammer?“ Opfer: „Vier Quadratmeter vielleicht.“ Vier Quadratmeter – das ist die Hälfte dessen, was den Angeklagten am Ende erwartet. Gefängniszellen alten Zuschnitts sind acht Quadratmeter groß.
Der Berufseinbrecher hat den Angeklagten zum Initiator der Tat werden lassen. (Der Berufseinbrecher ist nicht als Zeuge geladen.) Er hat der Polizei erzählt, sein Kumpel habe angerufen, habe gesagt, da sei dieser Mann, der auch Marihuana anbaue. Man mag das nicht glauben. Das Opfer: 82 Jahre alt. Gut – das muss nichts heißen, aber als er – am Stock – den Saal betritt, ist es irgendwie klar: Das passt nicht.
Der Richter verliest das Urteil, das seinerzeit gegen den Berufseinbrecher gefällt wurde. Dort wird die Tat geschildert, wie der schon Verurteilte sie dargestellt hat. „Was sagen Sie dazu?“, fragt der Richter am Ende den angeklagten Niederländer, von dem das Opfer sagt: „Der hat Ausländisch gesprochen.“ Angeklagter: „Die Tat hat sich so zugetragen. Ein paar andere Dinge waren falsch.“ Man hat die Tat zusammen geplant. Er hat nie von Marihuana gesprochen. Ansonsten: „Dat klopt.“ (Also: Das hat seine Richtigkeit.) Der Angeklagte hat übrigens eine Übersetzerin. Sie sorgt dafür, dass sein Ausländisch ins Deutsche gelangt.
Sechs Zeugen sagen aus. Polizeibeamte, ein Richter. Als der alte Mann längst den Saal verlassen hat, wird der Notruf abgespielt, den er – nachdem er sich mit einem Tritt gegen die Tür der Vorratskammer befreit hatte – abgesetzt hat. Am Ende fragt eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung: „Können Sie die Täter beschreiben?“ „Einer von denen war ungefähr 1,80 und hat Ausländisch gesprochen.“
Dat klopt
Am Ende fordert die Staatsanwältin acht Jahre. Natürlich: Der Angeklagte hat die Tat eingeräumt, aber er ist schuldig im Sinne der Anklage. Er ist erheblich vorbestraft. Nur zwei Monate nach einer Verurteilung in den Niederlanden hat der Angeklagte die hier verhandelte Tat begangen. Kein minder schwerer Fall.
Daran kann auch der Verteidiger nicht rütteln. Aber er rüttelt am Strafmaß. Nein – es kann doch nicht sein, dass der zuerst Verurteilte für die Preisgabe des Namens seines Mittäters am Ende nur vier Jahre bekommt und sein Mandant nun für acht Jahre ins Gefängnis soll. Der Mittäter hat ein umfangreicheres Strafregister, hat schon fast zehn Jahre seines Lebens in Haft verbracht. Bei seinem Mandanten sind es gerade einmal zwei. Beide, so sieht es der Verteidiger, tragen die gleiche Verantwortung. Am Ende seines Plädoyers steht kein Strafmaß – nur die Feststellung, dass es so nicht sein kann.
Der Angeklagte fasst sich kurz mit seinen letzten Worten. „Gleiche Normen, gleiche Werte“, sagt er und zielt auf das allzu unterschiedliche Strafmaß. Am Ende: Sechs Jahre, drei Monate. Dat klopt.