Schreibkraft
Heiner Frost

Centre Court

Mario Batkovic © 13.10.2016 Patrick Principe

Vielleicht fühlen sich die Balljungen in Wimbledon so: Sie stehen an den Auslinien und sehen den Großen beim Spielen zu. Der Wunsch: einmal dort stehen. Sie werden alle selber Spieler sein. Sie wissen, was vor sich geht.


Mario Batkovic spielt. Die Pop Bar in Haldern: Centre Court. Da sitzt er und ist nicht allein: Ein Mann – ein Akkordeon. Zwei lebendige Wesen. Man hört und staunt. Man sieht und glaubt. Da wird man aus dem eigenen Leben subtrahiert und aufgenommen in die Batkovic-Ton-Mensch-Einheit. Nie hatte man das so erlebt – nie so begriffen. Da entwickelt einer das Virtuose aus dem Nichts – fischt sich einen Ton und baut ihn zur Symphonie um. Da beherrscht einer die Mechanik des Spannungsaufbaus: fängt klein an: lässt wachsen: ins Gigantische: lässt zurückschrumpfen ins Kleine.
Batkovic ist ein Meister der Töne und nie hatte man für möglich gehalten, was ein Akkordeon – sein Akkordeon – zulässt. Töne, die sich nach unten stürzen, als zöge man den Stecker eines Plattenspielers – tastengeborene Vibrati. Alles spielt sich auf der Grenzlinie des Gedachtunmöglichen ab. Batkovic durchschwebt den Kosmos des Minimalen: beherrscht alle dynamischen Feinheiten: lässt sein Instrument aufbrüllen: lässt es ins Fastschweigen gleiten. Man erlebt, wie die Schlange in den Armen des Spielers sich ausdehnt, zusammenzieht, atmet, ausatmet. Die Erkenntnis: Das Akkordeon lebt. Mit jedem Gedanken, den Batkovic austrägt, wird das Staunen größer: Man mag nicht glauben, dass da ein Solist am Werk ist. Man sucht nach Netz und doppeltem Boden – nach dem Trick, der möglich macht, was unmöglich zu sein schien. Auch Batkovic nur zwei Hände – zehn Finger – und er schafft es doch, dieses Orchester in den Raum zu hauchenbrüllenschweigen.
Man möchte glauben, dass eine Heerschar die Bühne bevölkert. Das Gefühl: Zwei Drähte anschließen an dieses Hirn. Dazu eine Glühbirne. Die Gedanken abgreifen. Strom würde fließen – die Birne würde durchbrennen.
Batkovic zu hörensehen ist eines dieser Ereignisse, die sich einbrennen und eine Leuchtspur hinterlassen. Was Batkovic spielt und komponiert, sind die Töne, die – im letzten Augenblick vor dem eigenen Verglühen – vielleicht Trost spenden könnten.
Nach dem letzten Stück schnallt er das Akkordeon ab und erst jetzt begreift man, dass das Instrument am Ende als Gegenstand auf der Bühne zurückbleibt: Man begreift, dass da einer für zwei gelebt hat. Batkovic ist ein Herrscher auf der Bühne. Dann steht er auf. Tritt ab. Verschwindet im Publikum. Einer von uns Balljungen …