„… an Zweien war ich Aber schuldlos.“
Stefan hat Erfahrung. Seine Bilanz hinterm Steuer: Zweieinhalb Jahre Führerschein — vier Unfälle („… an zweien war ich aber schuldlos“). Stefan ist einer von neun Teilnehmern an einem Fahrsicherheitstraining der Verkehrswacht Kleve. Es wird für junge Fahranfänger (allesamt KFZ-Lehrlinge) durchgeführt.
Morgens, kurz vor neun. Auf dem Gelände der ehemaligen Blumenversteigerung in Straelen bauen die beiden Fahrsicherheitstrainer Peter Baumgarten und Dieter Geyer das Szenario für den Tag auf. Um neun Uhr wird das Training beginnen. Gegen 17 Uhr ist Heimfahrt.
Umprogrammierung
Bevor die ersten Fahrübungen auf dem Programm stehen, gibt es heißen Kaffee und eine erste Besprechung. Baumgarten erklärt, worum es gehen wird: „Wir wollen hier gewissermaßen Eure Software anders einstellen.“ Also ein Programmierlehrgang? Ja und Nein. Ein Auto führt schließlich kein Eigenleben. Es ist ein bisschen wie bei einem Computer. Der kann auch nur so viel Blödsinn produzieren wie sein Programmierer. Die Software muss also anders justiert werden. „Wir wollen euch zeigen, dass es nicht die Autos sind, die versagen oder falsch reagieren. Es sind immer die Fahrer. Und die Fahrer seid Ihr.“ Alle nicken. Is klar!
Zwei im Sinn
Dann sollen alle ein paar Angaben machen. „Wie lange habt Ihr den Führerschein? Wie viele Unfälle habt Ihr schon gehabt? Fahrt Ihr mit oder ohne ABS? Mit welchen Erwartungen seid Ihr hier?“
Bei der Unfallstatistik liegt Stefan ganz weit vorn. Er räumt vier ein — seine Kumpels sprechen gar von sechs (also zwei im Sinn).
„Warum seid ihr hier?“ will Dieter Geyer wissen. Alle sagen, dass sie sehen möchten, wie ihr Auto in Extremsituationen reagiert. Vergessen der Satz von der Software. Jeder möchte bei der Hardware anfangen. Die Hardware — das ist der Wagen. Fachleute würden wohl von selektiver Wahrnehmung sprechen, meinen die Trainer. Ihre These wird sich bestätigen.
Nur beobachten
Erste Übung: Mit 30 an einem stehenden Wagen vorbeifahren. Aufgabe: Nur beobachten. Dieter gibt das Startzeichen. Peter hat zwei kindergroße Holzkonstruktionen mit einem Smileygesicht hinter dem parkenden Auto ‚versteckt’. Alle fahren vorbei. Alle beobachten. Alle werden gefragt, was sie gesehen haben. Die Smileys hat niemand auf der Rechnung. Erblindung bei vollem Bewusstsein. Erste allgemeine Verunsicherung.
„Junge Fahrer haben eine andere Wahrnehmung“, erklärt Baumgarten. (Man sieht, was man kennt. Man kennt, was man ist. Man ist, was man sieht.) „Junge Eltern hätten die Smileys gesehen“, da ist Dieter ganz sicher.
Sitzbadewannen
Jetzt kommt die Sitzkontrolle. „Um richtig zu fahren, musst du richtig sitzen“ — das Credo eines Fahrsicherheitstrainers. Die Rückenlehne sollte bei 70 Grad stehen. „Das is mir zu heiß“, scherzt einer. „Der Sitz muss weit genug nach vorne. Das hat was mit der Kraftübertragung auf die Pedale zu tun. Die Kopfstützen so einstellen, dass sie nicht unterhalb des Kopfes aufhören. Es fährt sich so unbequem mit gebrochenem Genick.“ Baumgarten schlägt zwar leichte Töne an, aber die Teilnehmer merken schon, dass ihr Trainer nicht scherzt. „Die Hände auf Viertel-vor-Drei-Position. Das sorgt für optimale Kontrolle beim Lenken.“ Auf der Teilnehmerseite lösen die Ratschläge nicht eben begeisterte Reaktionen aus. Vielleicht ja noch einen Hut aufsetzen, oder was. Das ist ja alles ziemlich uncool.
Die jungen Leute haben ihre Autos dabei. „Na, dann setzt Euch doch noch mal rein“, fordert Dieter und schreitet zur Kontrolle. „Ihr habt ja alle Sitzbadewannen oder Fernsehsessel in euren Kisten“ mosert der Trainer. „Näher ran mit dem Sitz.“ „Da kriegt man ja Rückenschmerzen“, klagt einer.
Das erste Mal
Jetzt geht es ans Slalomfahren. Alle halten sich wacker. Nächster Punkt: Not(voll)bremsung. „Das macht anfangs keiner richtig“, weiß Dieter. Er hat bereits 400 Sicherheitstrainings auf dem Trainerbuckel. Nie hat es jemand auf Anhieb gepackt. Auch er nicht — bei seinem ersten Mal. Alle treten durch und lassen dann wieder los. „Ganz schlecht. Da bricht der Wagen aus.“ Das einzig Wahre: Der Büffeltritt. „Vor Euch liegt ein Büffel“, entwirft Baumgarten das assoziative Szenario: „Der greift Euch an, und Ihr habt nur eine Chance: Ihn mit dem Fuß unten halten.“
Jetzt geht’s. Beim nächsten Versuch haben fast alle den Bogen raus. Julia ist noch etwas ängstlich. Das ruft Dieter auf den Plan. „Lass mich mal“, sagt er, wuchtet sich hinters Lenkrad, und die Dame muss auf den Beifahrersitz. Dieter fährt zum Startpunkt und donnert Richtung Bremsmarkierung. Dann: Der Büffeltritt. Das Auto steht wie angeschweißt. „Und jetzt Du.“ Die einzige weibliche Teilnehmerin sieht etwas verdattert aus — macht den nächsten Versuch, und: Es klappt. Applaus von den Kollegen.
Und die Reifen?
Dann kommt der Landrat zu Besuch. Er hat die Schirmherrschaft für das Training übernommen und erklärt noch mal kurz einiges zur traurigen statischen Lage des Kreises Kleve in Sachen Verkehrsunfälle. Das muss sich ändern. Darum sind sie hier.
Bis zur Mittagspause haben alle Teilnehmer schon mehr Büffelbremsungen hingelegt als in ihrer gesamten Fahrpraxis bisher. „Und die Reifen?“ fragt Kolja. „Der Abrieb, den wir hier erzeugen, entspricht ungefähr 400 gefahrenen Kilometern“, erklärt Baumgarten.
Ein Tag Fahrsicherheitstraining allein ändert ändert zwar nicht die Welt. Anstöße bekommen die Teilnehmer allerdings reichlich. Gegen Ende werden die meisten wissen, dass es eben doch die Software ist, die geändert werden muss. Sonst könnte es irgendwann um den ‚ersten Platz im letzten Rennen’ gehen. Das sieht auch Dieter Geyer so. Bei seinen Sicherheitstrainings hat er einiges gesehen: „Im Auto wird mancher liebe Mensch urplötzlich zur Bestie.“ Aber er und seine Kollegen sind sicher: „So ein Training hinterlässt schon Spuren in der Software.“