Schreibkraft
Heiner Frost

Blauer Fleck am Boden

Was ist schon ein Rahmen? Eine Art Bedingung vielleicht. Eine Gebrauchsanweisung. Eine sichtbarunsichtbare Grenze. Wieso unsichtbar? Man muss die Eingrenzung erst verstehen – sie beginnt jenseits des Gefäßes. Rahmen sind – wie soll man sagen – Bilderbehältnisse. Und Gefängnisse.
Da wundert es nicht, dass die Kunst gegen das Begrenztsein aufbegehrt, und man muss im eigenen Hirn die Grenze wegschalten, wenn plötzlich ein Bild rahmenlos dasteht, -hängt, -liegt.


Liza Dieckwischs Bilder kommen ohne selbstauferlegte Grenze daher. Sie atmen frei im Raum, und wenn eines von ihnen vor einem Fenster steht, wird das „Loch in der Wand“ zum Rahmen –  zur Blickweiterleitung. Das Bild endet nicht am verglasten Loch in der Wand – es darf als Teil der Umgebung gesehen werden. All das ist Nachdenken über Funktionalitäten der Kunst und nicht die Kunst selbst. Oder vielleicht doch? Liza Dieckwischs Bilder sind – wie alle Kunst – Einladungen zur Einbettung des Kleinen ins Große.
Liza Dieckwisch? Ach ja – Liza Dieckwisch ist die dritte Preisträgerin des Werner Deutsch Preises für junge Kunst. Missverständnisse sind möglich: Liza Dieckwisch hat nicht den 3. Preis gewonnen – sie ist die Preisträgerin der 3. Ausgabe des Werner Deutsch Preises für Junge Kunst. Junge Kunst? Ist das nicht ein bisschen wie „die lustige Bäckerei“? Gemeint sind – so sagt es die Ausschreibung – junge Künstler. Nicht älter als 35 dürfen die Bewerber sein. Meist stehen sie dann am Ende eines Studiums und werden in die Wirklichkeit gespuckt, wo sie überleben oder untergehen. Ist also die Kunst jung oder sind es die Künstler? Schwer zu sagen, es gibt junge Künstler, deren Werke altbacken daherkommen. Aber: Wie lang bleibt junge Kunst junge Kunst? Egal.

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Liza Dieckwisch jedenfalls wurde von einer dreiköpfigen Jury (Harald Kunde und Susanne Figner sowie Werner Steinecke) aus 42 Bewerbungen ausgesucht, weil sie „die Jury mit der Einmaligkeit ihrer malerischen Position überzeugte, die den Kern der zeitgenössischen Diskussion über das Medium auf eigenständige Weise erweitert“, denn „seit einigen Jahren wird […] diskutiert, dass Gemälde nicht einfach als Bilder an der Wand fungieren, sondern als Akteure innerhalb eines Netzwerks agieren. Das heißt, sie sind mobile Einheiten, die sich ja nach Kontext anders definieren“. In der Begründung heißt es weiter: „Liza Dieckwisch generiert diese Mobilität, indem sie Parallelen zwischen Prozessen der Malerei und des Kochens herstellt.“ Für ihre Ausstellung im Museum Kurhaus hat Dieckwisch einen blauen monochromen Raum eingerichtet.

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Wer diesen Raum betritt, erlebt, erfährt, durchdenkt und vor allem betrachtet, muss nicht an Kunst und Küche denken – nicht an das Rahmenlose im Umrahmten. Natürlich sind andere Lesarten möglich. Man muss eine Bachfuge nicht analysieren können, um Gefallen zu finden. Es braucht nicht mehr als das Interesse am Hinhören – bei Liza Dieckwisch ist es das Hinsehen. Dieckwischs blauer Raum kann Grübeleien in Gang setzen oder aber zum Gegenstand ästhetischen Konsums werden. Man erlebt, wie Haus und Kunst, Wand und Bild einen nahtlosen Übergang hinlegen: Der blaue Fleck auf dem Boden, blaue Winzigkeiten als Nachbarn einer ganzen Wand, die sich blau im Raum räkelt. Wichtig (fast möchte man sagen wie immer bei der Kunst): das Hinsehen und das Entdecken von Korrespondenzen, das Suchen nach den Kleinigkeiten, nach den Kommentaren, den Fußnoten der Betrachtung. Die Dieckwisch erklärt nicht viel. Muss sie auch nicht. Man sieht es ja. Man wünscht Glück – Quatsch: Man wünscht Erfolg, lebenslanges Wachbleiben und – wer weiß – eine Rückkehr ins Kurhaus mit einer größeren Ausstellung. Hätte man es zur Preisverleihung geschafft – es hätte ein Gläschen Curacao gegeben. Ein netter Gag: Ein innen blau werdendes Publikum trinkt sich ins Gerahmte. Die Grenzen verwischt … alles wird eins.

 

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