Schreibkraft
Heiner Frost

Der Weg zum kleinen Glück

Foto: Rüdiger Dehnen

Wolfgang Scheerer überlegt. Wie lange es die Wunschbaumaktion schon gibt, kann er gar nicht genau sagen. „Seit zehn Jahren auf jeden Fall. Vielleicht auch länger – ja es müssen mehr als zehn Jahre sein.“ Dass Scheerer die Zahl nicht weiß, ist irgendwie schön. Es geht schließlich nicht um diese Zahl – es geht um andere Zahlen. Eigentlich geht es nicht einmal um Zahlen. Es geht um Menschen. Junge Menschen. Kinder. Es geht um die, für die (auch zu Weihnachten) oft genug Wünsche unerfüllt bleiben. Am Wunschbaum in Scheerers Geschäft hängen Karten. Auf den Karten: Ein Name, ein Alter, ein Wunsch.


Jeder kann kommen, sich eine der Karten vom Baum nehmen und bis zum 17. Dezember einen Wunsch erfüllen und das gekaufte Geschenk wieder im Laden abgeben, wo es dann von Scheerer und seinen Mitarbeitern verpackt wird und schließlich bei den Kindern landet. 25 Euro soll ein Geschenk maximal kosten. „Es kommt aber oft genug vor, dass Menschen, die ein Geschenk besorgen, dann noch etwas dazupacken“, sagt Scheerer.

 

Selbstversuch
Da sitze ich also, höre mir die Geschichte vom Wunschbaum an und denke, dass Schreiben nur die eine Sache ist. Es gehört zu meinen Aufgaben. Je mehr ich denke, dass das eine tolle Idee ist, um so mehr denke ich: „Du kannst jetzt nicht ohne Karte aus diesem Laden marschieren.“ (Die andere Seite.) Also gehe ich zum Baum und greife mir eine der Karten.  „Sie können sich den Wunsch, den Sie efüllen möchten, selber aussuchen“, sagt einer der Mitarbeiter. Am Ende halte ich eine Karte in der Hand. Darauf: Ein Name und ein Wunsch. Habeba ist neun Jahre alt und wünscht sich „Stiefel, Größe 33“. Hinter Habeba steht übrigens ein „w“. Ich denke, es steht für „weiblich“. Man kann ja nie wissen. In Italien ist Andrea schließlich ein Männername.
Ein Mädchen also. Ich denke an meine Tochter. Als die neun Jahre alt war, hätte ich nicht einfach Stiefel in ihrer Größe „anschleppen“ dürfen. Die Gefahr, nicht den richtigen – also ihren – Geschmack zu treffen, wäre sehr, sehr groß gewesen. Jetzt ziehe ich los und werde Stiefel, Größe 33, besorgen. „Lass dir auf jeden Fall die Garantie geben, dass die Stiefel auch umgetauscht werden können“, sagt Rüdiger. Rüdiger ist „mein Fotograf“. „Heute nachmittag um 15 Uhr ziehen wir los“, sage ich, „und wir werden nicht ohne Stiefel zurückkommen“, füge ich an.
Wir werden auf die Erfahrung einer Verkäuferin hoffen. Wir werden sagen: „Mädchen, neun Jahre alt.“ Mehr wissen wir nicht. Der Stiefelkauf wird (vielleicht) zur Stresspartie, aber andererseits wird er mir das Gefühl geben, mehr tun zu können als einfach einen Text zu liefern. Habeba wird sich am Ende hoffentlich freuen, und ich werde es auch tun.
Der Pressetermin ist beendet. Ich habe die Karte „im Gepäck“ und schaue noch kurz nach, Kinder welcher Institutionen diesmal bedacht werden. Es sind das Café Hope in Kleve, die Calcarer Tafel, die Klosterpforte und die Klever Tafel. Manchmal ist es wirklich nicht schwer, anderen eine Freude zu machen, denke ich. Und dann denke ich: Mir macht das ja auch Spaß. Es gibt eine Worthülsenumschreibung: Win-Win. Alle haben was davon.

karte

Ein Brief
Liebe Habeba. Ich habe heute deine Stiefel gekauft – zusammen mit Rüdiger, meinem Fotografen. Die Sache war gar nicht so einfach. Wir heben uns erst einmal von Angila beraten lassen. Dann mussten wir uns entscheiden. Ich hatte schwarze Stiefel ausgesucht,  aber Rüdiger meinte, die kann man nicht gut fotografieren. Dann hatte ich rote Stiefel in der Hand. Rüdi meinte: Zu speziell. Zusammen mit Angila haben wir dann Stiefel ausgesucht, die zu ziemlich allem passen. Natürlich würden wir uns freuen, wenn sie dir gefallen. Wenn nicht, kannst du sie aber auch umtauschen. Ich wünsche dir und deiner Familie frohe Weihnachten. Bedank dich bei Wolfgang Scheerer, der die Idee hatte und wenn du mal groß bist, schenk einem anderen Kind etwas. Das fände ich toll. Und Rüdi natürlich auch. Ganze liebe Grüße auch an deine Eltern und, falls es sie gibt, deine Geschwister. Heiner und Rüdiger

Foto: Rüdiger Dehnen

Foto: Rüdiger Dehnen