- Vorsicht! Der folgende Beitrag bildet Wirklichkeiten ab, die für Satire gehalten werden könnten, es aber leider nicht sind. Zum Schutz der Beteiligten sind die Namen weggelassen worden …
Pianist:in gesucht
Erster Akt: Manchmal wird Musik gebraucht – gern auch im Zusammenhang mit Ausstellungen. Das freut – in der Regel – die Ausführenden. Kürzlich bekam eine niederrheinische Pianistin den Anruf eines – man darf sagen – renommierten Instituts zur Aufbewahrung und Zurschaustellung von Kunstprodukten. Man sei, hieß es, auf der Suche nach Musik für eine Ausstellungseröffnung. Klangsuche also. Klangsuche der besonderen Art, denn: Es ging – das sollte man sagen – um expressionistische Kunst. Das Problem: Es gibt keine Musik, der offiziell das Adjektiv expressionistisch vorangestellt wurde. Es gibt – natürlich – sehr wohl Musik, die in eben jene Zeit eingeordnet werden kann, die auf ‚kunstlicher‘ Seite expressionistisch genannt wird. am Ende des Gespräches verblieb man wie folgt: Pianistin recherchiert mögliche Stücken respektive Komponisten, stellt dann ein mögliches Programm zusammen und teilt alles dem Institut für Aufbewahrung und Zurschaustellung von Kunstprodukten mit.
Eigentlich
2. Akt: Die Pianistin präsentiert das Ergebnis ihrer Recherche. Man einigt sich. Nach einem Honorar gefragt, nennt die Pianistin eine Summe. Die Summe wird akzeptiert. Die Geschichte könnte jetzt eigentlich beendet sein, aber …
Zwei Wochen später meldet sich das Aufbewahrungs- und Zurschaustellungsinstitut. Es sei, heißt es, ein wenig vorschnell gehandelt worden. Man müsse, sagt man der Pianistin, den Auftrag ausschreiben:
Professionelle Ausbildung
Sehr geehrte Damen und Herren. Im Rahmen der Ausstellung … benötigt [unser Haus] eine(n) Pianist:in. Zur Eröffnung der Ausstellung am … soll es Klaviermusik von Komponisten [hier fehlt das Gendern!] des Expressionismus geben (Dauer: circa 20 Minuten). Am .. .. .. 2022 soll ein musikalisch-literarischer Rundgang stattfinden, bei welchem im zweiten Teil der Veranstaltung hierzu eine circa 30-minütige Solo-Klavierdarbietung stattfinden soll, in der ebenfalls Musik von Komponisten aus der Zeit des Expressionismus gespielt werden soll. Die erforderlichen Kriterien lauten wie folgt:
Zwei Termine: … + …. – professionelle Ausbildung im Fach Klavier – Auftrittserfahrung als Solist:in – Kenntnisse klassischer Musik. Bitte lassen Sie uns das Angebot und die Nachweise über die oben genannten erforderlichen Kriterien bis spätestens …
Die Bindefrist an das Angebot ist bis zum … . Bitte lassen Sie uns ein Angebot (inklusive Angabe von Zahlungsbedingungen und evtuell anfallenden Fahrt- und Übernachtungskosten) bis spätestens …, 13 Uhr an die Adresse: beschaffung@….de zukommen.
Die Pianistin erhält eine Mail und findet bei den (nun erweiterten) Bewerbungsvoraussetzungen eben jene Stücke aufgelistet, die sie dem Bewahrungs- und Ausstellungsinstitut vorgeschlagen hatte.
Europaweit?
Man staunt nicht schlecht. Eigentlich ist einem das Staunen längst zu blankem Entsetzen erfroren. So so – gesucht wird also jemand, der sich mit klassischer Musik auskennt und Bühnenerfahrung mitbringt. Gut, dass mal drüber gesprochen wurde. Es könnte ja auch eine Musikschule (nichts gegen Musikschulen) darauf kommen, begabte Schüler ins Ausschreibungsrennen zu schicken. Besser wäre es da schon, die Ausschreibung an alle Musikhochschulen [müsste das eigentlich europaweit sein???] und die dort angesiedelten Klavierklassen zu schicken. Es dürfte Bewerbungen regnen.
Eine Unglaublichkeit ist in der Tatsache zu sehen, dass der Programmvorschlag der Pianistin quasi postwendend zum (verbindlichen?) Teil eben jener Ausschreibung geworden ist, die das Institut zur Aufbewahrung und Zurschaustellung von Kunstprodukten nun vorgenommen hat. Man kann verstehen, dass die ‚Abteilung Beschaffung‘ eine sinnvolle Anlaufstelle für die Ausschreibung einer Alarmanlage, neuer Toiletten oder einer Zentralheizung sein könnte, aber wer, bitte, entscheidet über die „Tauglichkeit“ von Pianist:innen?
Prozessorientiert
Ein Freund, dem man die Geschichte erzählt, greift erklärend ein. „Du hast eben den Unterschied zwischen ergebnis-orientiert und prozess-orientiert nicht verstanden“, sagt er. Ja, das mag stimmen. Hätte es in diesem Fall den „Raub des Programmvorschlags“ nicht gegeben – man müsste sich fragen, wer in der Verwaltungsetage des Aufbewahrungs- und Zurschaustellungsinstitutes sich mit Programmgestaltung zum Thema Musik zu einer Ausstellungseröffnung zum Thema Expressionismus auskennt und kompetent zu Wort melden würde?
Sparen, sparen, sparen
Die Stabsstelle Beschaffung dürfte es freilich ganz anders sehen. Wo, bitte schön, kämen wir denn hin, wenn derartige Aufträge schlicht vergeben würden, ohne vorher ausgeschrieben worden zu sein? Man gewinnt den Eindruck, dass die Theorie einen saftigen Sieg über die Praxis einfahren möchte. Andererseits: Es lässt sich eine Menge Geld sparen. Man lässt die Bewerber antreten, sucht den kostengünstigsten heraus: fertig. Da all das natürlich geregelt ablaufen muss, gehört eine Stabsstelle eingerichtet: Beschaffung. Was sich bei Ausschreibungen einsparen lässt, ist dann schnell für Personalkosten „re-investiert“.
Kuratorische Entscheidung?
Fragt man nach der Sinnhaftigkeit solchen Vorgehens, dürfte schnell der Hinweis auf Vetternwirtschaft, Bestechung, Vorteilsnahme ins Feld geführt werden. Dass die Beschaffung von Musik letztlich einer künstlerischen und also kuratorischen Entscheidung entspringt … geschenkt. Adorno lässt grüßen: „Kulturindustrie“. Ja – das ist es. Und „Beschaffung“ – auch dieser Gedanke entspringt einer maximalen Scheinversachlichung.
Schnell stellen sich andere Gedanken ein: Vielleicht könnten Aufbewahrungs- und Zurschaustellungsinstitute künftig gänzlich auf ihre Kuratoren verzichten. Einfach Ausstellungen ausschreiben. Bewerbungen an die Stabsstelle Beschaffung. Vielleicht noch ein grober Themenvorschlag, über den man vorher über Medien abstimmen lassen könnte. Fertig ist das Konzept: Willkommen zu unserer Ausstellung mit Katzenvideos.
Spricht man mit Leitern anderer Institute, setzt sich die Meinung durch, dass sowohl Entscheidungen zu Ausstellungen als auch solche zu deren Rahmenprogramm in den künstlerischen Bereich gehören und also kuratorischer Natur sind, was – so möchte man meinen – einen Sinn ergibt.
Ahnungslos
Dass – siehe oben – Programmvorschläge, die ein Künstler im Rahmen eigener Recherchen entwickelt hat, plötzlich zum Teil einer öffentlichen Ausschreibung werden, mutet schlicht und vor allem ergreifend ungeheuerlich an und zeugt von nicht mehr und nicht weniger als gänzlicher Ahnungslosigkeit.
Kunstverstand gehört, auch das sei gesagt, nicht in die Berufsqualifikation von Beschaffungsstellenbesatzern, aber im Gegenzug sollten sich Stabsstellen aus fachfremden Entscheidungen heraushalten. Ein künstlerisches Programm – auch das ist einzusehen – sollte nicht darauf angelegt sein, den Rahmen der Möglichkeiten auszuhebeln, aber Kunst hat immer auch mit dem Sich-nicht-um-die-Realität-scheren zu tun. Museen sind keine Verwaltungsausübungsinstitute mit angegliedert untergeordneter Ausstellungsabteilung. Museen sind Startrampen für das und in das Wunderbare.