Schreibkraft
Heiner Frost

100 #5 Wolke überm Denken oder: Wie Beuys zur Beize kam

Logo: Wolfgang Stenmans Fotos: Rüdiger Dehnen

Die Geschichte gleich mal vorneweg. Christoph Heek ist Künstler. Sein Vater: Johann Peter Heek. Künstler. Mutter Helga: Fotografin.

Papa, Polster, Beize

In den 60-ern war Kranenburg ein Hotspot: Beuys, van der Grinten, Heek – Namen, die hierzulande nicht erklärt werden müssen. „Mein Vater hatte ja eine Ausbildung als Polsterer. Die Geschichte, die ich dazu gehört habe, geht so: Joseph Beuys ist über meinen Papa an Beize gekommen. Papa war damals Polsterergeselle und hatte die Beize – natürlich mit Erlaubnis – als Zeichen- und Malmaterial mitgenommen und auch Beuys damit versorgt.“ Ein Stabreim: Beuys und Beize. „Für Beuys war ja Material nicht einfach Material. Für ihn ging es darum, die Kräfte im Inneren des Materials zu nutzen. Es ging also um ein Ausloten des Möglichen, um ein Sichhineindenken, Sichhineinfühlen.“

Den wirst du nicht los

Beuys – ein Material-Echo. Filz und Fett. Noch ein beuys‘scher Stabreim.
Christoph Heek ist Beuys nie begegnet. Zumindest hat er keine Erinnerung daran. „Ich bin Jahrgang `61. Natürlich waren die 60-er genau die Zeit, als Beuys auch bei uns im Haus auftauchte. Aber da ist jetzt kein Erlebnis, an das ich mich erinnern könnte. Da ist nur die Geschichte mit der Beize, die mir meine Mutter erzählt hat.“
Getroffen oder nicht – Beuys ist eine Adresse im Heeks Leben. Beuys ist eine Adresse im Koordinatensystem des 20. Jahrhunderts: in der Kunst, im Denken. Christoph Heek sagt: „Zeichnen ist eine spezielle Art zu Denken.“ Na bitte. Heek ist sicher: „Beuys ist ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Zeichner des 20. Jahrhunderts.“ Heek sagt auch: „Den Beuys wirst du nicht los.“ Das meint er liebevoll.

Medizin – Kunst

Heek hat erst einmal Medizin studiert. In Düsseldorf, von 1986 bis 1992. Dann: Promotion. Dann setzte sich die Kunst in ihm durch. Er studierte in Arnheim. „Ich bin bewusst nicht nach Düsseldorf gegangen“, sagt er. Weg von Beuys. Annäherung durch Entfernung.
Beuys ist längst Teil eines öffentlichen Repertoires geworden – Auslöser einer Sprache, die auch in Arbeiten von Künstlern auftaucht, die sich nicht auf den Mann mit Hut beziehen. Beuys ist eine wiederaufladbare Batterie. Wer sie auflädt, steuert eigene Energie bei. Beuys ist eingegangen in den Ideenspeicher der Kunst. Löschen unmöglich. „Beuys‘ Zeichnungen sind immer bescheiden, immer basal“, sagt Heek. Ein neuer Stabreim: Beuys, basal, bescheiden. Beuys ist eine Wolke über dem Denken, ein Untertitel am Eingang in einen speziellen Kosmos.

Rührend, schlicht

Natürlich gibt es Entfremdungen – es gibt die, die das Wort Spinner spazierenführen, wenn es um Beuys geht. „Ich glaube, dass der beste Einstieg in das Werk die Zeichnungen sind“, sagt Heek. Neue Adjektive tauchen auf: „Rührend, schlicht.“ Es geht um die Tierzeichnungen. „Beuys hat die Seele der Tiere gesehen und zu Papier gebracht. Eben das ist es, was diese Arbeiten so anrührend macht. Genau da würde ich den Ausflug zu Beuys beginnen lassen.“
Findet sich Beuys in Heek? „Das würde ich so nicht sagen.“ Das sieht man ein. Niemand möchte über den Vergleich definiert werden. Beuys hat eine Idee etabliert. Die Wolke über dem Denken. Zeichnen ist angewandtes Denken. Beuys erleben ist Beuys begreifen ist Beuys besehen, besichtigen, ertasten.

Unheilig wichtig

Beuys ist nicht heilig, aber er ist wichtig. Beuys zur Ikone zu machen hieße, ihn erstarren zu lassen. Beuys ist nicht der Kunstmarkt. Beuys, basal, Basis, Ausgangspunkt, Bezugspunkt. Gustav Mahler: „Tradition ist die Bewahrung des Feuers – nicht die Anbetung der Asche.“ Zeichnen ist erweitertes Denken: Das Zeichnen im Zentrum – das Denken wird zum Untertitel. Das Gegenteil von Philosophie.
„Irgendwie hat doch jeder mal gezeichnet“, sagt Heek, „und wenn es nur Kritzeleien beim Telefonieren sind. Die Niederländer nennen das Krabbeltjes.“ Das entspricht der Leichtigkeit – ist irgendwie auch ulkig. So beginnt sich das Denken zu materialisieren. Plötzlich steht man vor einem Ergebnis: Es zeichnet. „Beuys erfährst du nicht über komplizierte Analysen.“ Das stimmt. Beuys ist eine sichtbare Botschaft. Beuys und die Botschaft. Das Echo des Gesprächs: „Geh‘ hin – sieh dir die Zeichnungen an. Danach das andere.“ Beuys ist nicht aufs Zeichnen zu reduzieren – aber das Zeichnen ist ein Anfang. Die Wolke über dem Denken. Beuys bleibt im Kopf, denkt man, weil er nicht verkopft ist.

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