Schreibkraft
Heiner Frost

Malta 4 hört

Ausverkauft

Beispiel: Haldern Pop. Längst ist das Festival eine Marke. 5.500 Besucher waren es in diesem Jahr (macht 369.000 Besucherstunden). Das Festival:  Ausverkauft – lange bevor die erste Band auf die Bühne kam. Veranstaltungen dieser Größenordnung können ohne Logistik im Hintergrund nicht stattfinden. Teil des Hintergrunds: Die Malteser. Bei 5.500 offiziellen Besuchern – die Musiker, Securityleute, Techniker, Presse und Ehrengäste nicht gerechnet – muss für medizinische Betreuung gesorgt sein. Sie beginnt beim Pflaster, weil sich jemand geschnitten hat und reicht von der Versorgung nach einem (Wespen) Stich bis hin zum Transport ins Krankenhaus.


Von Anfang an

Beim Halderner Open-Air waren die Malteser von Anfang an mit im Boot, und mit der Größe des Festivals wuchs natürlich die Maltesermannschaftsstärke kontinuierlich mit. Zurück zur Mathematik: 60 Einsatzkräfte waren diesmal dabei und leisteten insgesamt rund 1.500 Mannstunden. Apropos Mannstunden: Natürlich gehören auch Frauen zum Team. 60 Einsatzkräfte mal 72 Stunden – das hatten wir schon, macht 4.320 Mannstunden. Schnell wird klar: Es sind nicht ständig alle Einsatzkräfte vor Ort. Frank Postulart, Geschäftsführer des Ortsverbandes Rees der Malteser und Pressesprecher: „Wir haben im Vorfeld natürlich Schichten eingeteilt. Während eines Festivals wie in Haldern gibt es Zeiten, wo nicht ganz so viel los ist und Zeiten, wo wir mit vielen Kräften operieren müssen.“

Musik und Camping

Da sein allerdings muss ständig jemand – egal, ob es nun 6.30 Uhr morgens ist oder 23.45 nachts. Ein Einsatz in der „Größenordnung Haldern“ beginnt lange bevor die ersten Besucher anreisen und endet natürlich nicht mit dem letzten Ton aus den Lautsprechern. Schon vor dem ersten Festivaltag haben die Malteser ihr Equipment sortiert, die Einsatzwagen bestückt, dann vor Ort die Zelte aufgebaut: Behandlungszelt, Mannschaftszelt. Apropos Zelt: Die Besonderheit in Haldern: Musik und Camping. Das vergrößert das Einsatzgebiet: Zeltplatz, das Areal vor der Hauptbühne und ein circa 900 Besucher fassendes Spiegelzelt. Da der Reeser Stadtverband in der „Nachbarschaft“ um Unterstützung gebeten hat, ist vor allem für auswärtige Kräfte die Orientierung wichtig. Erstmals erprobt: ein Koordinatensystem mit verschiedenen sogenannten Rettungspunkten (RP), die es auf dem riesigen Areal erleichtern, mögliche Einsatzorte zu finden.  Natürlich: Niemand wünscht sich, dass schlimme Sachen passieren – die Helfer so wenig wie die Besucher, aber schon die allergische Reaktion auf einen Wespenstich erfordert Maßnahmen, und nicht alle Patienten schaffen es zum Behandlungszelt. Manche müssen – entweder per Trage oder mit dem Rettungswagen – vom Zeltplatz oder irgendwo im Innenraum vor der Hauptbühne „geholt“ werden. Um jederzeit eine optimale Versorgung gewährleisten zu können, kommt schnell einiges an „Personal“ zusammen. Wichtig: Die Besetzung der Einsatzleitung. Da wird alles koordiniert. Alle Funkverbindungen laufen hier auf. Die Teams sind nummeriert und hören auf den Namen „Malta“.

Flip Flops und Sonstiges

Jeder Einsatz wird protokolliert. (Größere Einsätze werden im Computer registriert, für kleinere Sachen gibt es Strichlisten.) Dazu Besatzungen für die Rettungs- und Krankentransportwagen, die Einsatzkräfte auf dem Platz, an der Bühne, im Spiegelzelt – und das alles rund um die Uhr. Eine Bilanz des ersten Tages: dreimal Pflaster, dreimal kühlen, sechs Salbenverbände, sechzehn Mal: Sonstiges. Sonstiges – das sind beispielsweise Insektenstiche und das „Entfernen von Fremdkörpern“. Fremdkörper? Fremdkörper. Frank Postulart: „Wir hatten einen Fall, wo ein junger Mann Ohrstöpsel so weit ins Ohr gedrückt hatte, dass er sie nicht mehr herausbekam.“  Insektenstiche sind natürlich immer ein Thema. Oft genug ist es mit Kühlung getan, aber bei allergischen Reaktionen muss der Patient beobachtet werden. Natürlich vor Ort: Ein Notarzt.
Tag zwei: 20 Pflaster, zehnmal Kühlung, 22 Verbände, 68 mal Sonstiges. Auch „Unwohlsein nach Alkoholgenuss“ kann schon mal unter „Sonstiges“ rangieren. Oder Kreislaufprobleme wegen Überhitzung. Tag drei: 40 Pflaster, elfmal Kühlung, 19 Verbände, 39 mal Sonstiges. Die meisten schaffen es locker zum Behandlungszelt: Tom zum Beispiel: Der braucht ein Pflaster. Es ist heiß – die Flip-Flops schaben zwischen den Zehen. Kleinigkeit. Schnell erledigt. Da muss kein Notarzt ran. Vor dem Behandlungszelt hängt der Desinfektionsmittelspender. Oberstes Gebot: Hände waschen.

Trage

Gegen 18 Uhr: Einsatz an der Hauptbühne. Per Funk wird eine Trage geordert. Ein junger Mann mit einer Verletzung am Schienbein, die von einem Arbeitsunfall stammt. Jetzt ist die Wunde aufgebrochen. Per Trage geht’s zum Behandlungszelt. Der Geruch von Jod steigt auf.  Ansonsten: Viel Fuß heute. Flip-Flops, Wespenstiche in den Zeh, Knöchel verstaucht. Zwischendurch eine Hand: Glassplitter. Säubern, verbinden. Danach geht’s zurück zum Platz. Ein junges Mädchen wartet vor dem Behandlungszelt: Drin liegt ihre Freundin. Wespenstich. Allergische Reaktion. Der Arzt ist da. Nach zwanzig Minuten kann die Freundin zur Freundin.  Mit allergischen Reaktionen ist nicht zu spaßen.

RP 2

Als es auf dem Campingplatz langsam dunkel wird, kommt ein Anruf über die Einsatzleitung: In der Nähe von RP 2 ist ein junger Mann beim Sprung über einen Zaun gestürzt. Verdacht auf Fraktur. Ein Team wird losgeschickt: „Malta vier hört. Machen uns auf den Weg zu RP 2.“ Jetzt zeigt sich, dass die Idee mit den Rettungspunkten zwar nicht schlecht war, aber die großen Zeichen sind nicht beleuchtet. Frank Postulart: „Das können wir im nächsten Jahr verbessern.“ Trotzdem: Keine drei Minuten nach dem Rettungsruf sind die ersten Malteser an Ort und Stelle. „Ich bin gefallen. Da hat es Knack gemacht“, beschreibt der Verletzte das, was sich später als Bruch herausstellen wird.

Ins Krankenhaus

Ein KTW wird geordert. KTW steht für Krankentransportwagen. Wieder dauert es keine drei Minuten, bis das Blaulicht zu sehen ist. Der junge Mann wird in den Wagen getragen. Der Wagen fährt zum Behandlungszelt. Vor dem „Ausladen“ schaut der Notarzt sich die Sache an. Diagnose: Fraktur. Der Patient muss ins Krankenhaus. Der junge Mann hat längst per Handy seinen Vater angerufen. Der ist kurze Zeit später da. Es wird vereinbart, dass der Transport zum Krankenhaus auf eigene Verantwortung vom Vater übernommen wird. Der KTW wird nicht mehr gebraucht und kann zurück in die „Warteschleife“.

Alles trocken

Während die einzelnen Teams im Gelände unterwegs sind, erholen sich die anderen im Mannschaftszelt. Es gibt Kaffee, Würstchen, kalte Getränke und eine Mikrowelle zum Aufwärmen von Fertiggerichten. Auf den Bierzelttischen: Markierte Trinkbecher. Kevin steht mit Filzstift draufgeschrieben oder Chris, Marlene, Tim. Auf einem der Tische ein Buch mit dem Titel „Das tote Herz“ – keine Fachlektüre in Sachen Wiederbelebung sondern ein Krimi. Auch Ablenkung  muss sein. Die Stimmung entspannt: Bisher keine wirklich schlimmen Einsätze. Es wird so bleiben. Am Ende des Festivals verzeichnet das Protokoll insgesamt 211 Einsätze.
Sonntags gegen 17 Uhr sind die Wagen und das Equipment wieder in der Garage. Auspacken kommt später.

Brennstoffe

Immerhin: Es hat nicht geregnet während der letzten Tage. Die Zelte sind trocken geblieben – konnten gleich eingepackt werden. Das spart Zeit. Bilanz des Einsatzes auf der „Malta-Seite“: Verbrauchter Brennstoff für die Einsatzfahrzeuge inklusive An- und Abreise: Rund 200 Liter. Verbrauchter „Brennstoff“ für die Mannschaft: 200 Bockwürstchen, circa 200 Brötchen und rund 100 Supttenterrinen zum Aufgießen. Dazu kommen Kaffee, Kaltgetränke und ein bisschen was zum Naschen.