Schreibkraft
Heiner Frost

Klettertour im Traditionsmassiv

Foto: Rüdiger Dehnen

Gefunkt hat es. Sagt Harald Kunde, Chef des Museums Kurhaus Kleve, das seinen Namen gern verkleinert schreibt: mkk. Wenn Kunde vom Funken spricht, meint er die Kunst. Es  geht um Arbeiten der in Kleve lebenden Künstlerin Gitta van Heumen-Lucas.


Eine Studioausstellung im „Oberstübchen“ des mkk zeigt (vom 4. November bis zum 9. Januar) Arbeiten aus den letzten fünf Jahren. Ja – beim Alter der Damen übt man Zurückhaltung, aber in diesem Fall sei gesagt: Demnächst feiert van Heumen-Lucas ihren 80. Geburtstag. Im Kopf entsteht ein Kontrast: Was im Kurhaus an der Wand hängt, wirkt jungfrisch und nicht altbacken.
Trotzdem entstehen Bezüge. Beziehungen. Schließlich gibt es für jeden Künstler das, was Kunde das „Traditionsgebirge“ nennt. Gitta van Heumen-Lucas zeigt in ihren Arbeiten, dass Reflektion und Kopie zwei ganz unterschiedliche Dinge sind. Ihre Arbeiten sind die Weiterführungen des Bekannten in den Kosmos des eigenen Schaffens. Ein Klettertour im Traidionsgebirge. Da beschreibt eine Künstlerin ihre Beziehung zur Tradition und findet eigene Worte.
Van Heumen-Lucas‘ Kunst ist mehr als eine Nacherzählung, mehr als eine Zusammenfassung. Harald Kunde sieht van Heumen-Lucas „mittendrin im bildnerischen Denken“. Er denkt über Heimat nach. Ja, die van Heumen-Lucas ist eine Klever Künstlerin, aber ihre Arbeiten sind nicht am Niederrhein zu verorten. Sie kommen im großen Atem daher.
Es geht ums Abstrakte. Das Abstrakte bei van Heumen-Lucas ist lebendig. Auch wenn es um die Hommage geht – im Hintergrund schweben Cage und Mondrian –, spürt man, dass es nicht um das Sich-Abarbeiten geht. Es geht um Kommunikation. Ein Teil des Kundeschen Funkens: „Was mich an den Arbeiten fasziniert. ist, dass bei Gitta van Heumen-Lucas immer ein Schuss Leben im Normativen steckt.“ Erklärung? Ja. Warum eigentlich nicht. Die Künstlerin erstickt nicht im und am Vorgegebenen – das Gewesene ist ein Sprungbrett ins Eigene. Man erwartet nicht, dass da eine die Kunst revolutioniert, aber man erwartet den Geist, der das Gewesene (Traditonsgebirge) zum Spielplatz der eigenen Phantasie macht. Genau das passiert in der Ausstellung „ponte/ponton“.
Es geht nicht um Kunst-Erklären. Es geht um Kunst-Erleben. Betonung auf Leben. Wer van Heumen-Lucas‘ Arbeiten als eine Art Figurenansammlung sieht, sollte zweimal blinzeln und noch mal hinschauen. Die Ebenen mischen sich – werden aufgebrochen und treten die Flucht aus dem Eindimensionalen an. Das Eindimensionale muss nicht nur eine Leinwand sein – es kann auch im Kopf stattfinden. Bei van Heumen-Lucas muss man davor keine Angst haben.
Die Arbeiten im Kurhaus geben sich nicht mit der Eindimensionalität zufrieden. Sie greifen in den Raum (ein). Gittas Welt: Improvisation. Modulation. Wer sich mit Musik auskennt, weiß allerdings, dass Improvisation Können braucht. Übung. Nur, wer schlecht improvisiert, liefert sich lediglich dem Augenblick aus. Improvisation lebt vom Erfahrenen, vom Erlebten, Erdachten und Erfühlten.
Was nach außen mitunter als Einschränkung gesehen wird, eröffnet in Wirklichkeit Freiräume.  Harald Kunde sieht (hört) in den Arbeiten eine Konzeption, die sich den Tönen des Lebens widmet. Zum Tönen gehört immer auch die Dissonanz. Ohne Dissonanz droht das Ertrinken in der vordergründigen Lieblichkeit, die schnell auch zur Leblosigkeit werden kann. Kunst ist nicht das Gefundenhaben. Es geht um lebendiges Suchen. Wer ein Rezept zu haben glaubt, sollte sich einwecken und ins Kellerregal stellen lassen. Ein künstlerisches Objekt jedweder Art vollendet sich immer erst im Hirn des Publikums. Man kann es nicht oft genug sagen: Ein Bild ohne Hinschauen ist kein Bild.
Ein bisschen Museums-O-Ton: „Die Arbeitsmethode von Gitta van Heumen-Lucas umfasst Schichtungen in der Ebene und im Raum, die eine austarierte Wechselwirkung ergeben. Ihre Bilder sind Objekte, die aus den drei Komponenten malerischem Grund, Vorder- und Rückseite des Trägerglases bestehen. Alle drei reichen sowohl in den Raum als auch von ihm weg in die Tiefe. Für das Verständnis ihrer Kunst sind zwei Einflussgrößen relevant: Piet Mondrian und John Cage. Dementsprechend können ihre Bilder als eine Form der musikalischen Notation verstanden werden, in der sich einzelne Komponenten von Bild zu Bild fortsetzen. Ihre Werke sind nicht als Einzelbilder definiert, sondern als Serien angelegt, die Prozesse von Zeit und Bewegung umfassen. “
Die Studioausstellung ist hinsehenswert – ebenso wie die aus fünf mal fünf Blättern bestehende Edition (Einzelblätter: 400 Euro). Es geht um fünf Farben  und je fünf Exemplare. Am Donnerstag, 19. Januar, wird um 19.30 ein Gespräch mit der Künstlerin stattfinden.

Foto: Rüdiger Dehnen

Foto: Rüdiger Dehnen