Herrn X. tut die Sache leid. Natürlich. Er hätte das nicht tun dürfen. Das Zerstören von Wahlplakaten ist eine Sachbeschädigung. Vielleicht würde man ein solches Delikt normalerweise nicht vor Gericht klären, aber Herr X. hat eine Vergangenheit …
Herr X. ist, er sagt das selbst, alkoholkrank. Eine Erbschaft? Auch X.s Vater und Mutter waren abhängig. X. hat 13 Vorstrafen. Keine Kleinigkeit. Beleidigungen sind darunter und – immer wieder – Fahren ohne Fahrerlaubnis. Als X. die Plakate zerstörte, stand er unter laufender Bewährung. Der Prozess beginnt mit vier angeklagten Sachbeschädigungen. X. kann sich, sagt er, nicht erinnern. Zwei Promille Blutalkohol. Am Ende wird man ihm nur ein zerstörtes Plakat vorwerfen, denn dafür gibt es einen Zeugen – das ist Herr A., der sich gut erinnern kann. Herr A. wohnt in Bedburg-Hau und kümmert sich um die SPD-Plakate. „Da waren schon eine Woche vorher Plakate abgerissen worden“, erinnert er sich. Dann bekam er einen Anruf, fuhr zum Bahnhof in Bedburg-Hau. „Da habe ich dann schon gesehen, dass ein Plakat zerrissen war.“
A. fährt nachhause und begibt sich – man kann‘s ja mal versuchen – in der Nähe eines Plakates in Lauerstellung. („Ich geh‘ dann mal hinter die Tujas stehen“, sagt sich A. und hat das Glück des Wartenden.) X. kommt vorbei und reißt ein Plakat herunter. A. stellt den Täter. Die Polizei wird gerufen. „Der war betrunken. Der hat ziemlich gegrölt.“ So beschreibt A., was sich zutrug.
X. gibt – was soll er auch groß sagen – die Sache mit dem Plakat, bei dessen Zerstörung er beobachtet wurde, zu. An weitere drei Plakate kann er sich („Darf ich das so sagen?“) nicht erinnern.
Nach dem Vorfall hat X. sich an die Partei gewandt. Er hat sich entschuldigt, hat 50 Euro gezahlt. Eigentlich ist X. ein armer Hund. Er lebt von Hartz IV. Er kann nicht arbeiten – leidet an einer Sozialphobie und Depressionen. Die Bewährungshelferin sieht in ihrem Klienten einen verlässlichen Menschen, der „zu erreichen ist“.
Seit zwei Monaten ist X. trocken. Er wirkt ruhig. Besonnen. Auf dem Gang hat er sich, bevor es losging, bei Herrn A. entschuldigt. Man hatte den Eindruck, dass es für X. ein Bedürfnis war. A. hat die Entschuldigung angenommen. Für ihn „ist die Sache erledigt. „Der hätte auch das Plakat nicht bezahlen müssen“, sagt A. und wendet sich nochmals an X.: „So etwas tut man einfach nicht. Versprechen Sie einfach, dass Sie das nicht mehr machen werden.“ Herr A. verzichtet auf die Erstattung seiner Auslagen. „Geschenkt.“
Am Ende wird X. zu 30 Tagessätzen zu je 12 Euro verurteilt. „Das liegt an den Vorstrafen“, erklärt der Richter – das sei kein Paradebeispiel für die Einstellung eines Verfahrens. Herr X. sieht das ein. Es tut ihm leid.