Schreibkraft
Heiner Frost

Eine Frage der Zeit

Verrückt

Verrückt ist das schon: Was wir am wenigsten präzise definieren können, lässt sich mit höchster Präzision messen. Die Zeit(messung) spielt im Leben von Alfons Bußkamp eine übergeordnete Rolle. Der Mann ist Diplom-Physiker und Uhrmacher; genau gesagt ist er NRW-Landesinnungsmeister des Uhrmacherhandwerks.


Bußkamp unterrichtet am Max-Born-Berufskolleg in Recklinghausen. Er bildet den Uhrmachernachwuchs aus. Schon hatte man gedacht, Uhrmacher sei einer dieser Berufe, die mangels Bedarf ihrem Ende entgegenverschwinden. Von wegen. „Uhrmacher“, sagt Bußkamp, „sind sehr gefragt.“ Klartext: Wer seinen Gesellenbrief in der Tasche hat, muss um Arbeit nicht bangen.
Bundesweit gibt es derzeit rund 400 Uhrmacher-Lehrlinge. „Der Bedarf ist allerdings circa drei mal so hoch“, sagt Bußkamp. Das klingt nach einer guten Chance.

Gute Chancen

Bis zu 16 Lehrlinge werden in Recklinghausen im dualen System ausgebildet. Bußkamp: „Viele unserer Lehrlinge haben schon vor ihrer Gesellenprüfung eine Stelle sicher.“ Am Max-Born-Berufskolleg wird aber für Uhrmacher noch eine Besonderheit angeboten: Die vollzeitschulische Berufsausbildung. Alljährlich werden hier bis zu sieben Ausbildungsplätze vergeben. Das Besondere: Die vollzeitschulische Berufsausbildung findet im Gegensatz zum dualen System quasi ohne Lehrstelle statt. Eine Ausbildungsvergütung wird nicht gezahlt, aber die Ausbildung wird nach dem Berufsausbildungsgesetz unterstützt. Häufig wird ja für Interessenten ein Praktikum empfohlen. Wird so etwas am Max-Born-Berufskolleg angeboten? „Natürlich bieten wir hier auch die Möglichkeit an, ein Praktikum zu machen“, sagt Bußkamp.
Was wird denn vorausgesetzt, wenn jemand sich für den Beruf des Uhrmachers interessiert? „Neben dem handwerklichen Geschick geht es vor allem auch um Mathematik und Physik.“ Wieso eigentlich Mathe und Physik? „Zeitmessung bedeutet ja eigentlich Schwingungsmessung – egal ob es sich um eine Pendelschwingung handelt oder die Schwingung von Quarzkristallen, die übrigens bei 32.000 Hertz liegt.“ Wenn es um die verschiedenen Schwingungen geht, ist ein Grundverständnis physikalischer Zusammenhänge schon sehr wichtig.

Großer Einschnitt Quarz

Fragt man ihn nach der einschneidendsten Änderung in der Geschichte des Uhrmacherhandwerks, nennt er die Einführung der Quarzuhr. „Die Idee dafür stammt schon vom Beginn der 1920-er Jahre. Sie wurde von einem Kanadier entwickelt. Ende der 20-er Jahre wurden bereits die ersten Quarzuhren gebaut. Die hatten dann allerdings die Größe eines Zimmers“, sagt Bußkamp. In den 1970-er und -80-er Jahren brach der Bedarf an Fachkräften zusammen. Heute werden sie händeringend gesucht.
Für einen wie Bußkamp teilt sich das Uhrenuniversum in „Zeitmesser am Handgelenk“ einerseits  und „mechanische Kunstwerke“ andererseits. „Gerade einmal 5 Prozent der Uhrenproduktion sind heutzutage den mechanischen Uhren vorbehalten. Ganz im Gegensatz dazu machen sie allerdings 80 Prozent des Wertes aller verkauften Uhren aus.“
Was bedeutet Uhrmacher sein heute? „Der Uhrmacher ist ja beispielsweise eine wichtige Schaltstelle zwischen Werkstatt und Verkauf“, beschreibt Bußkamp eines der Betätigungsfelder. Im Alltag geht es aber auch um das Wechseln eines Uhrbandes über das Auswechseln des Glases oder einer Batterie beim Quarzwerk bis zu komplizierten Reparaturen. Und dann gibt es natürlich auch jede Menge alter Uhren, die gepflegt und gewartet werden müssen.
Ist Uhrmacher eigentlich eine Männerdomäne? Bußkamp überlegt nicht lange. „Nein. Schon vor 100 Jahren gab es Frauen in unserem Beruf, und bei den derzeitigen Auszubildenden, dürften sich die Geschlechterzahlen im Gleichgewicht befinden.“
Wer sich auf die Internetseite des Berufskollegs begibt (https://www.max-born-berufskolleg.de/bildungsangebot/maschinenbautechnik/uhrmacherin/), findet bei den Voraussetzungen für die Ausbildung folgende Information: „Eingangsvoraussetzungen für die Ausbildung zum Uhrmacher sind der Hauptschulabschluss Typ B beziehungsweise eine Beratungsprüfung. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Darüber hinaus sind Praktika vorgesehen.“ Ein Schuldgeld für die vollzeitschulische Ausbildung wird nicht erhoben. Es entstehen jedoch Kosten für Arbeitskleidung, persönliches Kleinwerkzeug, Bücher und Material. Außerdem fallen Prüfungsgebühren der Handwerkskammer für die Zwischenprüfung und die Abnahme der Gesellenprüfung an. Die Berufsausbildung wird abgeschlossen mit der Ablegung der Gesellenprüfung vor dem Prüfungsausschuss der Handwerkskammer.
Interessenten können sich von Alfons Bußkamp (Telefon 02506/3918) sowie Udo Friedrich (Telefon 02361/30675-9618) beraten lassen oder schicken ihre Bewerbungsunterlagen an das Max-Born-Berufskolleg, Campus Blumenthal 3, 45665 Recklinghausen.