Die Künstlerinnen: abgereist. Planmäßig. Vier Wochen haben Judith Funke und Beatrice Richter im Turm gearbeitet. Jetzt betritt man eine Echokammer – sieht, was geblieben ist vom Dasein, das ein Da-Gewesen-Sein ist.
Der Turm steht weiß und schweiget: karg möbliert mit Wesentlichem. Die Ideen: Andeutungen. Weiße Schatten irgendwie. Kleine Zeichnungen, Inszenierungen in einem Raum, der den Kreis als Form vorgibt und in dem alles immer wieder an den Anfang gerät – oder ans Ende. Der Turm: ein Kreislauf mit aufsteigender Tendenz.
Während man unterwegs ist, wird alles zur Wichtigkeit. Arglos war gestern. Die Zeichnungen: Sprenkel im Großen. Ausblicke. Einblicke. Beim Aufsteigen gerät man mehr und mehr ins Wesentliche. Man lernt etwas über das Weglassen. Man beginnt, das Mobiliar der eigenen Befindlichkeit mit dem zu kombinieren, war hier zu sehen ist. Etage für Etage arbeitet man sich zur Turmspitze und steht am Ende vor einem Verließ aus Vergangenheiten. Auf Leinwände projeziert: Gesichter, denen man ihr Gewesen-Sein anmerkt. Unverkennbar. Es sind Gesichter – angefüllt mit dem Rauschen einer Zeit, die nicht mehr ist. Später erfährt man, dass es sich um Fotos von Emailleplaketten handelt, die auf spanischen Friedhöfen an Gräbern zu finden sind. Man steht und schweigt. Bis hierhin ist man aufgestiegen – dem Himmel nah gekommen: ein kleines Stück. Und jetzt trifft man auf diese Gesichter voll Zeit und Vergangenheit, die alles, was den Anstieg anfüllte, neu einfärben. Jetzt müsste der Turmhelm aufgehen und ein Ballon zur allerletzten Reise abschweben. Einsteigen bitte.
Die Künstlerinnen: abgereist. Planmäßig. Ihre Spuren im Turm – zu sehen bis zum 11. September, samstags und sonntags zwischen 11 und 17 Uhr. Dann steigt man hinab – erlebt eingefärbt, was man bereits gesehen hat – tritt in diesen Dialog der Ewigkeiten ein. Sieht Trockenblumen an der Wand – kopfüber aufgehängt; sieht diese Zeichnungen, die Fensterblicke sein könnten; sieht einen weißen Stuhl einsam dastehen – die Welt dreht sich: Rücksturz in die Atmosphäre der Endlichkeit.
Man geht aus der Tür, geht zum Parkplatz – den Kopf voll mit einem weißen Echo… und da steht dieser Sprinter: die Türen weit offen. Musik schallt. Im Wagen: Frühstücker. Das Radio: weit aufgedreht, damit alle es hören. Da walzert es scheinbar harmlosunschuldig über den Platz: Man traut seinen Ohren nicht. Man begreift erst jetzt, dass man noch nicht weit genug abgestiegen ist. Dass es immer noch tiefer hinabgehen kann: „Gruppensex im Altersheim, da sagt keine Oma nein […] Gruppensex im Altersheim, einmal raus und einmal rein […]“ Wohin ist man geraten? Ist das hier das wahre Leben? Soll man hingehen und zum Turmbesuch einladen?
Die Künstlerinnen: abgereist. Gottseidank. Man muss nicht alles erleben. Da ist dieses Nebeneinander von Unaussprechlichkeiten. Hier der Turm, da „Die 3 Besoffkis” – so nennen sich die Fabrikanten des Unseligen. Man geht zurück in die Echokammer. Wie schön ist die Kunst und wie billig das Leben.