Schreibkraft
Heiner Frost

Beihilfe zum Aufbruch

Foto: Rüdiger Dehnen

Knäste sind fremde Orte. Verschlossenes Abseits. Fabriken der Sicherheit – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
Knäste gelangen meist nur dann in die Randbereiche der Wahrnehmung, wenn sich Lücken auftun – wenn also Fluchten stattfinden, oder wenn bekannte Menschen (Höhnes, Kachelmann) ihren Weg dorthin antreten.

Im Knast werden die verwahrt, die draußen ihre Chance verspielt haben. So ist es meistens  und man fragt sich, ob es anders läuft in Geldern. Da steht – irgendwie mitten auf der grünen Wiese – eine Zwangsheimat für rund 600 Gefangene, und auf der imposanten Mauer steht – gut und von weitem für alle lesbar: Sehnsucht. An einer anderen Stelle – gleich vor dem Eingang – führt ein Zebrastreifen vom Besucherwartehäuschen über die Straße und dann, schräg über die Mauer, himmelwärts. Was soll denn das?
Der Knast in Geldern Pont dürfte im Land mit seiner Außensansicht einigemaßen einzigartig dastehen. Die Außenansicht ist dabei auch ein Stück Innenansicht, denn was auf den Mauern und im Gelände zu sehen ist, dokumentiert Ausbruchsversuche der inneren Art: Kunst. Gerade eben ist ein neues Kunstwerk entstanden, und das ging so.
Irgendwann wurde ein altes Fenster ausgebaut – eines, dessen Gittern aus Betonrippen besteht. Davon erfuhr Peter Busch. Er arbeitet sein Jahr und Tag mit den Gefangenen an Kunstprojekten und viel von dem, was das Innen nach außen kehrt, hat er zusammen mit den Gefangenen entwickelt.
Einmal wöchentlich treffen sie sich und diskutieren. Projekte entstehen – manche werden nicht realisiert, andere wohl. „Gegenüber“ ist eines der Projekte, die es aus den Köpfen in die Freiheit geschafft haben. Da steht auf der Wiese dieses Fenster, und auf beiden Seite steht jeweils die stählerne Silhouette eines Menschen: Ein Mann, eine Frau. Durch das vergitterte Fenster schauen sie sich an.
Wenn Busch und die Jungs Kunst machen, geht es immer um die Ambivalenzen, die Doppelsinnigkeiten. Es gibt nicht nur draußen. Ein Draußen existiert nur, wenn das Drinnen als Gegenteil gedacht werden kann. Und ein Gegenüber braucht immer die andere Seite. Eigentlich ein schönes Wort, in dem sich gegen und über treffen und zu einem neuen Gedanken werden. Busch und die Gefangenen arbeiten an Gedankenexperimenten der anderen Art. Busch ist einer von denen, die den Weg ins Zentrum stellen. Das Ziel entsteht dann von ganz alleine. „Für mich ist wichtig, dass wir diskutieren – Dinge entwickeln. Busch ist einer, dem man Beihilfe zum Ausbruch attestieren kann, denn Kunst entsteht im Kopf – eben dort, wo es günstigstenfalls keine Mauern gibt. Kunst ist mindestens die Beihilfe zum Aufbrechen.
Kürzlich wurde „Gegenüber“ aufgestellt: In den Boden eingelassen. Mit dabei: Die Gefangenen, die das Gegenüber erdacht  und umgesetzt haben, Peter Busch und Mario Langenberg. Er bildet im Auftrag des TÜV Nord in Pont die Schweißer aus. „Ich habe mit einem Gefangenen zusammen die Figuren gebaut“, sagt er. Zwei Tage hat‘s gedauert. Das Material: Stahl aus dem alten Tank des ehemaligen Gelderner Wasserturms. Abfall gibt es nicht.  Schnell kann man einen solchen Satz als Kernbotschaft deuten. Die da draußen mit Schaufel und  viel Engagement die Kunst auf die Wiese stellen, werden vielleicht zu Botschaftern für die Chance danach. „Wer nimmt schon, wenn er entlassen wird, ein Bild vom Knast mit nachhause“, sagt Peter Busch, „die meisten tun das eher nicht, aber unseren Objekten kann es passieren, dass sie zu Fotos an der Wand und zu Erinnerungen werden.“