Ankommen ist keine Kleinigkeit.
Harald Kundes Ankunft im Klever Kurhaus war langwierig. Jetzt ist sie vollzogen. Nicht, dass der Mann vorher nicht dagewesen wäre. Natürlich war er da. Natürlich war er Chef. Aber manchmal müssen erst Schatten weiß gestrichen werden.
Harald Kundes Ankunft im Klever Kurhaus war langwierig. Jetzt ist sie vollzogen. Nicht, dass der Mann vorher nicht dagewesen wäre. Natürlich war er da. Natürlich war er Chef. Aber manchmal müssen erst Schatten weiß gestrichen werden. Kunde ist angekommen. Jetzt gibt es eine Sichtmarke. Duftmarken sind etwas für Vierbeiner. Die pinkeln einen Bauman und markieren ihr Revier. Museumsleute zeigen Haltung. Haltung findet ander Wand statt. Kunde ist angekommen – endgültig, mit der Betonung auf dem zweiten Wort. Jetzt schwebt er durch sein Museum, erklärt die neue Ausstellung.
Basic Research
Beim Titel„Basic Research“ wusste man nicht recht, ob es etwas zu fremdeln gab. Manche, die mit Englischem daherkommen, spielen den Weltbürger und sind – genau besehen – nur Verkäufer in einem Kramladen. Basic Research ist eine fulminanteAusstellung mit allem Für und Wider, das Gruppenausstellungen mit sich bringen. Andererseits ist Basic Research keine Gruppenausstellung. Basic Research ist eine gelungene Klammer, die vieles beinhaltet. Kunde hat sich in die Kurhaus-Sammlung vertieft – ein erster Teil der Grundlagenforschung. Nichts anderes bedeutet Basic Research.Warum dann nicht gleich ein deutscher Titel, fragt man, und der Chef zieht das Ass aus dem Ärmel: Der Titel stammt von einem Bild. Es stammt von1990 und trägt eben jenen Titel, den nun auch die Ausstellung trägt. „BasicResearch“ ist von Isa Genzken gemalt.Was Kunde in Basic Research gegenüberstellt, hat das Zeug zum großen Wurf, weil eine Mischung gelungen ist, die vor nichts zurückschreckt und gleichzeitig den Ort Kurhaus neu definiert, indem sie andere Blickwinkel anbietet.
Virtuos bespielt
Die großen Flächen des Hauses werden ebenso virtuos bespielt wie die kleinen Räume. Für alles – so die Nebenbotschaft der Ausstellung – für alles gibtes eine Lösung.Es geht Kunde um die Kunst – darankann kein Zweifel bestehen, aber es gehtihm auch darum, ein Publikum zulocken. Verunsicherung im besten Sinne ist Teil des Programms. Da parkt zwischen den mittelalterlichen Schnitzfiguren fast unmerklich Stephan Balkenhols Miniatur des eisernen Mannes und es bleibt festzuhalten: Dergleichen ist mehr als ein Gag im Vordergrund. Es ist der Einbruch der Täglichkeit in die Kabinette des vermeintlich Angestaubten.
Spaß haben
Was heute allenthalben „Position“ genannt wird, trifft – im Jahrhundertabstand – aufeinander, als sei nichts gewesen. Und: Es funktioniert. Dann hockt da plötzlich eine schwarze Ratte (Katharina Fritsch) zwischen dem Klever Tafelsilber und sorgt für einen dieser Fragezeichenmomente, wie sieKunde Spaß machen. Natürlich geht es nicht darum, dass einer wie er seinen Spaß hat. Oder vielleicht doch? Auch. Spaß überträgt sich. Es geht darum,Sichtweisen anzubieten, die sich bis insDetail vorarbeiten. Basic Research ist voll von Kleinigkeiten, ohne vor dem großen Wurfzurückzuschrecken. Basic Research ist auch die Parallelisierung des Alten mit dem Neuen. Es taucht Klever Geschichte auf, ohne das Kurhaus zum Heimatmuseum zu machen. Basic Research ist mehr als eine Neupräsentation. „Oft sagen ja die Leute,wenn man die eigene Sammlung zeigt: Jetzt fällt denen nichts mehr ein oder: Vielleicht ist denen das Geld ausgegangen“, sagt Harald Kunde.
Anmerkungen
Wer nach Inaugenscheinnahme von Basic Research dergleichen behauptet, sollte sich flugs einen neuen Optiker suchen. Schließlich hat Basic Research noch einen Untertitel: „Notes on the Collection“ – vielleicht könnte man übersetzen: Anmerkungen zu einer Sammlung. Auch hier gilt: Was Kunde mitzuteilen hat, muss nicht über kluge Sprüche erschlossen werden. Hingehen und Angucken ist die beste Medizin. Der Kommentar hängt schließlich an der Wand. Basic Research ist weit mehr als die Neupräsentation von Vorgefundenem, denn die Ausstellung mischt Einblicke in die Sammlung mit Präsentationen anderer Arbeiten. Da passt der Titel hervorragend, denn um abzuliefern, was Harald Kunde hier vorstellt, muss man ein Verständnis des Vorhandenen haben, das nur durch Grundlagenforschung zu erwerben ist.
Verbindungen
Aber: Da muss einer es verstehen, den Einblick zum Ausblick werden zu lassen. Basic Research weckt den Spaß an der Freude, ohne auf Vordergründigkeiten zu setzen. Basic Research ist durchdacht, ohne dabei zu verwissenschaftlichen. Basic Research stellt Verbindungen her: Im Kopf und an der Wand – zwischen Künstlern und Epochen, zwischen Zuständen und Zuständigkeiten. Für Harald Kunde – das wird schnell klar –ist es wichtig, die Epochen nicht kommentarlos zu vermischen. Wenn er den Mixer anwirft, gibt es ein fein durchdachtes Programm, das immer auch Kleinigkeiten erforscht und sich nicht zu schade ist, Brechungen – Irritationen einzubauen. Nichts passiert ohne Grund– trotzdem ist nichts zur Wissenschaftsstarre geronnen. Basic Research ist irgendwie virtuos, ohne dabei anzugeben. Da kommt einer zur Sache, indem er die Sache zu sich kommen lässt. Da ist der DJ nicht wichtiger als das, was er auflegt, und genau hier bezieht Basic Research ungeheure Wirkungs-dichte. Es gibt viel Farbe, es gibt viel Spannendes, es gibt Dialoge an der Wand und Sturm im Kopf. Zu berichten wäre von Garagentoren – großzügig an dieWand gestreut, von gobelinartigen Monsterteppichen als Geschichtsspiegel und Kommentar des Zeitgeschehens, von Räumen voller Buchstaben, von Ulrich Erbens neuem Platz – von einem Gedan-kenzauber, der das Kurhaus ein Stück magischer macht. Kunde hat seine Grundlagenforschung in Ergebnisse umgesetzt, jetzt ist das Publikum an der Reihe und findet reichlich Gelegenheit, sich Gedanken zu machen. Die Ausstellung überschreitet leichtfüßig eben jene Trennlinie, die das Erbauungsmuseum alter Prägung vomEintauchplatz abgrenzt und zum Landeplatz für die mitgebrachte Phantasie macht. Basic Research stellt mühelos Einklänge durch Dissonanzen her und vergisst nicht, auch das Dissonante im Einklang zu suchen. Da hat jemand die Dinge zu Ende gedacht und präsentiert ein Ergebnis, das am Ende der Grundlagenforschung ein Höchstmaß an freiem Schweben herstellt und nicht kon-struiert. In einem guten Museum findet Lebenstatt. Wer auf der Suche nach den Toten ist, biegt an der Friedhofsmauer ab. Kunst ist eine Form des kreativen Widerstandes gegen das Vergessen. Gegen die Gedankenlosigkeit. Das Museum ist keine Entbindungsstation für künftige Säulenheilige – es ist ein Ort der kommunizierenden Röhren. Botox fürs Hirn.