Wie schnell es sich anfühlt, als sei nichts gewesen. Es ist Sonntagvormittag, kurz vor elf. Das 35. Haldern Pop ist längst dabei, Geschichte zu werden. Eine Autoschlange arbeitet sich Richtung „Ausgang“. „See you next year.“ (Wir sehen uns im nächsten Jahr.)
Auf einem Trecker: Mitarbeiter des Haldern Pop. Sie winken den Abreisenden. Die ihrerseits hupen zm Abschied. „Bis nächstes Jahr“, ruft einer durchs offene Beifahrerfenster. Auf dem Platz hat die Demontage längst begonnen. Die Bühne ist zum Gerippe abgemagert. Am Abend wird kaum noch etwas von ihr zu sehen sein.
Ein Dorf ist – Stück für Stück und Abreise für Abreise – wieder sich selbst überlassen und kehrt zu eben jener Stille zurück, die ein Sonntag auf dem Land so mit sich bringt. Im Kopf sortiert sich das Leben neu. Eigentlich sortiert es sich nicht neu – es kehrt in den Vorruhestand zurück. Der Dorfkern hat das Englische wieder abgelegt. Zweieinhalb Tage lang: Schlangestehen hier, Schlangestehen dort. Schlangen vor der Pop Bar, der Kirche, dem Jugendheim, der Bäckerei. Die Stiefel im Schuhladen: Diesmal gottseidank nicht ausverkauft. Es hat zwar geregnet, aber nicht viel. Trotzdem: Verrückt ist das schon – acht Wochen lang hat Dürre regiert, dann bricht es gleich am ersten Festivaltag aus den Wolken: Das ist doch nicht gerecht. Es kracht und blitzt aus dem Himmel, dass man denkt, es hat jemand Strafe verdient. Aber der Regen ist keine Strafe. Er ist tropfende Rettung. Nachts heilt ein steter Wind den Platz.
Während auf der Hauptstraße Rucksackmenschen ihre Dreitagesbleibe tragen (es geht zurück zu den Schienen und dann ab nach Hause), sortiert man Bilder im Kopf. Der Mann, der im Schlafanzug und mit Krallenpuschen auf der Bühne stand – hinter der Bühne ein Mercedes: Hinter der Windschutzscheibe ein gelbes Schild mit schwarzen Buchstaben: Fortuna Ehrenfeld – nah am Wasser. „Fortuna Ehrenfeld“ hatten nicht alle auf dem Zettel. Kein Headliner. Aber der Mann im Schlafanzug: Ein ganz großer Poet, vor dessen Texten man in Bewunderung die Luft anhält. Am Schluss holt er „die Reitplatzbläser“ auf die Bühne, Musiker aus dem Dorf und der Umgebung: Sie salutieren mit Tönen. Das rührt an. Das ist einer dieser Momente, die man mitnehmen würde, auch wenn die Kamera ihren Dienst verweigert hätte. „Irgendwie keine Headliner in diesem Jahr“, hat man zwischendurch immer wieder gehört. Das hängt von der Definition ab. Haldern ist eine Kontaktbörse in Sachen Tonerfahrung. Haldern ist irgendwie auch eine Zumutung im besten Sinn. Bei weit mehr als 60 Programmpunkten sind Entscheidungen gefragt. Tauschhandel ist gefragt: Entscheidung gegen reichlich neue Erkenntnisse. Es gibt jetzt Namen im Kopf, die man ohne Haldern vielleicht übersehen hätte. Es bleiben Begegnungen mit Menschen, die man sonst nicht getroffen hätte. Haldern ist kein „ichbindannmalwegfestival“. Es geht um Kommunikation. Man ist beeindruckt – auch von den Ordnern. Alle waren freundlich. Keine Feldherrentöne nach dem Motto „hier dürfen Sie aber nicht durch“. Immer eine Erklärung und irgendwie immer auch ein Lächeln.
Im Eiscafé trinken ein paar Zufallszeltnachbarn den Abschiedscappuccino. „Vielleicht sehen wir uns ja im nächsten Jahr wieder.“ „Schön war‘s.“ „Schade, die Sache mit dem Regen.“ Und: „Die Bier-Preise: In Ordnung.“ „Ein bisschen mehr Fressangebote hätte man sich gewünscht.“ „War da nicht im letzten Jahr ein echt cooler Stand mit israelischen Sandwiches?“ „Apropos cool: De Staat. Ziemlich heiß.“ „Holland eben.“ „Und Stargaze?“ „Abgedreht, oder?“ „Klassik und Hip Hop – irgendwie Wacken für die grauen Zellen.“ „Mehr Mischung geht ja kaum.“ „Wir müssen. Wir sehen uns zweineunzehn.“ „Echt cooles Dorf hier, oder?“