Schreibkraft
Heiner Frost

20 Jahre auf der Straße und noch nie gestorben

Eigentlich …

… sollte es eine kurze Fahrt werden: Nur mal eben ein paar Betonteile von hier nach da transportieren. Gesamtgewicht rund acht Tonnen. Was ist soll da groß passieren? Passieren kann, dass zufällig Polizei, Zoll, Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und staatliches Amt für Arbeitsschutz eine Kontrolle durchführen — im Rahmen einer Europakampagne Kontrollen des gewerblichen Güterverkehrs. Für den Fahrer der Betonteile heißt das am „zunächst einmal: Ende einer Dienstfahrt. Eine Woche lang haben die Beamten ihre Kontrollen durchgeführt, und es ging nicht nur um Ladungssicherung. Polizeihauptkommissar Manfred Opgenorth ist Leiter des Verkehrsdienstes Nord der Kreispolizeibehörde Kleve und hat den Einsatz geplant. Er erklärt: „Bei unseren Kontrollen wird eigentlich alles überprüft.““Alles, das bedeutet natürlich auch die routinemäßige Kontrolle der Fahrtenschreiber. Sind die Lenkzeiten eingehalten worden? Es werden auch  Sozialversicherungsausweise überprüft. Es geht um eventuellen Treibstoffschmuggel, aber eben auch um die allgemeine Verkehrssicherheit, Geschwindigkeit, Reifenprofile.

Formschluss

Gerade in puncto Ladungssicherung sind die Beamten einiges gewohnt. Eines der Hauptworte heißt hier Formschluss. Ladung, egal welcher Art, kann beim Bremsen oder in Kurven zur tödlichen Bedrohung (nicht nur für den Fahrer) werden. Trotzdem wird vielerorts das Thema Ladungssicherheit eher klein geschrieben. Und was bedeutet nun Formschluss? Im Prinzip geht es darum, dass Ladung nicht verrutschen kann. Also gilt es, nach vorne und hinten aber auch zu den Seiten die Ladung so zu verstauen, dass Rutschen nicht möglich ist.

Zu schlapp gespannt

Die Beamten nutzen den Betonteiltransporter zur Demonstration: Die einzelnen Ladungselemente sind alles andere als Seite an Seite“gelagert. Wenn der Fahrer in die Eisen muss, würde sich die Ladung schnell selbständig“machen. Zwar sind die einzelnen Teile noch mit Spannbändern gesichert — aber so viel steht fest: Das reicht nicht. Die Spannung auf den Bändern wird mit einem Messgerät kontrolliert. Diagnose: Zu schlapp gespannt. Der Fahrer sieht die Sache gelassen. Es ist schließlich nur eine kurze Fahrt. Wäre er länger unterwegs, würde er die Ladung anders sichern. Selbstverständlich. „20 Jahre auf der Straße und noch nie gestorben“, frötzelt einer der Beamten. Übersetzung: Überleben ist oft genug reine Glücksache.

Da hab‘ ich doch die A-Karte

Der Fahrer wird kleinlaut. Er wird nicht eher weiter fahren dürfen, bis er die Ladung richtig deponiert und verzurrt hat. Er ist für den Zustand seiner Ladung verantwortlich. Aber, so der Fahrer, was soll er schon machen. Er ist froh, seinen Job zu haben. Der Chef hat genügend andere in der Warteschleife. „Wenn ich darauf bestehe, dass anders geladen werden muss, dann bin ich schnell meinen Job los.“ Also, wendet er sich an die Beamten, „müsst ihr dafür sorgen, dass die Vorschriften eindeutig sind.““Betonteile dieser Größe mit Spannbändern zu sichern, hält er für ziemlich blödsinnig. Da müssten Ketten her. Die aber sind in diesem Fall nicht vorgeschrieben. Und was nicht sein muss wird auch nicht gemacht. „Da hab ich doch am Schluss die A-Karte“, argumentiert der Fahrer. Das hier sollte nur eine schnelle Fuhre sein. Kein großer Zeitaufwand. Die Zeit aber ist jetzt erst einmal vernichtet. Was als kleine Sache geplant war („Nur mal eben ein paar Teile fahren“) wird jetzt zum vorläufigen Ende einer Dienstfahrt, und natürlich wird auch ein Bußgeld fällig.  So viel steht fest: Solange die Teile nicht umgeladen werden, geht hier nichts mehr, auch, wenn es von hier bis zum Ziel gerade mal zwei Kilometer sind. Zwischenzeitlich haben die anderen an der Kontrollstelle weitere Lastwagen angehalten. Eine Lenkzeitüberschreitung wird festgestellt. Knapp sechs Stunden hat ein Fahrer ununterbrochen am Lenkrad gesessen.

Spritschmuggler und Mautpreller

Spritschmuggler sind heute keine dabei. Die Sozialversicherungsausweise sind in Ordnung. Und wie sieht es mit Mautprellern aus? Wolfgang Liehe vom Bundesamt für Güterverkehr: „Heute hatten wir erst zwei dabei.“ Es ist der letzte Tag der Kontrollwoche. Rund 250 LKW haben die Beamten inspiziert — zusätzlich noch 29 „Sprinter“. Einsatzleiter Manfred Opgenorth: „Wir mussten zwei Fahrzeuge an Ort und Stelle stilllegen — einmal gab es erhebliche Mängel an den Bremsen, einmal haben wir erhebliche Ladungsmängel festgestellt.“ Weitere Ergebnisse: Im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsüberschreitungen gab es acht Ordnungswidrigkeitsanzeigen und vier Verwarngelder, in zwölf Fällen wurde gegen Sozialvorschriften verstoßen. In puncto Ladungssicherung gab es vier Ordnungswidrigkeiten und sieben Verwarngelder. Zwei Verstöße gegen Gefahrgutvorschriften wurden mit Ordnungswidrigkeitsanzeigen belegt. Zwei Fahrer waren ohne Fahrerlaubnis am Start. Der Fahrer der Betonteile kann nach einer „kleinen Unterbrechung“ von rund 90 Minuten weiterfahren. Die Teile sind umgeladen und neu verzurrt. Wie reagieren Fahrer auf die „Vorträge in Sachen Ladungssicherung?“ „Das ist ganz unterschiedlich“, fasst Uwe  Schrepel zusammen. „Manche sind einsichtig — aber die meisten haben hundert Ausreden parat.“ Zum Abschluss noch ein Kleinlaster. Auf der Ladefläche zwei Kisten — darin: Bodenplatten. Die Kisten stehen unverzurrt auf der Ladefläche. Dazu: reichlich Sand. Manfred Opgenorth: „Der Sand wirkt bei einer Bremsung wie ein Beschleuniger.“ Der Fahrer ist sich der Gefahr nicht bewusst. Und sowieso: „Er fährt ja nur ein kurzes Stück. Nicht der Rede wert.“ Der Rede vielleicht nicht, aber der Anzeige. Opgenorth macht Fotos mit der Digitalkamera. Alles muss ausreichend dokumentiert werden. Auch hier muss umgeladen werden. 20 Jahre auf der Straße und noch nie gestorben …