Schreibkraft
Heiner Frost

100 #2 SPATENTANTEN, HUTGESCHICHTEN

Logo: Wolfgang Stenmans Fotos: Rüdiger Dehnen

Natürlich – wenn es um ‚Beuys‘ geht, fragt man den Peter. Peter Busch. Gesucht wird: die besondere Geschichte. Eine, die noch keiner wirklich kennt, weil sie nicht erzählt wurde. „Kriegen wir hin“, sagt der Busch und zieht einen Spaten hervor.

Die Welt im Kopf

Eigentlich ein ganz normaler Spaten. Und dann auch wieder nicht. Buschs Spaten ist – wie soll man sagen – ein Reliquienspaten. Buschs Atelier ist ohnehin eine Geschichts- und Geschichtenfundgrube. Man tritt ein und für einen Augenblick hält die Welt im Kopf den Atem an: Kein Gegenstand, den man nicht aus den Regalen ziehen und nach dessen Bedeutung fragen könnte. „Die Menschen lieben Geschichten“, sagt Peter Busch. Aber wer fragt schon nach einem Spaten.

Am Nordwall

Sei‘s drum: „Der Beyus war ja öfters mal in Geldern und hier am Nordwall haben zwei Tanten von ihm gewohnt. Die beiden waren Hutmacherinnen und hatten ein Geschäft. Das war das Hutgeschäft Beuys. Ich bin da immer gern hingegangen. Da lagen tolle Hüte in der Auslage. Das war auch vor wenigen Jahren noch so, obwohl der Laden längst geschlossen war. Mittlerweile sind die beiden Damen verstorben. Die beiden jedenfalls hatten hier in der Nähe an der Niers einen Garten – man würde das wahrscheinlich Schrebergarten nennen. In der Nachbarschaft dieses Gartens feierte ein Freund von mir ein Fest. Da wurde es mir ein bisschen langweilig und ich bin spazieren gegangen. Mir fiel dann dieses irgendwie ungewöhnliche blaue Gartenhaus. Das war einfach `ne schicke Bude, die aber auch schon irgendwie im Verfall begriffen war. Draußen saß eine der beiden auf einem Stuhl und ich bin hin, sage ‚Guten Tag‘ und wir kommen ins Gespräch. Damals war ich sehr mit Beuys beschäftigt. Ich habe mich dann umgeschaut und da stand dieser Spaten. Den habe ich in die Hand genommen. Der war seit ewigen Zeiten nicht mehr benutzt. Plötzlich sagt die Frau Beuys ganz spontan: ‚Ja, ja – so war das: Wenn der Joseph hier war, hat der fast immer gegraben.‘ Ich habe mir den Spaten dann noch mal angeguckt und da sagt die alte Dame: ‚Den hätten Sie wohl gern? Wissen Sie was – den schenk‘ ich Ihnen.‘ Ich habe den Spaten dann ganz stolz als Trophäe nach Hause getragen. Ich gehe fest davon aus, der Beuys hat damit gegraben.“

Foto: Rüdiger Dehnen

Kunstgeschichtenerweiterung?

Das also ist die Sache mit dem Spaten und der Busch wäre nicht der Busch, wenn er nicht einen Zettel an das Ding geheftet hätte: Auf der einen Seite Beuys‘ Konterfei – auf der anderen eine kurze Beschreibung: „Spaten aus dem Gartenhaus der Familie Beuys in Geldern. Aussage der Tante von Joseph Beuys: Wenn der Joseph bei uns war, hat er irgendwie immer gegraben.“
Muss die Kunstgeschichte umgeschrieben, müssen die markterprobten Biografien um ein Fundstück erweitert werden? Wer will das entscheiden? Die Spatengeschichte ist eine, die perfekt zu Busch passt und irgendwie auch perfekt zum Mann mit dem Hut. Es bleibt ein Fragezeichen. Es bleibt ein Rest Irritation.

Irritationen

Irritation ist im Werk von Peter Busch ein zentrales Element: „Mit Provokation erreichst du in der Regel wenig. Sie wirkt kommunikationshemmend. Irritation wirft Fragen auf und lässt Spielraum für einen Austausch. Niemand wird angegriffen. Aber natürlich kann es vorkommen, dass etwas, das ich als Irritation auf den Weg schicke, woanders als Provokation empfunden wird. Da wird es dann schwierig.“

Kaiser-Wilhelm

Buschs Spatengeschichte – eine posthume Geschichte wie übrigens auch Buschs Interesse an Beuys und dessen Werk. „Das ist alles erst in Gang gekommen, als der Beuys schon tot war. Es begann mit einer Arbeit, die ich im Krefelder Kaiser-Wilhelm Museum gesehen habe: ein installiertes Regal. Ich war so unglaublich fasziniert von diesem Raum mit dem Regal, dass ich das restliche Museum vollkommen vergessen habe. Plötzlich gab es nur noch mich und meine Begeisterung für diese Arbeit. Ich war total berauscht von der Energie, die davon ausging. Ich habe fast zwei Stunden an dieser Stelle verbracht und bin anschließend irgendwie geläutert raus aus dem Museum. Ich war zu dieser Zeit – wie soll ich sagen – stark suchend. Ich hatte bis dahin immer gezeichnet: Landschaften, Menschen, Häuser und was weiß ich. Aber ich hatte da so meine Zweifel, ob das alles richtig ist.

 

Hindernis

Wenn du dich zum Zeichnen hinsetzt und weißt schon vorher, was rauskommt, wird das irgendwann zur Bremse im eigenen Denken – zum Hindernis. Alles wird mühsam. Ich war dabei, ein anderes Medium zu suchen und bin bei meinen Materialkisten ausgekommen. Aber auch dann waren da wieder diese Zweifel: Hat das nun was mit Kunst zu tun oder ist das nicht mehr als eine privatpersönliche Spielerei? An diesem Punkt fand meine Begegnung mit Beuys statt. Da sprang ein Funke über. Alles kam ins Rutschen.

Mach‘ selber

Mit einem Mal war mir klar: Was du da machst, das geht in Ordnung. Ich glaube, das hat Beuys bei vielen Menschen bewegt. Er hat, denke ich, den Menschen auch Mut gemacht, sich auf das Eigene zu verlassen. Der Beuys‘sche Imperativ: Geh‘ nach Hause. Mach!‘ Wenn Leute in meinen Ausstellungen die Kisten bestaunt haben, habe ich denen gesagt: ‚Geh nach Hause und mach dir selber eine. Du kannst das.‘ Ich habe mich ab diesem Punkt sehr intensiv mit Arbeiten von Beuys beschäftigt. In der Annäherung an Mensch und Werk fand aber auch eine Art Entfernung statt – ein Eigenständigwerden.“
Busch blickt sich um in seinem Atelier, das eigentlich fast ein Museum ist. Man möchte die Welt anhalten und Geschichten erleben. Dieser Raum allein, denkt man, ist ein Plädoyer für die Kunst.

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