Schreibkraft
Heiner Frost

Zum Geburtstag viel Glück

Foto: HF

Zum Geburtstag viel Glück. Es war eine kleine Feier am 14. April 2016 in Kevelaer. Marco hatte ein paar Leute eingeladen – fünf, um genau zu sein. Mit dabei: Natalie. Er kannte sie vom Sehen. Sie kannte ihn nicht.

Logo: Wolfgang Stenmans

Marco und Natalie haben im Leben nicht nur die Sonnenseite erlebt. „Meine Eltern waren alkoholabhängig“, erzählt Marco. Die Mutter trank während der Schwangerschaft und machte ein ungeborenes Kind zum Opfer. Natalies Vergangenheit: Gewalt-Erfahrungen auf allen Ebenen. Bei den Eltern, bei ihrem Freund. Das Ergebnis: Bindungsstörung. Das Lernmuster: Erst passiert etwas Gutes, aber dann folgt fast immer etwas Schlechtes. Zum Beispiel ein zerstörtes Trommelfell – Folge eines Schlages. Wenn dem Guten immer das Schlechte folgt, entwickelt sich eine Idee: Vielleicht passiert nichts Schlechtes mehr, wenn du dich auf das Gute gar nicht erst einlässt.

Zum Geburtstag viel Glück.

Es muss ja nicht immer am selben Tag passieren. Marco: „Dieser Geburtstag damals war ein schöner Abend.“ Aber – bezogen auf Natalie – auch ein Abend ohne direkten Funkenflug. Natalie hatte sich gerade von ihrem Freund getrennt und war mit einem jungen Mann auf der Party, den sie rückblickend „Notgroschen“ nennt. Keine wirkliche Beziehung also. Marco und Natalie wurden erst Monate später ein Paar – da wohnten sie bereits zusammen. Natalie war nach der Trennung von ihrem Freund vorübergehend obdachlos. Marco nahm sie auf. Das Ziel: Eroberung. Natalies Sicherheitsmechanismus: Lass nichts Gutes zu und erspare dir damit auch das Schlechte.
Einer wie Marco hat Geduld. Natalie brauchte Zeit. Irgendwann gab es einen ersten Kuss in der Kneipe. Irgendwann blieb es nicht bei einem Kuss. Irgendwann stellte Natalie dann die Frage: „Sind wir jetzt zusammen oder nicht?“ Natalie erzählt. Marco hört zu.

Die beiden waren also zusammen. Es war der 21. August: Beziehungsstarttag. Natalie merkte: Das Gute kann einfach so passieren. Das Gute kommt frei Haus: Liebe ohne schädliche Nebenwirkungen – Liebe als stärkende Kraft. Die beiden fanden eine Wohnung: 85 Quadratmeter Eigenreich.

Natalie, Marco und zwei Kaninchen: Hippi und Lotte. Marco spielt Gitarre, Natalies Hobby: Häkeln, Stricken, Nähen. Im August 2021: Hochzeit. Standesamtlich und katholisch. Anschließend: 25 Gäste. Die beiden setzen auf Gleichberechtigung. „Bei uns hat niemand die Hosen an“, sagt Natalie. Das Kochen besorgt Marco. „Der kocht geniale Sachen – einfach so aus dem Kopf“, schwärmt Natalie. Marco arbeitet bei Haus Freudenberg: Schreinerei. Natalie wird demnächst bei Edeka arbeiten: Obst und Gemüse. Ein ‚richtiger‘ Job auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es wurde Zeit für das Glück. Kinder? „Nein.“ Natalie erzählt: „Ich habe vier Kinder.“ Die leben in Pflegefamilien. Sind adoptiert. „Ich sehe die regelmäßig.“ Sie habe, sagt Natalie, eine Bindungsstörung. „Das kann ich nicht erklären – Sie müssen einfach mal nachsehen, was das bedeutet.“ Die Kurzfassung: Häufig ist Vernachlässigung durch die Eltern ein möglicher Grund für Bindungsstörungen.
Natalie und Marco haben nach viel Schatten im Leben einen Platz auf der Sonnenseite gefunden – sind sich gegenseitig Halt und Anker. Irgendwie verströmen die beiden Optimismus. Alles fühlt sich gut an.
Den ersten Hochzeitstag werden sie auf einem Festival verbringen. Die Beziehung? „Für immer.“