Herr P. zeigt Reue. Nie würde er einen Beamten treten oder bespucken. Er gibt es zu: Geklaut hat er: einen Rucksack, eine Flasche Wodka, Käse. Dass er beim Discounter Hausverbot hatte, war ihm klar. Die Dinge sind, denkt man, aus dem Ruder gelaufen.
Der Reihe nach: Herr P. ist Jahrgang 1986. Einen Beruf gelernt hat er nicht. Er arbeitet in der Fleischverpackung. Niederländische Firma, Wohnsitz in Deutschland. Einen Monat vor der Tat haben sie P. gekündigt – coronabedingt. P. gibt die Sache mit dem Diebstahl zu. Wodka, Racelett-Käse: Achtunddreißigfünfundneunzig. Dass er den Laden aufgrund eines Hausverbots nicht hätte betreten dürfen, wird vor Gericht zu einem Hausfriedensbruch. Dass er, P., als die Polizei kam und ihm Handschellen anlegte, in Richtung der Beamten gespuckt hat (das gilt als Beleidigung), kann erklärt werden: Erkältung, vermehrter Speichelfluss. (Später wundert sich der Staatsanwalt. Dann hätte P. doch auch im Laden schon spucken müssen.) Man hält den Atem an. P. sei bei der Festnahme „deutlich aggressiv“ gewesen, sagen die Beamten. P. hat das F-Wort benutzt.
Dass P. auch nach den Beamten getreten hat … dass er später im Gewahrsam einen Kopfstoß gegen die Beamten versucht hat – er kann es nicht wirklich erklären. Er sei, sagt Herr P., keine vulgäre Person. Die Tritte: ein Versehen. Folge des Rangelns. Von einem der Beamten bekommt P. infolge des versuchten Kopfstoßes eine Ohrfeige. Immerhin: Der Beamte hat seinerseits eine interessante Erklärung: Er sei, sagt er zurückgewichen und habe gleichzeitig zur Ohrfeige angesetzt. Zum Richter: „Stellen Sie sich das so vor: Der Körper im Rückwärtsgang, die Hand im Vorwärtsgang.“ Der Vorsitzende fragt sich akribisch durchs Geschehen – lässt sich das eine oder andere detailliert erklären. Hat P. sich „nur“ gewehrt oder hat er die Beamten angegriffen? Da gibt es Unterschiede.
Herr P., auch das muss erwähnt werden, ist – wie soll man sagen – einschlägig bekannt. 2018: Ein Jahr, fünf Monate wegen Diebstahls. Strafe abgesessen. 2019: Versuchter Diebstahl und Widerstand – ein Jahr. 2020: Diebstahl – sieben Monate. Er sitzt derzeit in Untersuchungshaft, aber da sind noch die sieben Monate offen. In der Haft hat P. – ein weiterer Anklagepunkt – eine Justizvollzugsobersekretärin beleidigt. „Cipa“ hat er sie genannt. Man mag es nicht übersetzen. Wen‘s interessiert, der schlage nach. Vulgär ist das schon. P. und die junge Frau haben, sagt P., mittlerweile ihren Frieden gemacht. P. hatte sich geärgert, dass die Justizvollzugsobersekretärin ihm die Blättchen zum Zigarettendrehen auf den Boden seiner Zelle geworfen hatte. („Was die mir angetan hat …“)
Bei einem der Zeugen entschuldigt sich P. „Ich hatte nicht die Absicht, Sie anzuspucken.“
Der Staatsanwalt fordert am Ende ein Jahr und sechs Monate. P. hat Hausfriedensbruch und Diebstahl begangen, er hat Beamte beleidigt (bespuckt) und sowohl die Tritte als auch der Kopfstoß waren – wenn auch ohne Erfolg – mit Absicht und gezielt ausgeführt. Die Verteidigerin bittet um ein mildes Urteil. Im Namen des Volkes: Ein Jahr, drei Monate. Man sollte P. für ein Antiaggressionstraining anmelden.Heiner Frost