Vielleicht mal wieder ins Museum? Warum eigentlich nicht? Zum Beispiel ins Museum Kurhaus Kleve. Da ist von heute an bis zum 24. Mai eine neue Ausstellung zu sehen: „a plotless horror movie“. Ein Horrorfilm ohne Handlung also …
Beginnen wir mit dem „Beipackzettel“. Wer ins Kurhaus geht, muss keine Angst vor Blutigem haben – auch Menschen mit Kettensägenallergie müssen sich keine Sorgen machen.
Der Film im Kopf
Die von den Gastkuratorinnen Marie Sophie Beckmann und Julie Robiolle konzipierte Ausstellung dreht sich eher um die Filme im eigenen Kopf. Was man sieht, wird im Idealfall zur Startrampe. Im Haus: gerade einmal zwei Werke: Vorhänge beide. Gemacht wurden sie von Sarah Margnetti. Irgendwie denkt man bei „Vorhang“ ja auch ein bisschen ans Theater – an die Oper – an die große Bühne.
Versuch über die Erwartung
Vorhänge trennen die Erwartung von dem, was kommt, wenn sie – die Vorhänge – sich öffnen … geöffnet werden. (Ein Vorhang öffnet sich nicht von allein.) Vorhänge also sind eine Art Paradox, denn ihre Aufgabe ist das Verschwinden. Vorhänge in Zimmern trennen das Drinnen vom Draußen. Sie sind eine Art Séparée fürs Oberstübchen – können auch ein Sichtschutz sein. Niemand schaut rein. Oder niemand schaut raus. Vorhänge stellen unterschiedliche Welten zur Verfügung – können das Draußen ausklammern oder es einbeziehen. Sie können einen Raum zur Isolierstation machen.
Statisten
Die Vorhänge in der Kurhausausstellung sind Statisten: nicht zu schließen, weil sie geschlossen sind und nicht zu öffnen, weil sie nichts freigeben können. Oder vielleicht doch? Sie verdecken kein Fenster, öffnen keine Bühne – sie sehen aus, als würden sie sich öffnen …
Die Angst vor dem Nichts
Den Kuratorinnen geht es nicht um den Horror – sie übersetzen Horror mit Unbehagen. Sie stellen zwei Räume zur Verfügung, die zur Frage werden. Da sind die Vorhänge – in jedem Raum einer – aber da ist sonst nichts. Wenn es ein Unbehagen gibt, ist es der Horror Vacui – die Angst vor der Leere. Beckmann und Robiolle untersuchen – so steht es im Beipackzettel „Affekte als das, was haften bleibt oder was die Verbindung zwischen Ideen, Werten und Objekten aufrechterhält oder bewahrt“. Ja, so kann man es auch sagen.
Man muss sich freimachen von den Erlösungsphantasien des Museums im herkömmlichen Sinn. Herkommen allerdings muss man trotzdem und dann irgendwie zum Teil eines Gedankenexperimentes werden. Natürlich – da ist das Reale, aber wie gesagt: Alles nur Startrampe ins eigene Innere.
Drinnen – draußen
„a plotless horror movie“ findet allerdings nicht nur im Museum statt – wer mehr erleben will, muss die Schranke zwischen dem Drinnen und dem Draußen passieren und sich einlassen auf einen irgendwie unsichtbaren Teil im Park gegenüber. Alles beginnt mit dem Scannen eines QR-Codes – der gibt den Eintritt zu sechs Hörbildern frei. Die Künstler vom „Istanbul Queer Art Collective“, die für die Hörszenen verantwortlich zeichnen, sind nie in Kleve gewesen, aber sie haben sich mit dem Park beschäftigt. Nachdem der Vorhang sich also geöffnet hat, wird die Raum-Zeit-Einheit außer Kraft gesetzt, denn letztlich muss niemand, der sich die „Scores“ (Partituren) anhören möchte, dabei im Park sein. Eine der Handlungsanweisungen: „Schließe deine Augen und stell dir vor, du seist nachts allein im Park.“ (Also doch Horror?) Nein. Trotzdem geht es um Vorstellbares – um die Vorstellung. Und schon schiebt sich wieder der Vorhang ins Hirn.
Erleben – nicht Erlesen
Wer „a plotless horror movie“ anschaut, muss die Zeit fürs eigene Denken mitbringen. Natürlich gibt es auch Text, aber manchmal schließen Texte den Vorhang – vielleicht auch dieser. Kunst ist Erleben und nicht Erlesen.
Am Ende bleibt Rilke: „Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.“