Schreibkraft
Heiner Frost

400 Monate

Vielleicht mal einen Ratgeber verfassen für alle, die mit dem Gedanken an eine kleine Kurierfahrt nach Amsterdam spielen – nach dem Motto: schnelles Geld bei kleinem Risiko …

Frommer Wunsch

Regel #1: Am besten gar nicht erst versuchen. Das aber bleibt meist eher ein frommer Wunsch. „Was tut man schon?“, werden sie denken und: „Ist doch alles halb so wild.“ Geschädigt wird ja niemand. Genau besehen stimmt das nicht wirklich, denn das Rauschgift – was immer es auch sei – müsste verzollt werden. Andererseits: Wer geht zum Zoll und meldet 1 Kilogramm Marihuana an oder 20.000 Stück Ectsasy-Tabletten. Das macht je niemand, der noch bei Trost ist. Es tut sich also ein Problem auf: Meldet man die Drogen an, wird man gleich hopp genommen, tut man‘s nicht, bleibt nur, auf das Glück zu bauen. Weit gefehlt. Aber das ist ein anderes Thema.
Das Problem an den Einfuhr-Geschichten: Man will‘s ja nicht gewesen sein. Man hat das Auto irgendwo in Holland abgestellt und anschließend… manche haben etwas gewusst – andere enden in purer Verwunderung.

Fahrer gesucht

Regel #2: Der große Unbekannte hilft in der Regel nicht wirklich weiter. Kürzlich noch hatte einer die super Geschichte: Er hat auf ein Inserat geantwortet: Fahrer gesucht. Gibt es etwas Unverfänglicheres? Kaum. Wenn es allerdings um Fahrten nach Amsterdam geht und der Kurierlohn bei 2. 000 Euro liegt, dürfte man sich gern Sorgen machen. Die Niederlande: Tulpen, Käse, Rauschgift. Die ersten beiden Handelsgüter sind ja eher unverfänglich. Sie könnten zumindest problemlos verzollt werden. Vorsicht also, wenn der Auftraggeber niemals in Erscheinung tritt.

Weit weg ist nicht gut

Regel # 3: Die Kennzeichen. Häufig wird bei Vernehmungen einschlägig tätiger Beamte (Polizei, Zoll, Bundespolizei) von Routineaufgriffen gesprochen. Allerdings werden gern Fahrzeuge „beobachtet“, die – sagen wir – nicht aus der näheren Umgebung stammen. Ein Münchener Kennzeichen in Verbindung mit einem allein unterwegs seienden Fahrer … verdächtig.
Aber auch Pärchen können verdächtig sein. Wie dieses hier: Sie passieren mit Augsburger Kennzeichen den Eltener Grenzübergang, werden im Rahmen eines Routine-Einsatzes angehalten und – na bitte:
„Strafverhandlung gegen einen 39-Jährigen aus Augsburg und eine 37-Jährige aus Ingolstadt wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft schmuggelten die Angeklagten, aus den Niederlanden kommend, mit einem von der Angeklagten gesteuerten Pkw rund 1,6 Kilogramm Marihuana, acht Päckchen Cannabis-Kuchen, eine Dose Cannabis-Lutscher sowie zwei Fläschchen Cannabis-Öl über den Grenzübergang Emmerich-Elten/BAB 3 in die Bundesrepublik. Zudem sollen sie, im Fahrzeug verteilt, insgesamt sieben Cuttermesser mit sich geführt haben.“

Später entlassen

Der männliche Teil des Duos: nach wie vor in Haft. Seine Freundin (jetzt nicht mehr) wird später entlassen. Sie habe, sagt Herr Z. beim Haftrichter, von der ganzen Sache nichts gewusst. Man scheint Herrn Z. geglaubt zu haben, denn Frau X. kommt aus der Untersuchungshaft frei. Jetzt sitzen sie trotzdem beide auf der Anklagebank – geben Auskünfte zur Person, möchten zur Sache aber lieber die Verteidiger zu Wort kommen lassen.

In Holland können Sie alles pinnen

Der Vorsitzende – man kann‘s ja mal versuchen – fragt Herrn Z. trotzdem auch zur Sache und bekommt Antwort. Z. hatte Bargeld dabei, ist vor einem Coffee-Shop angesprochen worden, nachdem er drin bereits Lutscher und Kuchen eingekauft hatte und kauft spontan noch 1.600 Gramm Marihuana. Der Verkäufer spricht davon, dass es bei ihm günstiger zu haben sei als im Laden. Wichtig: Herr Z. hat natürlich nur für den Eigenbedarf eingekauft. Fragt er in Augsburg nach Drogen, sehen ihn die Leute komisch an. Das muss ja nicht sein. Der Vorsitzende rechnet Z. vor, dass die gekaufte Menge gut und gerne für 400 Monate reichen würde. Darüber hatte sich Z. keine Gedanken gemacht. Dass er zudem reichlich Bargeld (mehr als 3.000 Euro) mit sich führte, bezeichnet er als normal. Der Vorsitzende sagt: „In Holland können Sie alles pinnen.“

Nicht wirklich glaubhaft

Gut – das muss man einem in Bayern lebenden vielleicht übersetzen: „In Holland können Sie alles mit Karte zahlen“, setzt der Vorsitzende nach, „außer Drogen“.  Was lernen wir? Vielleicht hätte Z. sich am Niederrhein einmieten und dann, sagen wir, 800 Mal in Holland zwei Gramm kaufen sollen mit einem Auto mit Klever Kennzeichen. Des Pudels Kern ist erreicht. Der Vorsitzende lässt durchblicken, dass die Kammer Z.s Geschichte für eher nicht wirklich glaubhaft hält.

Keine Waffen

Regel #4: Auf gar keinen Fall Dinge im Auto haben, die als Waffe tauglich sein könnten. Das kommt nicht gut. Lieber einen Geldschein mehr – damit kann man, wenigstens im direkten Körperkontakt – niemanden verletzen. Handeltreiben ist ja schon schlimm genug, Bewaffnetes Handeltreiben ist keine wirklich dienliche Straftatbestands-Erweiterung.
Kommen wir zu Frau X., die auf Fragen des Gerichts ausladend, raumgreifend und bereitwillig antwortet. Man fragt sie nach einer Uhrzeit – sie erzählt einen ganzen Monat. Es hat, wird erwähnt, mit ihrer Diagnose zu tun: ADHS. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Frau X. ist ausnehemend auskunftsfreudig, stellt in höflich manchmal anbiederndem Ton Informationen zur Verfügung. Die Auskünfte zur Person nehmen leicht gesponnene 40 Minuten ein. Später, als es „zur Sache“ geht, zieht der Verteidiger eine Sprachbremse ein. Er wird sich äußern, „und dabei soll es dann auch bleiben“. Gegenläufige Versuche des Vorsitzenden blockt der Verteidiger höflich aber bestimmt ab.

#5 = #1

Am Ende wird es darum gehen, ob von Zweien, die zusammen mit einem Auto voller Drogen einreisen, einer (Herr Z.) verurteilt wird, während die andere (Frau X.) quasi ungestraft den Heimweg wird antreten können. Einer der Beamten, die bei der Festnahme dabei waren, beschreibt Frau X. als eine unablässig Redende, aber auch als eine, die angesichts der sichergestellten Drogen glaubhaft überrascht und Z. gegenüber glaubhaft sauer war.
Am Ende durfte Frau X. zurück nach Ingolstadt fahren. Herr Z. wird bleiben müssen. Derzeitige Adresse: Krohnestraße, Kleve. Zwei Jahre und sechs Monate Zeit für heilende Gedanken. Als Zugabe zum Ratgeber – Regel #5: Siehe Regel #1. Am besten gar nicht erst versuchen. Dann klappt‘s auch mit der Freiheit.