Schreibkraft
Heiner Frost

Zu Gast im eigenen Leben

Schauspieler sind Gäste im Leben anderer. Sie denkenfühlenhandeln in fremdem Territorium und machen es sich – Stück für Stück, Wort für Wort, Geste für Geste – zum eigenen. Das ist die Regel. Und dann ist da Yvonne. Yvonne Campbell Körner. Sie ist zu Gast im eigenen Leben – bringt ein Leben auf die Bühne, das ihres war und ist.

Theater als Konsequenz

Die Wechselwirkung von Theater und Wirklichkeit – das eine aufgeladen mit dem anderen: das Theater als Lebenskonsequenz. Theater ist so einfach: Zwei Linien schaffen Hoheitsgebiete. Es gibt ein Davor, ein Dahinter, ein Dazwischen, ein Leben. Die Existenz im eigenen Leben finden: Yvonnes Aufgabe. Man sitzt und staunt und heult. Man erlebt ein Ausgegrenztsein. Yvonne ist die Tochter eines jamaikanischen Vaters und einer deutschen Mutter. Ein „Mischlingskind“ – fremd irgendwie überall: aus der Sicht der anderen. Von England kommt sie in den 50-er Jahren nach Deutschland und erlebt ein Außersichsein. Im Kinderwagen wird sie von der Mutter durch eine Ruhrgebietsstadt gefahren. Menschen tuscheln: „Dass die sich nicht schämen.“

Summertime

Sprachlosigkeit macht sich breit. Im eigenen Kopf. Wie muss es sein, das eigene Leben zu inszenieren und dabei zurückzuschauen in eine Zeit des inneren Zerrissenseins und -werdens? Das Stück: „Summertime oder Kreuzpunkte einer (fast) deutschen Geschichte“.

Überlebenshymne

Eine geführte Tour mit Punkten, an denen Sprechen nicht mehr möglich ist: Yvonne wechselt ins Singen. Die Überlebenshymne. Schwach, angreifbar, leise bebend. Singen ist der Punkt, an dem die Seele ungeschützt daliegt. Der letzte Schutz: das Theater.
Eine Biografie wird zum Stück – die Dramaturgie schafft den Sicherheitsabstand, den das Überleben braucht und manchmal nicht bieten konnte.

Vater, Mutter, Kind

Yvonne Campbell Körner ist die Autorin, die Regisseurin, die Hauptdarstellerin. Außer ihr sind nur Fotos auf der Bühne und eine Stimme aus dem Off. Fotos des Vaters, der Mutter – und von Yvonne als Kind.

Davor, dahinter, dazwischen

Und dann sind da noch die beiden Stöcke, die das Lebensarreal zerteilen: davor, dahinter, dazwischen. Das Dazwischen ist der Hauptlebenszustand. „Überall dabei sein, nirgends dazu gehören.“ Ein Satz von Hanns Joachim Friedrichs, der sich eigentlich auf das Journalist-Sein bezieht. Jetzt und hier gerinnt er zu einer anderen Wirklichkeit. Auf der Bühne spielt eine ihr Leben. Auf der Bühne spielt eine ums Überleben. Auf der Bühne wird Leben zur Geschichte. Auf der Bühne wird Leben zum Objekt der Betrachtung. Auf der Bühne wird das Objekt lebendig. Nicht nur das Publikum wird zum Betrachter.

Identitätsmosaik

Auch die Hauptdarstellerin betrachtet, setzt das Skalpell an – legt Schichten frei. Das Identitätsmosaik. Wie mutig das ist, denkt man. Wie großartig. Eine Lebensbeichte ohne Beichtgeheimnis. Eine Reise vorbei an den Abgründen des Menschseins – vorbei an den Erträglichkeiten und den Unerträglichkeiten.

Schwelbrand

Fünf Minuten lang beobachtet man einen Schwelbrand. Danach glaubt man, etwas verstanden zu haben – es ist das Verstehen von der Notwendigkeit des Wilkommens. Man versteht, dass Akzeptanz die Hypothek des Zusammenlebens ist. Unvoreingenommenheit. Offenheit.

Gelungen

Zum Stück schreibt Yvonne Campbell Körner: „Trotz aller Hindernisse betrachte ich mein Leben als gelungen, wobei mir Shakespeares Zeilen ‚Gebt Worte eurem Weh, Schmerz, der nicht spricht, gräbt tief ins eigene Herz sich, bis dass es bricht‘ den Weg gewiesen haben.“ Im Kopf bleiben die Linien – zwei sind es. Davor, dahinter, dazwischen. Es gilt, einen Kreis zu ziehen: Plötzlich gehören alle dazu.
Wer „Summertime“ sehen möchte, sollte nicht warten. Premiere ist am Sonntag, 29 September, um 17 Uhr im Theater im Fluss in Kleve. Karten kosten 14 Euro (ermäßigt 8 Euro). Am Samstag, 28. September, um 16 Uhr findet eine öffentliche Generalprobe statt. Der Eintritt ist frei.

Reportage über Yvonne Campbell Körner