Wieder sitzt man da: ungebetener Gast im Elend der anderen. Zeuge aus dritter Hand. Unheilsweitergeber mit Presseausweis. Gerichtssaalsinventar. Längst ist man bekannt mit dem Maschinenraum der Justiz – kennt die Kapitäne, die Heizer, die Leichtmatrosen, die Steuermänner und: die blinden Passagiere …
Dies und das
Auf der Anklagebank: zwei Einbrecher – A. und B..Sie geben alles zu. Neun Taten. Die Beute: nicht unerheblich. Autos, Schweißapparate, EBikes – dies und das. Würde man die in der Anklage genannten Summen aufaddieren – es ginge schnell in Richtung der halben Million. Randnotiz: Kennengelernt hat sich das Duo – na wo wohl? – im Knast. Anschließend – zurück in der Freiheit – ziehen sie zusammen. Jetzt sind sie zwei geständige Täter. Drogengetriebene.
Zwei Worte
Fast ist man geneigt zu gehen. Das hier, denkt man, wird niemanden wirklich interessieren. Dann fallen zwei Worte – es ist nicht einmal ein Satz. Auf die Frage des Vorsitzenden „Wie war ihre Kindheit?“ antwortet A.: „Nicht schön.“ Die knappe Bestandsaufnahme eines vorgefallenen Elends. Mehr will er nicht sagen.
Gewalt
Später, als eines der Vor-Urteile gegen A. verlesen wird, ist plötzlich die Rede davon, dass er – war es in seiner zweiten oder dritten Ehe? – den Namen der Frau angenommen hat. Flucht in eine neue Lebensidentität? Dann erfährt man: A. war in der ehemaligen DDR Sohn eines hohen Polizeibeamten. Der pflegte seine Kinder mit brutaler Gewalt zu erziehen. Die ältere Schwester des Angeklagten: Erwerbsunfähigkeitsrentnerin. Ein Erziehungsopfer.
Verschwörung zwischendurch
A.: zwischendurch Verschwörungstheoretiker. Er hat, sagt er, in der Haft dazugelernt. Die Verschwörungstheorien spielen keine Rolle mehr. („Ich denke jetzt anders.” ) Dabei war man doch genau deswegen gekommen: Besichtigung eines Irrwegs. Man hatte aus dem Maschinenraum ein Zwitschern vernommen: „Könnte sich lohnen.“
Zeugenschutz
Und jetzt: Zwei Geständige. Zwei, die Einsicht zeigen oder vorgeben. Wer soll das wissen? Vielleicht sollte man am zweiten Verhandlungstag nochmals anreisen: Das Gutachten hören – in A.s Kindheit reisen: die Kindheit eines Misshandelten. Er scheint unter einem schweren Trauma zu leiden – versuchte mit Drogen Abhilfe zu schaffen: Ausreise aus dem verminten Terrain des Vergangenen. So geriet er von einer Gefahrenzone in die nächste. Zwischendurch: eine Kronzeugenaffäre. Als A. durch Heirat seinem Namen entflieht, ist das schon nicht mehr der Geburtstname. Aussage in einem Prozess in Sachen OK [organisierte Kriminalität] – dann Zeuge der Ermordung eines russischen Deserteurs. All das hat A. dem Gutachter erzählt. Der Wahrheitsgehalt: nicht nachprüfbar.
Konkursmasse
Jetzt sitzt A. vor Gericht – nicht zum ersten Mal. Da sitzt einer, vor dem – denkt man – niemand Angst haben muss. Da sitzt einer, der für sich selber die größte Gefahr darstellt. A. ist die Konkursmasse im eigenen Leben. Zwei Suizidversuche im Knast. Ausreiseversuche? Signale? Beides vielleicht. Wer will das sagen? Der da bereitwillig Auskunft über seine Taten erteilt, schweigt sich über sein Leben aus. Was aus der Vergangenheit monströs ins Jetzt ragt, kann nicht Entschuldigung sein, aber Erklärung: Es ist – vielleicht – die Beschreibung eines Ausnahmezustandes. Da flieht einer vor dem Vergangenen und übersieht, dass er sich immer im Gepäck hat.
In A.s Wohnung wurde bei einer Durchsuchung ein Schlagring gefunden. „Ich musste mich schützen.” A. hatte einmal ein intaktes Leben. KFZ-Mechaniker mit Meisterbrief und eigenem Betrieb. Dann muss etwas schief gelaufen sein. (Die Rückkehr der Vergangenheit?) A. möchte es noch einmal mit einer Drogentherapie versuchen. Die Gefahr, dass er zu dem wird, was „Drehtürentäter” genannt wird, ist groß. A. ist nie gewalttätig geworden und wird es – wahrscheinlich – auch nicht werden. Er ist ein Ritter von der traurigen Gestalt …
Anklage
Strafverhandlung gegen zwei Deutsche (36 und 47 Jahre alt) wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 8 Fällen, in 6 davon im besonders schweren Fall sowie hinsichtlich des 36-Jährigen wegen besonders schweren Diebstahls in einem weiteren Fall und hinsichtlich des 47-Jährigen wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Laut Staatsanwaltschaft sollen die Taten zwischen September 2023 und November 2023 in Kalkar und anderenorts begangen worden sein. Die Angeklagten sollen dabei gemeinschaftlich hochwertige Werkzeuge, Materialien aber auch Fahrzeuge und E-Bikes aus Tiefgaragen und von Betriebsgeländen gestohlen haben. Zum Hauptverhandlungstermin sind 24 Zeugen geladen.
A. wird „einfahren”. Fünf Jahr und mehr. Bedenkzeit? Vielleicht. Aber was soll denn nachher sein? Am Ende der Strafe ist A. einer von den Heimatlosen. Muss man Mitleid haben? Nein. Mitgefühl – vielleicht. Bleibt A. ein Gefangener der Drogen, wird sich nichts ändern. A. – eine Romanvorlage. Eine gute Geschichte, für die nächste Party. Man setzt sich ins Café und beginnt zu schreiben …