Herr F. ist ein Angeklagter der Sonderklasse. Gesprächsbereit, aufgeräumt, auskunftsfreudig, geständig und – hauptsächlich – unschuldig.
Falsch geklickt ist schnell
F. kann alles erklären. Eigentlich – so hat es den Anschein – ist er das Opfer. Was er großmütig zugibt … Na ja, da sind Knaben, die ihn über ihr Alter im Dunkeln ließen … nein, nicht im Dunkeln haben sie F. gelassen: falsche Angaben haben sie gemacht. (Chatprotokolle lassen andere Schlüsse zu.) Auch eine Art des Gestehens: von der eigenen Unschuld erzählen. Es waren ja die anderen. Und dann ist auch noch F.s Computer gehackt worden. Wie anders ist es, bitte schön, zu erklären, dass verbotenes pornografisches Material auf F.s Festplatte gelandet ist? Und ja – F. hat seinerseits falsche Angaben bezüglich seines Alters gemacht, als er sich auf einer dieser pseuydoszialen Plattformen [welche war es noch gleich???] angemeldet hat. „Sie wissen doch, wie schnell so etwas geht: Man soll sein Alter angeben, scrollt durch die Zahlen und plötzlich ist man statt 30 nur noch 22 Jahre alt. Man klickt einmal auf okay und schon ist es passiert.” Du liebe Güte …
Vorgebastelt
Herr F. ist eloquent und man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass er bei jeder [jeder!] seiner Antworten in eine vorgebastelte Welt abtaucht, die zu nichts anderem als zu seiner Entschuldigung erschaffen wurde. Er, F.: der Weltenschöpfer. Ein Großmeister des Erfindens. Hat F. die Antwort auf eine der ihm gestellten Fragen beendet und bekommt eine Anschlussfrage gestellt, taucht er mit einem „Wiebitte?” wie ein U-Boot aus den Untiefen seines Seins auf – und schaltet vom Erfindungsmodus in den „Bittenochmaldiefragewiederholemodus” um. Der Passierschein für den Weltenwechsel.
Nichts als Meinung
Das alles ist nichts als die Meinung des Berichterstatters. Mit den Jahren ist die Seele ergraut. Man mag das alles nicht mehr hören müssen und ist Gottseidank nicht Richter. Man zieht sich zurück auf das Terrain des Beobachtens.
Ungeheuerliches
Herr F. weiß keine Antwort auf die Frage, warum zwei zum Tatzeitpunkt minderjährige junge Männer ihm Ungeheuerliches vorwerfen. Er, ein Nahezuunschuldiger, am Pranger der anderen. Noch eines: Sollte zwischen ihm, F., und einem der beiden „etwas stattgefunden haben”, dann na-tür-lich! in beiderseitigem Einverständnis. F. wird ja nicht den Geschlechtsakt filmen, ohne dass sein Gegenüber vorher eingewilligt hat. Also bitte.
Manipulation
Manipulationen am Geschlechtsteil in einer öffentlichen Toilette? Wie kommt einer dazu, ihm das vorzuwerfen. Man hat nebeneinander am Pissoir gestanden. Er, F., ist dann gegangen. Mehr war nicht. Dass einer sich sowas ausdenkt? Er, F., im Zentrum der Böswilligkeiten anderer?
Unschuldsvermutung
Natürlich: Hier ist nichts entschieden und natürlich ist F. bis zur Verkündung des Urteils unschuldig – und vielleicht ja auch danach. Das Bauchgefühl macht andere Ansagen. Beim Kollegen auf der Pressebank ist es nicht anders. Muss nicht heißen, dass es auch ganz anders sein könnte. Aber: Worum geht es eigentlich?
Die Anklage
Strafverhandlung gegen 34-jährigen Deutschen aus Goch wegen des Verstoßes gegen die Führungsaufsicht in zehn Fällen; der Verbreitung pornographischer Schriften in drei Fällen; des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in drei Fällen, hiervon in einem Fall in Tateinheit mit der Herstellung jugendpornographischer Schriften und des Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit dem Besitz jugendpornographischer Schriften.
Die Taten sollen sich dabei zwischen Juni 2020 und Mai 2024 […] zugetragen haben.
Der Angeklagte soll entgegen der strafbewehrten Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufgenommen haben. Darüber hinaus, so die Staatsanwaltschaft, habe er Nacktbilder von sich an Minderjährige versandt sowie zwei minderjährige Jungen in drei Fällen sexuell missbraucht, wobei er eine dieser Taten filmte.
Zudem seien im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung kinder- und jugendpornographische Bild- und Videodateien sichergestellt worden.
Ein Genie
F. – so viel steht fest – ist ein Rechtfertigungsgenie und wieder mal einer von denen, die man mit dergleichen nicht in Verbindung brächte. Ein netter Nachbar. Einer, der das Kostüm eines jungen Karnevalstänzers sponsert und sich dann … siehe oben.
Ein Antrag
Die Nebenklagevertreterin stellt vor der Aussage des zweiten Zeugen, der das erste Opfer war, den Antrag, F. aus dem Saal zu entfernen. Sie liest das Attest des behandelnden Hausarztes vor. Der junge Mann: asthmakrank. Die Anwesenheit des Angeklagten ist dem Opfer nicht zuzumuten. Es ist im Extremfall mit einem Anfall zu rechnen.
Zuvor hat die Mutter des ersten Opfers ausgesagt. Ihr Sohn: ein ganz normaler Junge. Aufgeklärt in der Schule. Sie hat immer darauf geachtet, dass ihr Sohn und F., wenn sie etwas unternehmen wollten, nicht allein waren. Als dann das Schreiben von der Polizei kam, hat ihr Sohn Weinkrämpfe bekommen.
Eine Entgegnung
F.s Verteidiger widerspricht dem Antrag der Nebenklage. Das Attest: wenig aussagekräftig. Es hätte doch, wenn überhaupt, von einem Psychologen oder Psychiater ausgestellt werden müssen. Ausschluss der Öffentlichkeit? Ja. Ausschluss seines Mandanten? Nein. Und wenn doch, dann mit Video- und Audioübertragung in einen anderen Raum. Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen.
Vorrang
Natürlich lässt sich nachvollziehen, dass bei der Befragung der Opfer die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Die juristische Folge dieses Ausschlusses ist: Auch bei den Plädoyers ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, da sich hier natürlich Bezüge zu den Befragungen ergeben. Berichterstattung wird also zum Ausflug durch den Nebel. Kein Problem: Das Wohlergehen der Opfer hat Vorrang vor dem öffentlichen Interesse. Check.
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Vor dem Ende der Beweisaufnahme werden allerdings noch Auszüge aus Chats verlesen – wieder ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen – nein, seien wir präzise: Die Öffentlichkeit darf im Saal bleiben, hat allerdings wenig Chance, der im Eiltempo stattfindenen Exekution von Sprache auch nur ansatzweise zu folgen. Ja – die Strafprozessordnung gebietet, dass Dinge nur dann Verwendung finden dürfen, wenn sie in die Hauptverhandlung eingeführt – sprich: in diesem Fall vorgelesen werden. Das „Personal“ – sprich: Richter, Anwälte, Staatsanwälte können, was gelesen wird, mitlesen. Ein Scheinwiderspruch taucht auf: Jeder, der weiß, worum es geht, weiß, worum es geht. Die zugelassene Öffentlichkeit wird durch Vorträge dieser Art faktisch von der Nachvollziehbarkeit ausgeschlossen. Man sollte es Richtern zur Aufgabe machen, wenigstens einmal einen Prozess (ohne Vorkenntnis der Faktenlage) vom Zuschauerraum aus zu verfolgen. Das klänge dann vermnutlich so: „Das biss…, da ma verste, lässt den Schlu zu, dass ein der beid Opf …” Okay: Wir wollen die Leser nicht auch noch ausschließen. Es geht jetzt um Liebe. Wer hat wen mehr geliebt? Wer kann ohne wen nicht leben? Es geht um Stellungen, Vollzugsarten des Verkehrs – und am Ende um sexuelle Selbstbestimmung, die das Gericht in seinem Urteil bei einem der beiden Opfer als gegeben ansieht. Freispruch in diesem (einen) Punkt. Nicht bei dem Tänzer, dem F. märchenhafte Geschichten schreibt; dem er aber – nach Überzeugung der Kammer – bei einem Restaurantbesuch auf die Toilette folgt und ihn missbraucht. Gab es da nicht das zur Führungsaufsicht gehörende Annäherungsverbot? Das Gericht sieht beim ersten Opfer die sexuelle Selbstbestimmung nicht als gegeben an. Und dann sind da zehn Verstöße gegen die Führungsaufsicht, die auf F.s Rechner gefundenen Dateien … Das Urteil: Zwei Jahre und sechs Monate. F. wird über seine Zukunft nachdenken müssen und vor allem darüber, ob er sich nach seiner Entlassung aus der Haft Sexualpartner jenseits der Volljährigkeitsgrenze aussucht.