Die Anklage: Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Der Angeklagte: ein alter Bekannter. Für ihn und den Richter ist es der dritte Prozess.
„Wir beginnen mit den Personalien. Wie heißen Sie?“, fragt der Vorsitzende und der Angeklagte sagt: „Sie kennen mich doch. Ich heiße Wilfried Porwol.“
Wenn’s der Wahrheitsfindung dient …
Irgendwie streunt ein Satz durchs Kleinhirn: „Wenn‘s der Wahrheitsfindung dient.“ Fritz Teufel hat ihn gesagt, aber das gehört an eine andere Stelle …
Obwohl: Auch hier und heute geht es um eine Art geistigen Widerstand. Es ist der Widerstand eines Aufrechten. Wieder einmal geht es um „dieses unsäglich kriegsverherrlichende Ding“ – so sieht es Porwol und meint ein Denkmal in Kalkar, gegen das anzudenken und -handeln Porwols Mission ist. Das Gericht und Porwol: alte Bekannte durch die Instanzen.
Ein Monstrum
Da steht „dieses Monstrum, das eigentlich längst weg sein müsste“ – dieses ‚Nichtdenkmal‘ mit einem (mittlerweile stahlplattenverschraubten) Hitlerzitat an der Rückseite; dieses „Ding“, das die Stadt Kalkar im Jahr 1983 mit dem Zusatz „1939-1945“ erweiterte und damit – so sieht es Porwol – einen „Angriffs- und Vernichtungskrieg“ nachträglich verherrlichte. Porwol hat viel darüber nachgedacht, wie mit dem Monstrum umzugehen sei – wie man dessen Aura zerstören könne. Porwol beruft sich auf den wissenschaftlichen Referenten beim Amt für Denkmalpflege, der bei einer Veranstaltung zur Zukunfts des „Monuments“ treffend festgestellt habe, dass auch das Kalkarer Objekt zu den „NS-Denkmälern gehört, denen man die Aura nehmen muss und deren Aussagen konterkariert werden müssen“.
Eine Lösung
Im vergangenen Jahr hat Porwol der Stadt eine Lösung vorgeschlagen und sie – damit jeder sich ein Bild machen kann – auch gleich visualisiert. Ein ähnliches „Vergehen“ hat Porwol bereits vor die Schranken des Gerichts gebracht: Sachbeschädigung. Und damals hat ihn, sagt er, die Urteilsbegründung der Richterin hellhörig gemacht. Hätte er das Monstrum nicht mit Farbe besprüht sondern beispielsweise mit Kreide bemalt, wäre der Tatbestand der Sachbeschädigung nicht zum Tragen gekommen.
Aufgelöst
„Ich habe mir also ein lösliches Kreidespray besorgt.“ Merke: Spätestens beim ersten Regenguss hätte sich Poprwols Visualisierung zwar nicht in Luft, wohl aber in (Regen)Wasser aufgelöst. Um seinen Vorschlag zu visualisieren betrat Porwol einen Bereich, für dem man ihm seitens der Stadt Kalkar ein Hausverbot erteilt hatte. Die Folge: Anklage wegen Hausfriedensbruchs.
Unbefriedet
Eine nicht eben einfache Sache, denn der Vorsitzende ließ sich die Örtlichkeit nicht nur von Porwol sondern auch von einer Polizistin erklären und kam zu dem Schluss: Kein speziell eingefriedetes Gelände. Die Folge: kein Hausfriedensbruch. Und für die Sache mit dem Kreidespray – Porwol hatte die Sprühdose eigens mitgebracht – könne man davon ausgehen, dass keine dauerhafte Sachbeschädigung vorliege. Dem Vorschlag, das Verfahren einzustellen, stimmten Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu.
Streichholzköpfe

Wilfried Porwol
Die Uneinigkeit über den Umgang mit einem „Monstrum“ hat – genau besehen – am Ende nur am Rande mit Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch zu tun. Die vorgeworfenen Taten: nur Streichholzköpfe, die durch Reibung Feuer fangen. Da ist ein Unbeugsamer – einer, der nicht klein beigeben will, weil es in seinen Augen eben nicht um Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch geht. Es geht um die Tatsache, dass da dieses Monstrum mit seiner Erweiterung (siehe oben) den Eindruck erweckt: Alles in Ordnung mit dem 2. Weltkrieg.
Demokratische Entscheidungen
„Es gibt ja demokratische Entscheidungen, die in einem Staat wie dem unseren getroffen werden“, so der Vorsitzende zum Angeklagten. „Wenn Sie gegen ein Denkmal sind und denken, die Stadt hat einen Fehler begangen, dann gibt es Wege, sich zu äußern. Da wären Bürgerinitiativen und der Gang zum Verwaltungsgericht.“ Porwol geht es darum. dass in einer Demokratie bestimmte Dinge nicht verhandelbar sein dürfen. Er gibt Gründe für sein Handeln an. „Die von den Nazis in den 30-er Jahren errichteten ‚Denkmale‘ pflegten einen Heldenmythos zur ideologischen Vorbereitung auf den schon geplanten Eroberungs- und Vernichtungskrieg. Dieser leitete direkt zu der systematisch […] durchgeführten millionenfachen Ermordung aller Menschen, die nicht ins rassistische Leitbild der Nazis passten und aus deren Vernichtung man Profit ziehen wollte.“ Die Anbringung einer das Denkmal erweiternden Tafel mit den Jahreszahlen 1939-1945 seitens der Stadt Kalkar im Jahr 1983 ist für Porwol unerträglich.
Dazugelernt
„Ich habe das sogenannte Kriegerdenkmal nicht ‚beschmiert‘, sondern habe im Rahmen meines Antrags auf eine künstlerische Umgestaltung meinen Entwurf zur Veranschaulichung als Provisorium mit Kreidespray auf das Objekt gebracht.“ Natürlich ließe sich darüber diskutieren, ob künftig Menschen, die Vorschläge für die (Um)Gestaltung des öffentlichen Raumes zu machen haben, dieselben gleich in der Wirklichkeit visualisieren oderabervielleichtdochbesser erst einmal einen Papierentwurf einreichen. Schon ist man wieder auf der anderen Seite des Problems, um das es am Ende nicht geht. Porwol hat – das Kreidespray muss als Beweis gelten – dazugelernt und der Vorsitzende ist mit größter Umsicht auf jemanden eingegangen, der (siehe oben) nicht aufgeben will, weil er nicht aufgeben kann. Porwol detektiert seitens der Stadt Kalkar einen „bedenklichen Mangel an Problembewusstsein bezüglich der unveränderten Zurschaustellung eines kriegsverherrlichenden ‚Denkmals‘ einschließlich der 1983 angebrachten Erweiterung.“
Das letzte Wort?
Dass der Prozess nun eingestellt wurde, muss als Leuchtzeichen gesehen werden. Man wünscht sich Kommunikation: es müsste eine (dem Thema angemessene) friedfertige Diskussion sein, die Platz für die Würdewahrung aller Beteiligten ließe. Es stellt sich das Gefühl ein: Das letzte Wort in der Causa Kalkar ist noch nicht gesprochen.
Wilfried Porwols Schreiben an „Die Bürgermeisterin der Stadt Kalkar, die Mitglieder des Rates der Stadt Kalkar und die Mitglieder des Arbeitskreises Kriegerdenkmal:
Betr.: Mein Entwurf/Vorschlag für eine künstlerische Umgestaltung des „Kriegerdenkmales“ (24. September 2023)
Sehr geehrte Damen und Herren,
unumstritten beinhaltet das „UNSEREN HELDEN“ gewidmete sogenannte Kriegerdenkmal in Kalkar von 1936 mit seinem nun zu Recht abgedecktem Hitlerzitat auf der Rückseite eine kriegsverherrlichende Aussage im Sinne des nationalsozialistischen Heldenmythos. Unverständlich und skandalös bleibt die im Jahre 1983 vollzogenen Ergänzung durch die Jahreszahlen 1939 – 1945. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg erfährt dadurch eine Glorifizierung, die nicht hinnehmbar ist. Leider wurde dies bisher auf den vor 3 Jahren aufgestellten Infotafeln nicht thematisiert.
Wie der wissenschaftliche Referent beim Amt für Denkmalpflege, Herr Kieser, auf der Veranstaltung zur Zukunft des „Monumentes“ am 16. August diesen Jahres treffend feststellte, gehört auch das Kalkarer Objekt zu den „NS-Denkmälern, denen man die Aura nehmen muss, deren Aussagen konterkariert werden müssen“.
Ganz in diesem Sinne bewegt sich mein Entwurf zur Umgestaltung, den ich Ihnen heute mit einer temporären künstlerischen Intervention direkt am Objekt präsentiere und visualisiere (siehe Fotos) und dessen dauerhafte Umsetzung ich hiermit beantrage.
Mein Entwurf beinhaltet zwei Elemente: zum einen der Schattenriss eines dokumentarischen Fotos, der Erschießung einer Mutter mit ihrem Kind durch einen deutschen Soldaten bei einer Mordaktion an der jüdischen Bevölkerung in Ivangorod 1942. Hierbei fällt der im Entwurf schwarz gehaltene Schatten dieses ungeheuren Verbrechens auf das Objekt, das solche Verbrechen zu Heldentaten verklärt. Mit perspektivischen Verlängerungen beginnt das Schattenbild auf dem Boden vor dem Objekt um dann auf den Sockelquader zu fallen. Bei einer dauerhaften Umsetzung des Entwurfes wäre das Schattenbild dann aus einer
etwa 10 mm dicken Cortenstahlplatte zu schneiden und anzubringen. Der Cortenstahl entwickelt eine schützende und stabile Rostschicht.
Zum anderen gehört dazu eine Infotafel mit dem dokumentarischen Foto und der Einordnung in den verbrecherischen Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht, sowie eine notwendige und bisher fehlende Entschuldigung der Stadt Kalkar für die Glorifizierung dieses Vernichtungskrieges.
Mit freundlichen Grüßen
Wilfried Porwol
Porwols Textentwurf für eine Infotafel:
„Beim Überfall auf Polen 1939 und später auf die Sowjetunion 1941 war das Kriegsziel die Eroberung von ‚Lebensraum im Osten‘ für ‚die germanische Rasse‘, die weitgehende Ausrottung und Versklavung der Bevölkerung, die vollständige Vernichtung der Juden, der Roma und Sinti.
Wehrmachtsangehörige töteten an unzähligen Orten Kriegsgefangene und Zivilpersonen, die zu Partisanen und Saboteuren deklrariert wurden. Vergewaltigung von Frauen und deren anschließende Erschießung waren an der Tagesordnung. Das Bild von Menschen, die an Galgen hingen, wurde typisch für die besetzten Teile der Sowjetunion. Bei der Ausplünderung der besetzten Gebiete war der Hungertod für große Teile der Bevölkerung eine einkalkulierte Folge.
An zahlreichen Orten kooperierte die Wehrmacht bei der Ermordung von jüdischen Männern, Frauen und Kindern mit den mobilen Einsatzgrupppen der SS. So wurden in der Schlucht von Babij Yar bei Kiew am 29. und 30. September 1941 über 33.000 jüdische Menschen von den Erschießungskommandos der SS unter Beihilfe der Wehrmacht umgebracht.
Die Stadt Kalkar bedauert die 1983 vollzogene unverantwortliche Erweiterung des ‚Denkmals‘ umd die Jahreszahlen 1939-1945. Sie entschuldigt sich für die damit verbundene Glorifizierung des nationalsolzialistischen Vernichtungskrieges.“