Morgenstund
Ein ganz normaler Montag — eine nicht für jeden ganz normale Arbeitszeit: Es ist 3.30 Uhr morgens. Im Gewerbegebiet Hammereisen in Nütterden macht sich Hans-Gerd Janssen startklar für eine kleine Tour mit seinem Vierzigtonner. Es geht nach Neuss und Mönchengladbach. Beim Start auf der 13,60 Meter langen Ladefläche: Zellulose für FS Karton — eine Firma in Neuss. Die Zellulose hat Janssen schon am Freitag in Holland geladen. Bis spätestens 5 Uhr muss Janssen am Ziel sein. Bei FS Karton wird Zellulose ausschließlich zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens abgeladen. Danach werden nur noch LKW mit Altpapier aufs Gelände gelassen. Janssen geht davon aus, dass er einen Termin um 5 Uhr hat. Ein Missverständnis, das ins Auge gehen könnte. Später wird Janssen sagen: „Hätte ich das gewusst, wäre ich mindestens 30 Minuten früher losgefahren.“ Im Transportgeschäft darf man die Redensart „Zeit ist Geld“ auf jeden Fall wörtlich nehmen. Mit Ladeplatz und Terminen scherzt man nicht.
Primastaplerina
Auf der Autobahn ist (noch) nichts los. Glück für Janssen. Kurz vor fünf erreicht er FS Karton und meldet sich beim Pförtner. „Dann hau mal rein“, wird er trocken begrüßt. „Zellulose laden wir nur bis fünf ab. Danach kannst du bis 14 Uhr warten.“ Bevor Janssen den Vierzigtonner zum Abladen aufs Firmengelände fahren kann, muss der Riese auf die Waage: Lieferschein ist gut — Kontrolle ist besser.Nach dem Wiegen geht es ab aufs Gelände. Da führen die Gabelstapler das Morgenballett auf — laden andere LKW ab und schieben riesige Bündel mit Zellulose in Richtung Förderband.Gabelstaplerfahrer sind gefragte Leute. Und ein bisschen sind sie auch die Primaballerinen auf dem Platz. Ohne sie läuft nix. Und das wollen sie auch wissen. Vorsicht ist geboten. Der Ton macht die Musik. Und: Wie man den Staplerfahrer ruft, so schallt es auch zurück. Janssen ist spät dran, und er möchte nicht die Zeit bis 14 Uhr mit Abwarten verbringen. Er bekommt einen Platz zugewiesen, fährt hin und öffnet die Ladefläche. Es kann los gehen. Aber: Es geht nicht los. Keiner der Staplerfahrer scheint sich für ihn zu interessieren. Um kurz vor sechs stehen die Stapler still. Die Fahrer steigen seelenruhig aus ihren Kutschen und machen sich vom Acker. Schichtende. (Merke: Alle Räder stehen still, wenn’s der Staplerfahrer will.) Um 6.10 Uhr rückt die nächste Schicht ein. Gegen 7.30 wird man auf den LKW mit dem Klever Nummernschild aufmerksam. Jetzt wird abgeladen. Im Affenzahn. In knapp zehn Minuten hat der Künstler mit dem Stapler den LKW abgeräumt. Stramme Leistung. Hans-Gerd Janssen fegt die Ladefläche und macht den Brummi startklar. Beim Herausfahren geht es wieder auf die Waage. Ergebnis: Lieferschein und Wirklichkeit stimmen überein.
Saft für KLM
Auf nach Mönchengladbach. Da warten 32 Paletten Saft auf den Abtransport nach Schiphol: Bordgetränke für KLM-Fluggäste. Janssen muss nicht hasten. Nur zwei Termine an einem Tag — das ist so was wie eine ruhige Kugel. Da gibt es andere Touren. Da wäre dann eine Nummer wie die gerade bei FS Karton nicht gut für Fahrers Nerven. Machen können hätte er trotzdem nix. Wer aufmuckt oder den Primastaplerinen die Uhr zeigt, bekommt Dienst nach Vorschrift. Arbeitshierarchie. Also: Immer ruhig und freundlich bleiben. Es nützt ja eh nichts. Von der Autobahn aus ruft Janssen in Mönchengladbach an. „Ich bin gegen 9.30 Uhr da. Ihr könnt die Ladung ja schon mal fertig machen.“ Um 8.25 Uhr fährt Janssens ‚Kleiner‘ auf den Hof der Firma Krings in Mönchengladbach. Zuerst werden Euro-Paletten abgeladen, die in einem Extrakasten unter der Ladefläche verstaut sind. Ein Staplerfahrer kontrolliert, ob alle Paletten in Ordnung sind. Nach dem Abladen fährt Janssen in die Warteposition. Unterwegs: Die Waage. Nach 20 Minuten wird die Laderampe freigegeben. Rückwärts rangiert Janssen seinen Brummi an die Rampe: Präzisionsarbeit für Janssen und den Vierzigtonner. „Halb so wild.“ (Man kennt sich.) Das Tor von Rampe 26 öffnet sich. Drinnen stehen 32 Paletten mit Fruchtsaft für KLM. Aufladen müssen die Fahrer hier selber. Nicht von Hand natürlich. Nach knapp einer halben Stunde ist die Ladefläche mit Fruchtsaftpaletten gefüllt. Lediglich zwei Plätze sind leer. KLM hat 32 Paletten bestellt. 34 könnte Janssen unterbringen. Auf dem Weg zum Firmentor: Die Waage. Alles in Ordnung. Per Rohrpost kommt der Lieferschein. Ab nach Hause? Nein. Erst mal ruft Janssen seinen Disponenten an. Der versucht, die beiden Palettenplätze noch zu verkaufen. Nach 30 Minuten gibt er durch: Es hat nicht geklappt. Janssen kann die Heimfahrt antreten.
Bilanz
Morgen wird er um 5 Uhr früh in Richtung Schiphol fahren: Den Fruchtsaft abliefern und danach wahrscheinlich nach Rotterdam fahren, neue Fracht aufnehmen. Das wird dann Fruchtsaftkonzentrat für eine Krings-Filiale in der Lüneburger Heide sein. Janssen wird die Nacht nicht zuhause verbringen. Um den Vierzigtonner voll zu beladen, wird er morgen mehrere Station anfahren. Es wird hektischer zugehen. Noch ist seine Tour nicht komplett. Der Disponent arbeitet bis zur letzten Sekunde — und manchmal wird noch telefoniert, während der Fahrer längst unterwegs ist. Nicht nur Zeit ist Geld. Platz natürlich auch. Die Bilanz des Tages. Dauer der Fahrt: 8 Stunden, 10 Minuten. Stehzeit: 4 Stunden, 15 Minuten. Verbrauchte Kraftstoffmenge: 83,5 Liter. (Durchschnittlicher Treibstoffverbrauch: 29,6 Liter pro 100 Kilometer.) Staus: Keine. Ein stressfreier Tag ohne besondere Vorkommnisse. Es geht auch anders.
Am nächsten Wochenende wird Janssen seine BMW aus der Garage holen. Zur Entspannung ist der 52-jährige dann auf zwei Rädern unterwegs. Aber ’seinen Kleinen‘ mag er natürlich auch. Wohnzimmer nennt er das Führerhaus, wo er über 410 Pferdestärken dirigiert und dabei klimatisiert und gut gefedert sitzt. Der Brummi: Hitech vom Feinsten. Wo andere fünf oder sechs Gänge zur Verfügung haben, wählt Janssen ‚eins aus sechzehn‘. Eigentlich sind es ja acht Gänge, aber die sind noch in sogenannte ‚kleine Gänge‘ unterteilt. So ist es möglich, allzeit im wirtschaftlichen Drehzahlbereich zu fahren. Für eine Spedition, die mit zig Wagen am Start ist, spielt wirtschaftliches Fahren eine immens wichtige Rolle. Wer kleckert, geht unter. Janssens Jahresdurchschnittsverbrauch: Dreißig pro Hundert. Wenn Janssen abends im Brummi übernachten muss, hat er einen Fernseher dabei. Der Job macht ihm Spaß. Am meisten allerdings dann, wenn er weiß, dass er abends wieder zuhause ist.