Das blaue Blatt wirkt magnetisch. Blau und Schwarz auf weißem Grund. Die Worte, die ins Auge stechen: „Häfen der Sehnsucht“. Und dann …
Bestandsaufnahme
„Was hat auf Dauer noch Bestand, das Meer ist aufgebracht und außer sich vor Wut, die Häfen der Sehnsucht sind geschlossen, mit aller Macht stürmt nun die Flut an Land. Wohl dem, der jetzt gut schwimmen kann. Ob es was nützt, ist jedoch ungewiss. Das Meer ist voller Haifischflossen.“ Man schluckt. Innerlich. Äußerlich.
#6
Da liegt sie: die neue Mappe von Klaus Franken. Poems in Linoleum VI: „Normalabsurd“. Eigentlich ist alles in Großbuchstaben gegossen. Zwei Worte oder eines? „Das liegt im Auge des Betrachters“, sagt Klaus Franken. Er sagtschreibt auch: „Die Normalität des Absurden oder das Absurde der Normalität – wir versuchen uns einzurichten in einer Welt, in der wieder einmal nichts unmöglich erscheint.“ „Normalabsurd“ – ein Reisebericht vom Rand des Kraters, den wir Wirklichkeit nennen? Klaus Franken – ein Seimsmograph: Einer, der Schwingungen aufzeichnet. Und erzeugt. Oder weiterreicht. Ein Denker mit zwei Waagschalen, der – im Gegensatz zu Justitia – nicht erblindet ist. Die eine Waagschale: gefüllt mit Worten. Die andere: gefüllt mit Bildern. Beide Schalen: gefüllt mit Weltbeschreibungen. Gefühlt mit dem Herz des Denkers und dem Auge des Malers.
Ein Kompass ohne Nadel
Franken – wir wissen das seit Poems on Linoleum I – ist nicht zuständig fürs Wohlfühlen. Franken ist einer, der mit dem Kompass durch die Welt geht. Es gibt da nur ein Problem: Die Kompassnadel ist entfernt. Wer also soll die Richtung weisen? Wieder landet man beim Auge des Betrachters. Kunst ist das, was wir beim Hinsehen verstehen. Die Künstlermeinung: vielleicht eine Art Bonus-Track.
Immerhin: Wenn sich Bildgedanken mit Worten paaren, werden Spuren gelegt, die deutlicher sind als die einer alleinstehenden Bildwelt.
Ein fahler Schimmer
Liest man die Texte, fällt auf, dass da einer im Schwarz des Hoffnungslosen startet („die Urwälder werden kahler, kein Tag ohne Kriegsgeburt) und dann immer wieder ein fahler Schimmer auftaucht: „Doch wenn wir noch weiterschauen: Der Urwald wird wieder erblühn und in Kriege wird niemand mehr ziehn. Ist das absurd oder ist das normal? Wir sind soo frei. Wir haben immer noch die Wahl.“
Das Gehirn geht in den Warnmodus. Vielleicht wird in Zukunft niemand mehr in den Krieg ziehen, weil niemand mehr da ist, der noch ziehen könnte. Dann wird sich die Welt von uns erholen. Vielleicht kannmuss man es so sehen? Absurdnormal?
Absurdes am Notausgang
Manchmal ist das Absurde der letzte Ausweg aus den Unerträglichkeiten – eine Art Fluchttür.
Franken stellt Bezüge zum absurden Theater her – nennt Autoren; Stückenamen. Borchert, Beckett. Irgendwie sind ihre Werke Prequels zu einem Jetztzustand. [Ein Prequel (aus dem Englischen entlehnt) ist eine Erzählung, die als Fortsetzung zu einem Werk erschien, deren Handlung aber in der internen Chronologie vor diesem angesiedelt ist. Das Wort ist eine Analogiebildung zu sequel („Folge, Fortsetzung“), verschmolzen mit dem Präfix pre- „vor“, um das Gegenteil von sequel zu bezeichnen. Prequels finden sich in verschiedenen Kunstformen wie Literatur, bei Film- und Fernseh-Produktionen, in der Oper und bei Computerspielen. Quelle: Wikipedia.]
Sarkasmus vor dem Untergang
Manchmal, denkt man, wenn auch das Absurde an seine Grenzen kommt, bleibt nur noch der Sarkasmus als letzter Schild vor dem Untergang: „Die Fliegen, da sind sie wieder, lassen sich auf braunen Haufen nieder, bedecken sie mit ihrem kurzen leben, sind heillos treu dem Scheißgestank ergeben.“ Alles, scheint es, ertrinkt in einem rettungslosen Schwarz. „Wir erwarten Gewitter – und zwar sind sie aus Stahl.“ Nein – das hier ist kein „hidden Bonus Track“ – keine versteckte Zugabe, nach der man erst suchen muss. Hier wird ein zu erwartendes Elend beschrieben. Natürlich: Auch Elend liegt im Auge des Betrachters.
Kein Wohlfühlgeschenk

Foto: Rüdiger Dehnen
Klaus Franken ist als Künstler kein Wellnessapostel – die Poems on Linoleum kein Wohlfühlgeschenk, das man zur Stimmungsaufhellung unter den Weihnachtsbaum legt. Die frohe Botschaft: Immerhin gibt es noch Weihnachtsbäume. Klaus Franken ist – wie soll man sagen – ein Humanist, der am Zustand der Welt leidet, ohne mit Heilversprechen Kasse machen zu wollen. „Für den Frieden beten angstflattrige Tauben. Der sprachlose Gott heult: Huhuhu. Er verdreht die Augen und macht sie dann zu. Da eilt im Auftrag von Macht und Glauben der Krieg blindwütig im Sauseschritt von Ost nach Süd und West und Nord und schreit: Mein ist das Leben, meine Arbeit ist der Mord. Habt keine Angst, macht einfach mit.“ Fast meint man, Tränentropfen zu hören. Was bleibt denn, bitte schön, am Ende? Frankens letzter Mappensatz: „Wie man es auch wendet oder dreht: Wir sind wohl am Ende einfach zu blöd.“ Da ist kein Besserwisser im Dauereinsatz. Einer, der es besser weiß, würde doch schreiben: „Ihr seid wohl am Ende einfach zu blöd.“ Frankens Poems on Linoleum sind ein Kommunikationsversuch – eingeritzt in nachgebendes Material und – immerhin – mit Farbe versehen. Es liegt im Auge des Betrachters. Das Blatt für meine einsame Insel: Häfen der Sehnsucht. Immerhin: Für Franken hat der Hafen eine Mehrzahl. Aus Sehnsucht wird Hoffnung.
Infos:
Klaus Franken : In Kleve aufgewachsen – seit Mitte dwe 60er Jahre Gedichtveröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften – in den 70er und 80er Jahren Mitglied im Kreuzberger Künstler-Kreis in Berlin – viele Ausstellungen, Lesungen und Veröffentlichungen – eigene Druckwerkstatt – dort entstehen unter anderem 7 Moabiter Linolkalender mit 12 signierten und nummerierten Linoldrucken, Auflage 300 Exemplare.
Über 40 Jahre Arbeit als Pädagoge und Evaluator in Berliner Kitas; viele Buchproduktionen mit Kindern.
2018 Rückkehr nach Kleve, Wiederaufnahme der Linolschneiderei – seit 2019 mit je einem Linolschnitt beteiligt an von Konrad Stüven herausgegebenen Grafik-Kalendern. Herausgeber von bislang 6 Mappen ‚Poems in Linoleum‘ mit je 8 meist zeitkritischen nummerierten und signierten farbigen Linoldrucken.
2020 8 Postkarten mit den Drucken der 2. Mappe.
2022 ‚Little Prints‘ (50 Exemplare) 13 neugestaltete Linolschnitte aus den 70er und 80er Jahren
2023 Herausgeber von ‚Hingstberg‘ (50 Exemplare) mit merkwürdigen Geschichten und kolorierten Linoldrucken und ‚Beste Pommes-Bude der Welt‘ (30 Exemplare) mit einer haarsträubenden Geschichte und vielen hankolorierten Linoldrucken.
2024 8 Postkarten m it ‚Klever Welten‘-Linolschnitten.
„Absurdnormal“: 7+1 handabgezogene Drucke von mehrfarbigen Linolschnitten. Auflage: 24 nummerierte und signierte Exemplare. Preis: 85 Euro. Erhältlich ab sofort in der Buchhandlung Hintzen in Kleve.
Ab dem 8. November und bis Ende Januar werden Arbeiten von Klaus Franken im Café Samocca, Hagsche Straße in Kleve, zu sehen sein.

Klaus Franken. Foto: Heiner Frost