Schreibkraft
Heiner Frost

Schönheit für einen Tag

Wie gut, dass noch nichts abgebaut wurde; dass man einen Abschiedsblick auf etwas Großartiges werfen kann; dass man Zeuge eines Kunstmonologs werden kann, der ohne Schnickschnack auskommt und ohne Schnörkel ins Herz trifft.

Bewegt

Fred-Louis von Oettingen – man hatte diesen Namen nicht auf der Liste: jetzt unterstreicht man ihn im Kopf. Von Oettingen ist Teil des 2025-er Turmstipendiums in Geldern. Eigentlich muss man schon in die Vergangenheit abbiegen. Denn von Oettingen hatte seinen Auftritt. Ein Auftritt für einen Tag. Von Oettingen hat eine Erzählung inszeniert. Der Besucher ist in Bewegung – wird zur Kamera; wird bewegt; ist bewegt.

Im Kopf entfaltet

Da entsteht im immerrunden Turm eine Art Etagentriptychon – eines, das man im Kopf entfalten muss; das sich im Kopf entrollt und in Stellung bringt. Im ersten Akt: ein Bogen kurz vor dem Schuss. Still die Szenerie. Alle Kraft entsteht aus der Vorstellung heraus. Man steigt weiter auf und findet Pfeile, die durch die Betondecke des Turms gelangt zu sein scheinen. Ursache und Wirkung im Widerstreit. An den Wänden: Konstruktionszeichnungen: Pfeile, Zahlen. Diagrammatische Geschichten. Ganz oben: das Stachelkleid eines Igels, dessen Seele längst abgereist ist. Zurück bleiben Erinnerungsfahnen. Geschichten bringen sich in Stellung. Der Kopf sucht nach Zusammenhängen, Zusammenklängen. Aber da klingt nichts außer den eigenen Schritten, die sich im Turm breit machen. Man sollte ein Schild aufstellen: Bitte nur einzeln betreten. Kein Begegnungsverkehr.

Ausdehnung in der Stille

Von Oettingens Kunst dehnt sich mit der Stille aus – wird zu einem Zeitballon, dessen Inhalt mit der Einsamkeit des Besuchers an Bedeutung gewinnt. Allein, denkt man, ist nicht allein genug.
Wie es wohl wäre, wenn draußen vor dem Turm eine Hebebühne stünde, die einen zuerst aufs Dach hievte, damit man dann – treppab – das Gegenteil der Geschichte erleben könnte. Die Kamera im Rückwärtsgang. Wäre das Ergebnis ein anderes? Von Oettingen hat das Erzählen verinnerlicht – hat ausgeholt zu einem großstillepischen Schweigensdonnerwetter, das man mit nachhause nimmt. Der Film ist belichtet – man entwickelt ihn im Weggehen. Es entstehen immer neue Geschichtenbündel. Das ist es, was große Kunst anrichten sollte. Man kommt mit sich selbst ins Gespräch und sammelt Erkenntnisse.

Geglückt

Eine Nebenerkenntnis: Der erste Teil des Experiments Turmstipendium 2025 ist geglückt. Falsch: Was man gesehen hat, ist keine Glückssache sondern eine großartige Version, das Leben zu erzählen.