200 Millionen Dollar – die geschätzten Produktionskosten des Films Titanic. Ein Schiff geht unter – mit allem drum und dran. Ich sitze hier bei einer Probe von Theater im Fluss und lerne wieder einmal: Das wirklich große Theater findet auf der Bühne statt …
Die Welt im Kopf
Ein dunkler Raum, der sich langsam aufhellt; das Geräusch von Brandung und Explosionen. Eine nach oben ansteigende Fläche auf der Bühne – am Ende der Fläche: ein Schornstein. Die Welt entsteht nicht auf der großen Leinwand – sie baut sich im Kopf zusammen. Kaum etwas ist vorgegeben: „Vier mal drei Meter“ heißt das Stück, das Regisseur Harald Kleinecke und seine beiden Schauspieler Tim Elze und Jules Theyssen gerade proben. 30 Minuten Theater, die mit der wortlosen Entwicklung einer dramatischen Ausgangslage beginnen. Es geht um zwei feindliche Soldaten. Sie sind nach einer Explosion auf einem Hausdach „gestrandet“. Ein paar Requisiten reichen aus, um die Szene anzufüllen. Dazu gehören ein Radio, das einen Teil des „Soundtracks“ liefert und eine Petroleumlampe.
Einen Raum mit Geschichte füllen
Es ist die erste Probe auf der Bühne. Es geht um Abläufe, Timing, Blickachsen. Wer schaltet wann das Radio ein, löscht das Licht? Wo und wann geht die Sonne auf oder unter? (Das Stück bespannt eine Leinwand von fünf Tagen).
Es geht darum, den Raum mit einer Geschichte zu füllen, die kein Entrinnen zulässt. Wenn der Text einsetzt, wird sich herausstellen: Die zwei Gestrandeten verstehen einander nicht. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen: Auch Sprache kann also feindliches Territorium definieren. Da kämpfen zwei Menschen um Vorherrschaft einerseits und später ums gemeinsame Leben. Sie angeln, fangen eine Ratte. Aus Feinden müssen Kollaborateure im Interesse des Überlebens werden. Abstrakte Feindschaft muss zu konkretsinnstiftender und überlebensnotwendiger Kommunikation werden.
Bizarre Wirklichkeit
Obwohl das hier nur eine Probe ist, obwohl es zwischendurch Regieanweisung gibt, die einen eigentlich herausreißen sollten aus der theatralen Illusion, hat sich, was da auf der Bühne passiert, schon jetzt zu einer bizarren Wirklichkeit ausgewachsen, die kein Wegdenken mehr zulässt. Nicht alles an diesem Stück transportiert Tragik – es gibt immer wieder auch diese Elemente, in denen eine Ichbleibdirimhalsestecken-Komik entsteht. Man denkt an Woody Allen: Tragödie plus Zeit gleich Komödie. Längst ist aus Zuschauen Miterleben geworden. Die Zeitachsen überschneiden sich – kreuzen sich – werden unentwirrbar …
Feindschaft ist ein Zuchtobjekt
Der Ort des Stückes: nicht greifbar. Die Zeit: nicht greifbar. Alles ist transplantierbar in den Gedanken, wie es zwei verfeindete Soldaten schaffen werden, zusammen zu überleben. Irgendwie taucht der Nebengedanke auf, dass Feindschaft ein von den Mächtigen gezüchtetes Objekt ist – eingepflanzt in die Hirne der Wehrlosen. Irgendwie wird auf der Bühne ein Gegenwartsspiegel entworfen. Irgendwie steigt aus dem Feindschaftsnebel der Gedanke auf, dass nur Kommunikation Rettung sein kann. Die sich anfänglich bekämpfen, müssen erkennen, dass Auslöschung niemals die Lösung sein kann. Da ist er wieder – dieser Dialog aus Ben Hur: „Wie bekämpft man eine Idee?“ „Mit einer anderen Idee.“
Am 13. und 14. September (Freitag und Samstag, jeweils um 20 Uhr) und am 15. September (18 Uhr) sind beim Theater im Fluss zwei Einakter zu sehen: „Vier mal drei Meter“ der eine – „Picknick im Felde“ der andere.
„Picknick im Felde“ erzählt die absurde Geschichte des Frontsoldaten Zapo, der überraschend Besuch von seinen Eltern erhält, die ihn zu einem Picknick einladen.
Wer die Welt auf Kante genäht erleben möchte, sollte hingehen. Großes Kino auf der kleinen Bühne. (Kartenvorbestellung (12,-, ermäßigt 8,- Euro) unter: 02821/979379 oder unter