Schreibkraft
Heiner Frost

Einmal Amsterdam einfach oder: Göttin auf Kunstreise

Von Kleve nach Amsterdam zur 750-Jahr-Feier ins Rijksmuseum, Ausstellung ãArtus Quellinus mit Gšttin Minerva aus Kleve

Es ist 10.50 Uhr Ortszeit in Kleve, als man Minerva den Kopfverband anlegt. Cellophan zuerst, dann eine Art Schaumstoffumwicklung. Die Dame wird blind verreisen.


Wie soll man es beschreiben. Vielleicht so: Einmal Amsterdam einfach. Das ist im Prinzip doppelt falsch, denn erstens wird Minerva zurückkehren – allerdings wohl erst mit dem Winterfahrplan – und zweitens ist die Sache alles andere als einfach. Ein riesiger Kran ist vorgefahren, ein Lastwagen mit mehreren Transportkisten – und dann sind da jede Menge Spezialisten. Um 9 Uhr sind sie angerückt. Verschiedenste Gewerke, aber ein Plan: Die rund 1.000 Kilogramm schwere Minerva wird durch ein „Bullauge“ im Dach an der Hangseite des Museums himmelwärts gekrant, überfliegt das Museum, landet auf dem Bürgersteig an der Tiergartenstraße, wird dann – in einer Transportkiste verpackt – auf den Lastwagen geladen und ab geht‘s Richtung Amsterdam.

Ein bisschen ufomäßig sieht die einschwebende Sauapparatur aus, mit der das „Bullauge“ über Minervas Haupt abgehoben werden soll. Foto: HF

Die Sache hat sich herumgesprochen. Fotografen und Kamerateams sind angerückt, um Minervas Reise zu begleiten. Erster Schritt: Öffnen des Bullauges im Museumsdach. Am Kranausleger: eine Saugapparatur zwecks Glasanhebung. Vorher: Entfernung der Siliconabdichtung, Wie einfach das doch klingt …

Von Kleve nach Amsterdam zur 750-Jahr-Feier ins Rijksmuseum, Ausstellung „Artus Quellinus mit Göttin Minerva aus Kleve. Foto: Rüdiger Dehnen.

Tatsächlich ist Fachwissen erforderlich – für jeden Arbeitsgang. Gegen 10.11 Uhr wird das Bullauge oberhalb der Minerva angehoben, schwebt nur eine Meterstrecke und liegt dann auf dem Museumsdach. Tageslicht blinzelt herab. Das Verpacken kann beginnen. Cellophanbahnen werden um den Leib der Minerva geschlungen – irgendwann ist der Kopf erreicht. Jetzt beginnt das Vermummen. Am Ende sieht die Göttin aus wie eine Mischung aus Starwars-Personal und Mitstreiterin in der Augsburger Blechbüchsenarmee. Vor dem Abheben stellt sich die Frage: Ist Minervas Helm abnehmbar? Die Antwort um 10.45 Uhr: Nein. Die Dame muss samt Helm ihren Rundflug antreten. Dabei hatten irgendwie alle gedacht: Der Helm ist abnehmbar. So kann man sich täuschen.
Nächste Frage: Wie ist die Göttin mit dem Plateau, auf dem sie steht, verbunden? Irgendwie ist bei ihrer Anreise die Sache nicht dokumentiert worden. Ein Rätselspaß der besonderen Art am Beginn der Kunstreise. Zeit für Mutmaßungen. Schließlich wird sich herausstellen, dass Göttin und Plateau durch eine Art Zapfenverbindung zusammengehalten und mit Standfestigkeit versorgt wurden. Die Delfine zu Minervas Füßen: Einzelstücke. Sie haben – ebenfalls umwickelt – den Weg zum Transporter genommen – nicht durch die Luft, sondern von Manpower getragen. Ein bisschen Spoilern: Minerva reiste bereits 1994 in die Niederlande und überflog dabei das Kurhaus – genau wie jetzt. Das Ganze wurde fotografisch dokumentiert und siehe da: Man erkennt die Befestigungszapfen.

Foto: Rüdiger Dehnen

Um 11.15 Uhr beginnt der Aufstieg der Minerva: Jetzt arbeiten alle Fotografen und Kameraleute am bestmöglichen Bild. Dazu: eine Drohne in der Luft. Wahrscheinlich wurde die Göttin nie zuvor so oft ins Bild gesetzt wie heute. Ein Film für die Ausstellung in Amsterdam – sie ist ja der Grund für Minervas Reise – wird gedreht. Er wird später als Teil der Ausstellung zu sehen sein. Harald Kunde, Chef von Minervas Homebase, wird interviewt und die Göttin schwebt himmelwärts – schwebt über das Museumsdach Richtung Tiergartenstraße und senkt sich dann langsam bodenwärts, wo schon die Transportkiste wartet. Eine Kiste – eigens für die Göttin gebaut. Harald Kunde erklärt, dass es da einen speziellen Kistenbauer gibt. „Der arbeitet beispielsweise auch für Katharina Fritsch.“
Jetzt also steht Minerva in der Kiste … und ist um eben jenen Tick zu groß, der durch die Nichtabnehmbarkeit des Helmes entstanden ist. Kunsttransportwirklichkeit. Später wird ein Loch in die Transportkistendecke gesägt werden, um Platz für den „Überstand“ zu schaffen. Darauf wird dann wieder eine Kuppel gesetzt. Ein Küppelchen eigentlich. Die Göttin soll beulenfrei ihr Ziel erreichen.

Da fehlt der Kiste ein bisschen was an Höhe. Es muss nachgearbeitet werden. Foto: Rüdiger Dehnen

Es ist mit allem zu rechnen. Expertengespräche. Im Museum: ein verwaister Platz. Ein leerer Sockel erzählt von der nahenden Abreise einer Göttin. Was wohl ihr irdischer Schöpfer Artus Quellinus der Ältere sagen würde, wenn er sähe, was da mit seiner Pallas Athene geschieht. Pallas Athene? Heißt die nicht Minerva? Sieht man‘s griechisch, ist es Pallas Athene und mit römischem Blick wird‘s Minerva. Artus Quellinus der Ältere jedenfalls ist der Grund der göttlichen Reise, denn zur 750-Jahr Feier der Grachtenmetropole wird es dort eine Ausstellung mit Werken des ursprünglich aus Antwerpen stammenden Bildhauers (1609-1688) geben. Artus Quellinus der Ältere gehörte zu den größten Bildhauern seiner Zeit und also ist es nicht verwunderlich,dass die Amsterdamer seine Pallas Athene ausstellen möchten. Eine Göttin als Kulturbotschafterin. Man sollte das nicht unterschätzen.
Noch eins: Die Pallas Athene kennt Amsterdam bereits von einer Reise, die sie 1994 antrat. Schon damals ging es um eine Ausstellung mit Werken ihres Schöpfers. Im Königlichen Palast wird quasi eine Art Familientreffen stattfinden, bei dem die Göttin mit der Klever Adresse nicht fehlen darf und während diese Zeilen geschrieben werden, hat sich die Pallas Athene bereits auf die Reise Richtung Amsterdam gemacht, wo sie bei der Ausstellungseröffnung am 17. Juni mit Sicherheit eine gute Figur machen wird. Ab dann und bis zum 27. Oktober ist ein Zweitwohnsitz in Amsterdam angemeldet. Danach: die Rückkehr ins Museum Kurhaus Kleve. Man darfmuss hoffen, dass auch dann das Wetter mitspielt, denn die Göttin muss auf dem Rückweg wieder über das Loch im Dach einschweben.