Schreibkraft
Heiner Frost

„Der hat gelesen wie wild.“

Eckard Erdmann 2024

Bücherjunkies kennen ihn: Eckard Erdmann – Urgestein aus der Buchhandlung Hintzen in Kleve – ist Literatur- und Geschichtenlieferant. Als kürzlich die Ausstellung „Lebenslinien“ über den Künstler Jürgen Vogdt eröffnet wurde, überraschte Erdmann mit der Äußerung: „Den kenn ich von früher.“

Ein Besuch

Grund genug, dem Mann einen Besuch abzustatten und inmitten von Ratgebern, Kochbüchern und Weltliteratur über Vogdt zu sprechen. Die Reise geht in die 70-er Jahre. Damals – man schrieb das Jahr 1975 – begann Erdmann seine Buchhändlerlehre in der Buchhandlung Dammbeck in Wesel. „Mein Chef war Hans Langohr“, erinnert sich Erdmann und einen Sekundenbruchteil lang hat man den Eindruck, dass da ein Blitzen durch Erdmanns Miene wandert.

„Der hat uns ein Licht angezündet.“

Lehrling Eckard Erdmann

„Der Langohr, das war einer, der alles gelesen hatte. Der hat in uns ein Licht angezündet. Wenn du den was gefragt hast – zum Beispiel nach dem Motto: Ich schreibe gerade eine Arbeit über Proust – dann sagte der: ‚Komm mal mit‘ und dann hat er dir die Bücher gezeigt, auf die es ankam.“ Und Vogdt? „Der tauchte damals regelmäßig in der Buchhandlung auf und dann haben die stundenlang geredet und wir Lehrlinge waren irgendwie eifersüchtig, denn die Zeit, die Langohr mit Vogdt verbrachte, war ja gefühlt die Zeit, die er nicht mit uns verbrachte.“ Langohr und Vogdt hatten ähnliche Interessen.

Beyer, Schmitt, Joyce

„Zu nennen wären Autoren wie Konrad Beyer, Arno Schmidt oder James Joyce. Ich erinnere mich noch, als der ‚Ulysses‘ herauskam: Da bestellte der Langohr gleich einen ganzen Stapel. Die lagen bei uns in der Buchhandlung und man fragte sich, ob das jemanden interessiert. Aber es kamen lauter Kunden und nahmen das Buch mit, bis am Ende nur noch ein Exemplar übrig war. Das durfte nicht verkauft werden. Langohr sagte dann: ‚Das ist für Vogdt. Erstausgabe. Muss der haben.‘ Und so hielten wir den Ulysses ‚unter Verschluss‘, bis Vogdt kam und sein Exemplar mitnahm. Das war schon schräg.“ Vogdt, erinnert sich Erdmann, nahm Vieles mit.

Buch gegen Kunst?

„Frag‘ mich nicht, wie er und Langohr es mit der Bezahlung hielten. Vielleicht gab‘s Buch gegen Kunst. Ich weiß nur, dass manchmal, wenn Vogdt sich angesagt hat, die Buchhandlung dem Langohr sagte, er solle mal die Mahnungen übergeben. Ist aber, glaube ich, nie passiert.“ Und dann die Beyer-Geschichte: „Der Vogdt hat irgendwann eine Restauflage von Beyers ‚Der sechste Sinn‘ gekauft und daraus ein Kunstprojekt gemacht.“ [„Nina und Franz“ – 1.297 Zeichnungen zu Konrad Beyer „Der sechste Sinn“; zu sehen war „Nina und Franz“ vom 6. September bis zum 21 Oktober 1980 in Aachen und 1980/81 im Künstlerhaus in Wien. Anm. d. Red.]

Ein Tausendsassa

„Der Vogdt war ja ein Tausendsassa. Der hatte irgendwann eine Werbe-Agentur. Die hieß ‚Keyes‘ – und Keyes hat ja schon wieder eine Verbindung zu Joyce und Ulysses. Der Vogdt war ja Ulysses-Fan – genau wie Langohr.“ Von Wesel aus ging Erdmann nach seiner Lehre „ins Ruhrgebiet“. „Den Vogdt habe ich dann wieder getroffen, als er eine Ausstellung im Haus Koekkoek in Kleve hatte. Das muss Anfang oder Mitte der 80-er gewesen sein. Eines steht fest: Der hat gelesen wie wild. Neben Kunstbüchern hatte der ein Fable für amerikanische Krimis. Er nannte das Schundliteratur. Der muss eine unglaubliche Bibliothek zusammengelesen haben.“

Mehr als Druckerschwärze

Erdmann, denke ich, ist eine Verlängerung seines Lehrers geworden: Er ist einer, der Flammen ans Lesen legt – einer, für den Bücher mehr sind als Papier und Druckerschwärze. Und Vogdt, denke ich, war eine Art Transformator – einer, der Geschriebenes in seine Erlebenszentrifuge einspeiste und es zu Bildern, Zeichnungen und Objekten werden ließ. Massenerhaltungsgesetz, denke ich: „Bei einer chemischen Reaktion ist die Summe der Masse der Edukte gleich der Summe der Masse der Produkte.“ Keine Energie geht verloren …: Leben, Lesen, Lernen
Wer sich dafür interessiert, wie einer wie Vogdt Literatur in Zeichnungen, Bilder und Objekte übersetzte, dem sei die Ausstellung ‚Lebenslinien‘ im Museum Kurhaus empfohlen, die noch bis Anfang April zu sehen ist.

Jürgen Vogdt

Jürgen Vogdt im Museum Kurhaus Kleve