Vielleicht sollte man mit der Bergpredigt beginnen: „Suchet, so werdet ihr finden.“ Es geht auch anders. Claus van Bebber zum Beispiel findet zwar, aber er sucht nicht.
Sammeln als Diagnose
Van Bebber ist Sammler. Unter anderem. Sammeln ist eine Tätigkeit – aber es kann auch zur Diagnose werden. Vom Sammeln handelt eine Ausstellung im Städtischen Museum Kalkar, die am Samstag, 23. November, um 16 Uhr eröffnet wird und deren Anlass (auch) der anstehende Geburtstag von van Bebber ist. Titel der Ausstellung: „Fundbüro“. Man streift durchs Untergeschoss des Museums – die Ausstellung: noch im Aufbau. Erste Vitrinen sind mit Fundstücken „ausgekleidet“.
Besuch im Gestern
Erster Eindruck; ein Besuch im Gestern. Das Gestern taucht aus Bananenkartons zurück ans Licht der Tage. Van Bebber ist ein Kartograf. Jedes Fundstück: mit Beschreibung versehen und verpackt. Ein erster Widerspruch taucht auf. Alles in der Sammlung – nein, sprechen wir vom Fundus – alles im Fundus ist (ein)geordnet und wird zum Gegenteil des Sammlers. Der nämlich passt in keine Schublade und widersetzt sich dem Eingeordnetwerden.
Ohne Worte
Was im „Fundbüro“ ausgebreitet wird: scheinbare Nebensächlichkeiten – geordnet nach Stichworten: Tier, Fahnen, Wimpel und Banner, Mensch, Werkzeug, Gefäße, Fahrzeuge und so weiter …. Jedes Ding für sich: unbedeutend. Und dann wieder nicht. Jedes Ding erzählt eine Geschichte. Und dann auch wieder nicht. Denn: „Fundbüro“ erzählt Geschichte(n) ohne Worte. Da finden sich keine „Quellenangaben“ seitens des Finders – da findet man gewissermaßen die Erzählung nur in den Ritzen der Zeit. Man findet eine weitgehend wortlose Dokumentation, die von der Freude am Finden erzählt.
Profiler
Und man wird selbst zum Finder. In den Untiefen des Einladungstextes plötzlich – eine Kategorie: Künstler. Da steht es. „Zum ersten Mal präsentiert der Kalkarer Künstler seine Sammlung von gefundenen Artefakten im Zusammenhang.“ Fundstücke aus fünf Jahrzehnten. Man schaut der Welt beim Älterwerden zu und möchte zum Profiler werden. Profiler sind ja jene Menschen, die im Zusammenhang mit Verbrechen Tatorte „auslesen“ und davon ausgehen, dass Taten nicht einfach zusammenhanglose Abläufe sind, sondern eine Sprache haben – eine Handschrift tragen.
Gesehen, aber nicht gefunden
Man möchte das Vorgehen dieses Menschen erkunden, indem man die Dinge sieht, die er aufhebt, einsammelt, katalogisiert, kartografiert, eintütet … Vielleicht wäre es spannend, van Bebber zu folgen, wenn der „beim Stromern“ Dinge findet. Vielleicht wäre es spannend zu dokumentieren, was van Bebber nicht aufnimmt, was er sieht, aber nicht findet. Vielleicht ergäbe sich aus der Gegenüberstellung ein Muster.
„Das Spektrum der gesammelten Gegenstände reicht von kleinen, scheinbar wertlosen alltäglichen Sachen bis hin zu größeren, teils durch Witterung oder Feuer verfremdeten Objekten. Das ‚Fundbüro‘ ist auch eine Hommage an das primär menschliche Verhalten: zu finden, zu sammeln, zu benennen und aufzubewahren“, scheibt Carla Gottwein im Text zur Einladung.
Vielleicht sollte man Geschichtenerzähler einladen, damit sie die Fundstücke in Geschichten einweben und Zeitkokons erstellen. Da schweigen in Vitrinen und an den Wänden die Zeugen des Vergehens und irgendwie wirkt die Stille wie ein Aufruf zum Erzählen.
Geschmolzene Singles
Manches von dem, was ausgestellt ist, wirkt zweifelsohne wie ein Kunstwerk – wie ein ausgeführter Plan. Die im Feuer geschmolzenen Singles. [Für später Gekommene: Es handelt sich dabei um kleine Schallplatten. Darauf wurde früher Musik gespeichert.] Die Pappen an einer der Wände: Irgendwie könnte sie auch „Fundstücke” aus einem Atelier sein. Taucht denn eigentlich auch der Künstler van Bebber auf? Ja und nein. Das Finden an sich wird im „Fundbüro“ zum künstlerischen Akt, aber Kunst von van Bebber ist nicht zu sehen. Es kam CvB auf die Trennung an, erfährt man. Und noch eines: Das Gefundenwerden verändert die Fundstücke: Sie rutschen sacht in andere Schubladen und erwachen in neuen Zusammenhängen.