Schreibkraft
Heiner Frost

Wie die Zeit vergeht: Der neue Art-Connection-Kalender

Zwölf Blätter. Begleiter durch das Jahr: Kompagnons der Monate. Mit-Erleber der Jahreszeiten. Dazu: Zahlen. Höchstens bis zur 31 reicht ein Monatsatem. Da liegt er: Mein Kalender – eingeschlagen in stabiles Packpapier – versehen mit der Abonnements-Nummer. Sie ist das Kontinuum in all den Jahren.

Überraschung oder Offenlegung

Es gibt diejenigen, die sich auf allmonatliche Überraschungen freuen und getrost warten, bis das Jahr einen neuen Monat auspuckt: Erst dann wird umgeblättert – erst dann der Blick auf das nächste Kalenderblatt freigegeben. Ich bin anders: Nach der Befreiung aus dem Packpapier zwinge ich den Kalender zur Offenlegung seiner Geheimnisse: eine Programmvorschau …

Telefon

Da sitzt er: Vor sich riesige Blätter. Auf den Blättern: Namen, Nummern. Konrad Stüven hat das Telefon am Ohr: Er ruft an. Wird angerufen. „Ich wollte nur sagen: Der neue Kalender ist fertig. Sie kommen vorbei? Okay. Morgen, 16 Uhr. Bis dann. Ja, der Preis ist wie im letzten Jahr.“

Jubiläum

Eigentlich müsste Jubiläum gefeiert werden für den Art-Connection-Kalender. 1993 wurde das Projekt auf Kiel gelegt. Künstler aus der Region wurden präsentiert. „Anfangs war das lokal eher eng gedacht“, sagt Stüven. Aber wie es so ist: Die Jahre gehen ins Land und Konzepte ändern sich. „Wir hatten auch mal einen Künstler aus Südafrika. Der hatte in Goch im Museum ausgestellt und hat dann eine Arbeit für den Kalender gemacht.“
Seit wann es den Kalender gibt, muss Stüven erst nachschlagen. „Mensch“, sagt er, „stimmt: Wir haben ein Jubiläumsjahr. Gar nicht gemerkt.“ Die Idee hinter dem Kalender: Kunst, die man sich leisten kann. Keine Originale: Drucke. Kunststücke für das Jahr. Mindestens zwölf pro Kalender. „Anfangs hatten wir sogar zwei Grafiken pro Künstler“, erinnert sich Stüven. Nicht fragen, bis wann. Zahlen sind wie Aromen: Sie verfliegen.

Mindestens 100

Trotzdem ein weiterer Versuch: „Wie viele Künstler haben in all den Jahren mitgemacht?“ „Ich denke, das waren mindestens 100“, sagt Stüven. „Einer ist von Anfang an dabei gewesen, das ist der Aloys Cremer. Es gibt aber auch Künstler, die in all den Jahren nur ein Blatt geliefert haben.“ Geliefert – das klingt ein bisschen maschinell. Aber wenn der Kalender eines nicht ist, dann ist es Fabrikware. Jedes einzelne Blatt: ein Energiespender und – spender. Noch was: Es kannmuss nicht jedem jedes Blatt gefallen. Darum geht es am Ende nicht. Dafür gibt es – no offense – Spezialistenkalender: Pferde, Katzen, SportlerInnen. Der Art-Connection-Kalender ist ein besonderer Tachometer für das Jahr. Bei manchem Monat fällt der Abschied nicht soo schwer, bei einem anderen denkt man darüber nach, das Blatt zu rahmen, damit es am Ende die Zeit überlebt.

Alles Handarbeit

Was kostet ein Kalender? „100 Euro“, sagt Stüven. Einen Augenblick lang denkt man: stolzer Preis. Aber dann … Man denkt nach über all den Aufwand. „Drei bis vier Monate dauert die Produktion“, sagt Stüven und erklärt, dass man den Aufwand für die Blätter nicht verallgemeinern könne. „Das hängt von der Vorlage ab. Es hängt auch davon ab, wie viele Farben gebraucht werden.“ Merke: Pro Farbe ein Druckdurchgang. Und dann waren da die unterschiedlichen Techniken: Hochdruck,Tiefdruck. Schon setzt Stüven zu einem Erklärungsrundflug an. „Wenn du in mehreren Durchgängen druckst, ist das eine Millimeterfrage. Es muss ja jedes Mal wieder alles exakt übereinander passen.“ Ja klar, denkt man: Nichts wird am Computer zurechtgeschoben. Das hier ist alles Handarbeit. Ein Fehler und ein Blatt ist „im Eimer“. Vielleicht kann man auch die Gänsefüßchen weglassen.

Stammkunden

Stüven sitzt zwischen all den vorverpackten Kalendern. „Ja, es gibt Leute, die jedes Jahr einen Kalender kaufen“, sagt er. Aber: Nichts ist sicher. Also: Alle „Abonnenten“ anrufen. „Stammkunden haben eine feste Nummer“, sagt Stüven. Ja, ich zum Beispiel: Nummer 96. Eine goldene Regel gilt auch bei mir: „Niemals vor dem 1. 1. auspacken.“ Und jetzt? Keine Regel ohne Ausnahme. Stüven zeigt einen unverpackten Kalender – arbeitet sich blattweise durchs Jahr. Alte Bekannt tauchen auf. „Und, wer glaubst du, ist das?“ Eine gefühlte Lieblingsstressfrage. Sagen Sie jetzt nichts, denke ich. Stüven sagt den Namen. „Klar, oder?“ Eigentlich schon.

Jetzt wäre es an der Zeit

Als Stüven den Dezember erreicht – Dezember 2024 – klettere ich aus der Zeitmaschine und denke: Wenn ich nicht schon einen hätte – jetzt wäre die Zeit, den Kalender anzuschaffen. Ich nehme die 96 unter den Arm. Das Geschenk für die beste aller Ehefrauen. Geburtstag: 1. Januar. Seit zehn Jahren die gleiche Überraschung. Immerhin: Das Papier: identisch. Die Nummer: identisch. Der Inhalt: jedes Mal anders.
Gibt‘s denn noch 2024-er Kalender. Stüven lächelt. Ein paar hätte er noch. Anruf genügt: 0173/2501968. „Wer in Kleve wohnt“, sagt er, „kann auch einfach zu Hintzen gehen.“ Ist ja noch ein bisschen hin bis zur Jahreswende. Das wäre dann mal eine Idee …

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