Wer kann schon sagen, wo der Erfolg beginnt? Das hängt nicht zuletzt davon ab, wen man fragt. Wenn einer als Bildhauer eingeladen wird, im Skulpturenpark Wuppertal auszustellen, ist das schon ein bisschen so, als würde ein Schauspieler ans Burgtheater eingeladen.
Trotzdem zählt am Ende nicht die Einladung: Das ist eine Ehre – sicher. Aber in der Kunst hängt vieles davon ab, im richtigen Augenblick am richtigen Ort von den richtigen Menschen wahrgenommen zu werden. Das zumindest ist eine Lesart des Erfolges.
Bildhauerei ist – zumal, wenn man sie wie Thomas Kühnapfel betreibt – eine äußerst materialabhängige Art des Ausdrucks. Wenn einer zwei Stücke „auf die Bühne“ stellt, die zusammen gut 1.500 Kilo wiegen, dann will man gar nicht wissen, was – von den 700 Arbeitstunden, die in Kühnapfels „Big Animal“ stecken, einmal abgesehen – an Kosten anfällt. Ein Schriftsteller braucht Papier und Stift (oder einen Computer) – wer, wie Thomas Kühnapfel, Skulpturen aus Stahl herstellt, braucht erst mal das Material. Künstlerrabatte gibt es da eher nicht. Schnell wird klar: Kühnapfel setzt nicht nur das Material dem Druck aus. Wer weiß schon, ob am Ende ein Verkauf steht. Ab und an nimmt Kühnapfel Jobs als Schweißer an: Lebenserhaltende Maßnahmen, die eine Haltung erfordern: Dem Druck standhalten.
Dass Kühnapfels „Big Animal“ jetzt im Skulpturenpark Waldfrieden zu sehen ist, hat eine Vogeschichte. Kühnapfel war von 1989 bis 1992 Student an der Kunstakademie in Düsseldorf in der Klasse von Tony Cragg – er war einer von Craggs Meisterschülern. Cragg gehört zweifelsohne zu den wichtigen und einflussreichen Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Seit 1988 lehrte er an der Kunstakademie, deren Rektor er von 2009 bis 2013 war.
„Als Tony 2014 an der Akademie aufhörte, haben seine Schüler, zu denen ich ja auch gehörte, in der Aula eine Überraschungsausstellung für ihn veranstaltet“, erzählt Kühnapfel. Kunstschau für einen Abend. „Das waren keine riesigen Arbeiten – wir haben die teils unterm Arm in die Aula getragen.“ Ergebnis: Überraschung gelungen. Dann der Satz des Meisters: „Wir müssen mal was zusammen machen.“
Man muss Kühnapfel nicht über seinen Lehrer definieren, denn da ist einer, der längst eine eigene Sprache spricht – einer, dessen Werk Handschrift trägt. Man findet Kühnapfel unter anderem im Moyländer Skulpturenpark („Herzstücke“), man findet seine Arbeiten vor dem PAN Kunstforum in Emmerich und jetzt – noch bis Ende März – in Craggs Skulpturenpark Waldfrieden in Düsseldorf. Große Kunst – ganz unabhängig von den Dimensionen. Wer Kühnapfels kissenartige Arbeiten einmal gesehen hat, vergisst sie nicht. Aber natürlich hat der Reeser Künstler auch ganz andere Arbeiten in seinem Portfolio – „Big Animal“ ist ein perfektes und unglaublich eindrucksvolles Beispiel für Kühnapfels Kunst. Vom Rost zum Hochglanz.
Kühnapfel hat jahrelange Erfahrung mit dem Werkstoff Stahl. Die Formen, die während seiner Arbeitsprozesse entstehen, sind alles andere als zufällig und beeindrucken nicht nur durch die Perfektion ihrer Ausführung. Der Stahl gehorcht dem Künstler und man denkt an den Ausspruch von Mathesius über den Renaissance-Komponisten Josquin Deprez: „Er ist der Noten Meister; sie habens machen müssen, wie er wollte. Die anderen Sangesmeister müssens machen, wies die Noten haben wollen.“ Kühnapfel diktiert dem Stahl. Er weiß, was geht. Er beherrscht seinen Werkstoff.
Zurück zum Waldfrieden: „Das ist natürlich eine super Adresse“, freut sich Kühnapfel und spricht – bezogen auf das, was sonst noch zu sehen ist – von einer guten Nachbarschaft. Erfolg? Eine Frage der Sichtweise. Kühnapfel ist ein Bildhauer, dem das Rückgrat nicht abhanden gekommen ist.
Der Chef des Museum Kurhaus Kleve (mkk), Harald Kunde, über Kühnapfels „Big Animal“: „Das 2017 für den Skulpturenpark Waldfrieden geschaffene Paar mit dem Titel ‚Big Animal‘ bildet einen vorläufigen Höhepunkt und zieht die Summe der Erfahrungen aus aufwändigsten Arbeitsprozessen. […] Der drei Millimeter starke polierte Edelstahl lässt die Energien ahnen, denen er im Prozess seiner Ausformung durch Wasserdruck von 200 Bar ausgesetzt war und für die es nun eine sicht- und tastbare Gestalt gibt. Restlos erklären lässt sich deren Faszination ohnehin nicht; vielleicht ist es ein Gefühl körperlicher Verbundenheit, das sich zu diesen spiegelnden Riesen einstellt und das ihnen den Reiz atmender Wesen verleiht.“ Kühnapfels Arbeiten waren im mkk unter anderem beim „Salon der Künstler (2010) und in der Ausstellung „Basic Research“ (2014) zu sehen.
Big Animal Foto: Christoph Buckstegen