Schreibkraft
Heiner Frost

Prinzenrolle

Roller statt Kutsche

Erwin muss früh raus. Das Leben nimmt keine Rücksicht. Auch auf Prinzen nicht. Dienst ist Dienst und Schnaps ist wann anders. Erwin wird Geschichte schreiben. In die karnevalistischen Annalen wird er eingehen als „Erwin, der Wachsame“ — Deutschlands wohl einziger Prinz mit dem BMW C1 Roller im Wappen. Roller statt Kutsche. Bald wird Erwin Dienstmütze gegen Narrenkappe tauschen, Colt gegen Zepter und Uniform gegen Kostüm. Die Prinzenkarten sind gedruckt, die Orden bestellt: Der Karneval kann kommen.  Das Motto: Kleve lacht, Erwin wacht. Helau!

Multiple Person

Erwin ist — psychologisch gesprochen — eine multiple Persönlichkeit. Da wäre zum einen der Hautpkommissar und Leiter des BD (=Bezirksdienst), der seit 30 Jahren für seine „Firma“ im Dienst ist — aber da ist eben auch jenes karnevalistische Wesen mit der Prinzenmütze, auf die noch näher einzugehen sein wird. Der zweite Teil in Erwins Leben ist derzeit der Karneval. Erwin ist „Der Wachsame“ — die Familie ist einverstanden, und das ist auch gut so, denn: Den Prinzen gibt man nicht im Vorbeigehen. Erwins Frau und die beiden Kinder werden den Vater eher selten sehen, wenn der Karneval in seine wirklich heiße Phase kommt. Die ist heuer heißer als sonst, denn: Die Saison ist kurz. Am 9. Februar ist Aschermittwoch. Schluss, aus, vorbei — heißt es dann, aber bis dahin dürfte es hart werden für Erwin und die seinen. (Die einen treiben Sport, und die anderen werden Prinz.) Apropos ‘werden’: Wie wird denn einer Karnevalsprinz? Nun — das geht eigentlich so, dass lange im voraus zumindest feststeht, welcher Verein für welche Session den Prinzen stellt. Dann müssen sich Bewerber finden, die schlussendlich vom Karnevalskommitee gewählt und zum Sessionsbeginn nominiert, sprich: proklamiert werden. Wir lernen: Auch der Karneval hat seine Ordnung.

Parteilos

Erwin ist als Karnevalist eigentlich parteilos. Er gehört keinem Verein an. Eher eine prinzliche Seltenheit. Immerhin aber ist er nicht der erste „grüne Prinz“ auf dem Narrenthron. 1986 gab es einen, der sich „Peter, der putzige“ nannte. Der kam auch aus der „Firma“, konnte allerdings, anders als Erwin,  keinen C1-Roller als Dienstgefährt vorweisen. Erwin kann. Wen wundert es da, dass der Wachsame den Roller im Schilde, pardon, im Wappen, pardon: im Orden führt. Und auch im Pin. Kein Prinz ohne Orden. Kein Prinz ohne Pin. (Ach ja: Pin ist in diesem Fall keine Persönliche Identifikationsnummer, die nicht weitergegeben werden darf, und es ist auch nicht die plattdeutsche Bezeichnung für einen Schmerz — ein Pin ist so eine Art von kleinem Ansteckorden. Die Orden übrigens, so erfährt es der staunend-karnevalistische Laie, werden handgefertigt und zuvor designed. Kappes heißt der Ordensladen und ist in Köln zu finden. 350 Orden hat Erwin geordert und rund 4.000 Pins. Das Zahlenverhältnis von Pins und Orden lässt erahnen, dass nicht jeder mit dem Prinzenorden rechnen darf. Keine Sorge: Wer ihn bekommt und wer nicht, ist eine Frage des närrischen Protokolls. Allerdings darf Erwin auch nach Gutdünken Normalos zu Ordensträgern machen. (Es gibt allerdings auch Menschen, die allein durch ihr Dasein einen Ordensanspruch geltend machen. Das allerdings ist eine andere Geschichte. Nicht alles am Karneval ist lustig.)

Geld und Orden

Apropos lustig: Über Geld wird nicht gern gesprochen, aber es ist leicht nachzuvollziehen, dass Orden Marke Handarbeit nicht für zwei Euro zu haben sind. Auch nicht für drei, vier, fünf, sechs … irgendwo bei elf könnten wir mit dem Zählen aufhören. Und natürlich will ein närrisches Oberhaupt standesgemäß eingekleidet sein. Auch das kostet. Wir fragen nicht nach. Nur die Mütze — die ist interessant, denn: Ein Klever Karnevalsprinz kann sich nicht einfach igrendeinen Deckel auf den Kopf setzen. Das „gute Stück“ hat präzisen Ansprüchen zu genügen. Die Zahl der Pailletten ist festgelegt — die Zahl der Federn auch. Drei Stück. Nicht mehr. Nicht weniger. Alle vom Fasan. Stückpreis 28 Euro. Braten exklusive. Die Mütze selbst ist für 270 Euro zu haben. Kein Pappenstiel, aber so ist es nun mal. Da beißt die Maus kein Faden ab.

Einmal und nie wieder

Prinz sein muss man eh aus vollster Überzeugung. Andere haben andere Hobbies. Wer im einschlägig-karnevalistischen Fachhandel Preisstudien betreibt, merkt schnell: Mit der Ausrüstung ist es wie mit den Autos. Für jeden etwas. Eine Prinzenausstattung geht bei 600 Euro los — tja, und nach oben gibt es wenig börsianische Schallmauer. Wiederverwertbar ist das Outfit im Prinzenfall leider auch nicht, denn — so viel steht fest: Die Prinzenrolle ist einmalig. Das regelt das Protokoll. Ein amerikanischer Präsident kann zweimal auf den Thron. Ein Klever Prinz nicht. Einmal und aus. Und wer Prinz war, kann danach auch in keine Garde mehr. Dafür kommt er in die Prinzengalerie (www.prinz-erwin.de) und wird ein Stück (Klever) Karnevalsgeschichte. Und wenn die Dienstzeit abgelaufen ist, bleibt nur noch der Prinzenstammtisch. Da treffen sich die Ex—Tollitäten auf ein Bierchen oder zwei. Apropos Bierchen: Das hält Erwin nach dem Motto: Zwei können nicht schaden, mehr ist nicht drin. Denn wie gesagt: Prinz sein macht zwar Spaß, aber der Prinz darf es mit dem Spaß nicht übertreiben. Auch die Garde nicht. „Fahnenträger“ beim Kindergartenbesuch wären nicht eben ein Aushängeschild.

Mehr als eine Vorzeigepuppe mit Winkmechanik

Und wie gesagt: Die Arbeit des Prinzen und seiner Garde ist bisweilen hart. Der Adjutant führt einen Terminkalender. Alles wird nachgehalten. Alles muss akribisch geplant sein. Ohne Stundenplan kein Frohsinn. Aber — da ist sich Erwin ganz sicher: Die Sache macht jede Menge Spaß. Freude bringen ist wichtig — aber: Es gibt immer auch was zurück. Und der Prinz ist schon mehr als eine Vorzeigepuppe mit eingebauter Winkmechanik. Erwin ist nicht auf den Mund gefallen. Der Mann kriegt eigentlich jeden Spruch gewechselt und muss sich keine Sorgen machen. Ab Woche zwei im Januar hat sich der Prinz dann erst einmal Urlaub genommen. Job und Prinz — das kommt in der heißen Phase nicht zusammen.